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Die Millionärsgattin arbeitet in einem Hotel? Oder hat sie sich nur für ein Schäferstündchen verkleidet? Illustration: Sascha Bacher

Sommerkrimi in vier Teilen (3/4)

«Diebisches Dübendorf» – 3. Böse Anna, arme Anna

Lesen Sie diese Woche den 3. Teil unseres sommerlichen Fortsetzungskrimis «Diebisches Dübendorf» von Autorin Birgit Schlieper.

Die Millionärsgattin arbeitet in einem Hotel? Oder hat sie sich nur für ein Schäferstündchen verkleidet? Illustration: Sascha Bacher

Veröffentlicht am: 16.08.2024 – 10.09 Uhr

«Ich brauche die Pille danach», flüstert die Frau zwar, klingt aber trotzdem sehr eindringlich. Ich sortiere gerade Ware hinter der Kasse ein und drehe mich nur halb um.

«Dafür brauchen Sie aber ein Rezept», erklärt meine Kollegin der Kundin. 

Ich drehe mich erschrocken wieder um.

Die Frau war auf dem Anlass am Sonntag. Und zwar mit ihrem Mann. Ein fürchterlicher Schwätzer mit Ansichten aus dem 18. Jahrhundert. Ich hatte mitbekommen, wie er sich über die vielen Ausländer und Flüchtlinge ausgelassen hatte. Es sei Zeit, für mehr eigenen Nachwuchs zu sorgen.

«Aber wir sind schon ganz fleissig», hatte er lautstark verkündet und den flachen Bauch seiner Frau gestreichelt. Er würde seiner Gattin natürlich auch in den schweren Stunden der Geburt beistehen. Wow. Was für ein Mann.

Offenbar will aber seine Frau nicht den Gebärschmerz auf sich nehmen. Oder sie hat einfach Angst, noch so einen Patrioten in die Welt zu setzen. Geschieht dem Typen recht. Die Kundin hat mittlerweile die Apotheke Richtung Frauenärztin verlassen. 

Auf meinem Handy ploppt eine Nachricht auf.

«Kann ich dich heute Abend nochmal besuchen???», will Anna wissen.

«Echt oder Fake?», frage ich zurück.

«Fake. Wie gestern», antwortet sie prompt.

«Ist schlecht. Wollte mit Freunden was trinken gehen. Was, wenn Ulrich mich sieht?», tippe ich schnell und fühle mich ganz schlecht, dass ich Anna anlüge. Aber ich habe keine Lust auf noch so einen doofen Abend.

«Kein Problem. Finde schon jemanden. Küsschen Anna.»

Ich bin fast ein bisschen erschrocken, wie leicht mir die Lüge gefallen ist. Aber ich fühle mich damit einfach besser. 

Komischerweise habe ich nach Feierabend ein schlechtes Gewissen, einfach nach Hause zu gehen. Ich will nicht so dreist gelogen haben und beschliesse, heute Abend wirklich etwas zu unternehmen. Ich ziehe mir etwas Bequemes an und schliesse mein Velo auf, das brav vor der Tür auf mich gewartet hat. Während ich es auf den Veloweg schiebe, krame ich in meinen Gedanken. Wohin könnte ich mal fahren? Was wäre ein schönes Ziel? Hinter mir höre ich ein lautes «Weg da!». Ich drehe mich um, und ein Typ auf einem Elektrotöff kann gerade noch abbremsen.

«Bist du blind?», schreit mich der Typ an. 

Dann kommt ein «Corinne?».

Es ist echt Malik.

«Oh, entschuldige», stammle ich. «Ich war so in Gedanken und hab dich nicht gesehen.»

«Schon gut. Was ist das?»

Er zeigt auf mein babyblaues Velo, das vorne einen wunderschönen Korb hat, den ich mit einer Blumengirlande verziert habe. Ausserdem habe ich einen kleinen Frosch als Klingel. 

«Das ist ein Mädchenfahrrad.» Ich lasse den Frosch quaken.

«Mal was anderes. Bist du vielleicht so ein Typ, der seinen Golf tunt und mit Fuchsschwanz schmückt – nur als Frau?»

Er grinst mich breit an.

Als ich endlich bereit bin, darauf irgendwas zu sagen, ist er schon wieder los.

«Schönen Abend!», ruft er mir noch zu. 

Den mache ich mir – und zwar mit einem XL-Eiscafé im Sommertal. Das Hotel hat einen schönen Innenhof, und ich geniesse die letzten Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Träge wandern die Gedanken durch meinen Kopf. Ich müsste mich unbedingt mal bei meinen Eltern melden. Ich brauche dringend Vorhänge für mein Wohnzimmerfenster. Vom Glattquai aus kann man da sonst zu gut hereinsehen. Ich könnte mir eine neue Jeans gönnen und einen Termin in diesem Jeansladen machen. Aber wozu soll man eigentlich einen Termin machen? Wieso kann man da nicht wie in jedes Geschäft einfach reingehen?

Und plötzlich sehe ich Anna. Sie kommt aus dem Restaurant und geht mit schnellen Schritten in einen Nebeneingang. Ich bin absolut sicher, dass sie es ist. Aber warum trägt sie eine Hotel-Uniform? Ich springe auf, eile hinter ihr her, öffne die Tür – dahinter ist nur ein langer, leerer Flur. Ich rufe ihren Namen, nichts passiert.

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Wo ist Anna? Illustration: Sascha Bacher

Hinter mir erscheint ein Kellner. «Das ist nur für Personal. Wenn Sie die Toilette suchen, müssten Sie durch das Restaurant gehen.»

«Äh. Ja. Danke.»

Schnell gehe ich wieder zu meinem Tisch. Eine halbe Stunde starre ich auf die Tür, warte, dass Anna wieder herauskommt. Aber sie kommt nicht. Verwirrt zahle ich und fahre nach Hause. Ich hatte mir ja schon irgendwie gedacht, dass Anna ihre Schäferstündchen vielleicht in einem Hotel verbringt. Aber wieso in der Uniform? Gehört das zu solchen Spielchen? So, wie manche Frauen eine Krankenschwester-Tracht anziehen? Am liebsten würde ich Anna noch am gleichen Abend anrufen und zur Rede stellen. Doch ich habe so gar keine Lust auf komplizierte Gespräche.

* * * * *

Ich warte bis zum nächsten Vormittag und schicke ihr eine Whatsapp: «Lust auf einen spanischen Abend? Gibt hier eine gute Tapas-Bar, das Bien Visto.» Sie antwortet sofort: «Tipptopp. 8 Uhr? Ich reserviere.»

Als ich klatschnass dank eines Sommergewitters die Bar betrete, sitzt Anna schon vor einem Weisswein. Ich rubble mich so gut es geht mit der Serviette trocken, dann platzt es auch schon aus mir heraus.

«Ich habe dich gestern Abend gesehen. Im Sommertal.»

Sie wird total blass. Und ihr Blick wirkt plötzlich hart.

«Warum hattest du eine Hotel-Uniform an? Arbeitest du da?»

Wie auf Knopfdruck werden ihre Augen wieder sanft, Tränen fliessen. Schluchzend erzählt sie mir von Ulrich, der sie fortwährend schikaniert. Sie bekommt nur ganz wenig Geld, muss für alle Einkäufe Quittungen vorlegen. Er erkläre ihr dauernd, wie dumm sie eigentlich sei und dass er sie zurück nach Sizilien schicken werde, wenn sie aufmucke. Und deswegen verdiene sie sich im Hotel ein paar Franken dazu. 

«Vielleicht habe ich irgendwann genug gespart, um mich scheiden zu lassen, ohne danach verhungern zu müssen.»

«Das heisst, ihr habt einen Ehevertrag gemacht?»

«Natürlich. Bei einer Trennung bekomme ich nichts. Nur einen Arschtritt.»

«Und zurück nach Sizilien willst du nicht?»

«Nie mehr. Weisst du, wir sind arm. Eine Bauernfamilie. Ich habe nichts gelernt, keine Ausbildung. Da könnte ich dann Ziegen hüten, bis ich alt und schrumpelig bin.»

Spät am Abend drehe ich mich in meinem Bett von einer Seite auf die andere. Wie schlimm muss das für Anna sein? Mit einem Mann zu leben, der sie nicht liebt. Und den sie nicht verlassen kann, der ihr aber auch verbietet, einen richtigen Job anzunehmen. Immer die Angst, wieder in die alte, verhasste Heimat zu müssen. Wie verzweifelt muss sie sein? Sie wirkte auf mich so beneidenswert. Die tolle Figur, das Haus, das Auto, der Mann. Aber was hilft das alles, wenn man so unglücklich ist?

Ich beschliesse, dass ich ihr helfen muss. Es geht mir so gut. Ich habe einen Job, der mir Spass macht. Ich lebe selbstbestimmt. Ich beschliesse, dass ich morgen früh 3000 Franken von meinem Sparkonto abhebe und ihr gebe. Vielleicht hilft ihr das ein bisschen in eine bessere Zukunft. Sie könnte sich damit weiterbilden, um wieder einen guten Job zu finden – nach der Trennung. Zufrieden mit meinem Plan schlafe ich ein. 

 * * * * *

Manchmal wundere ich mich nur noch über meine Chefin. Normalerweise ist sie sehr kühl und distanziert. Doch manchmal – wahrscheinlich hormonbedingt – wird sie total nett und vor allem hungrig auf Süssigkeiten. Dann schickt sie regelmässig eine von uns los, um Schokolade oder Ähnliches zu holen. Heute trifft es mich. Ich frage sie, ob ich auch gleich noch wegen einer dringenden persönlichen Angelegenheit zur Bank könne, und sie willigt grosszügig ein. Die Aussicht auf Schokolade und Kuchen hilft wohl dabei. Die Bankangestellte guckt zwar kritisch, als ich das Geld abhebe, sagt aber nichts. Ich verstaue die Scheine hinten in meiner Agenda und mache mich auf den Weg, um Naschwerk zu holen. Natürlich habe ich mir überlegt, wie ich Anna das Geld zukommen lasse. Wenn ich es ihr zu Hause vorbeibringe, bekommt Ulrich vielleicht Wind davon und wird misstrauisch. Am sichersten wird es sein, wenn ich es ihr ins Hotel bringe. Vielleicht kann sie es da ja deponieren.

Ich habe die Scheine in einen Umschlag getan, diesen verschlossen und gross mit «Anna Reinhardt persönlich» beschriftet. Der Mitarbeiter an der Rezeption guckt mich verständnislos an. Im Hotel gebe es keine Anna Reinhardt. Da müsse ich mich täuschen. 

«Doch, sie ist hier Reinigungskraft oder so etwas. Ich weiss das», beharre ich.

«Das wüsste ich.»

«Vielleicht arbeitet sie ja für ein Subunternehmen.»

«Wir beschäftigen keine Subunternehmen.»

«Oder sie ist nur stundenweise hier.»

«Wollen Sie dem Hotel unterstellen, dass hier stundenweise Putzfrauen arbeiten, die nicht registriert sind? Wollen Sie andeuten, dass wir Schwarzarbeit durchgehen lassen?»

Er klingt not amused.

«Ich will überhaupt nichts andeuten. Ich suche nur Anna Reinhardt.»

«Dann suchen Sie besser woanders. Guten Tag.»

Ich werde also warten, bis mich Anna das nächste Mal um ein Alibi bittet. Dann weiss ich, dass sie im Hotel arbeitet, und ich kann es ihr bringen.

Wie naiv ich doch war. 

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