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Faust eines Mannes und verängstigtes Kind im Hintergrund

Ein Vater missbrauchte und bedrohte seine Tochter nicht nur regelmässig, sondern er schlug sie auch immer wieder, unter anderem mit der Faust. Symbolbild: Pixabay

Extremfall vor Bezirksgericht Uster

Vater quälte jahrelang eigene Familie – aber bestrafen kann man ihn nicht

Er soll die eigene Tochter und die Ehefrau Hunderte Male missbraucht und geschlagen haben. Vorwürfe, die aber nicht beweisbar sind, weshalb das Bezirksgericht Uster einen Mann freisprechen musste.

Ein Vater missbrauchte und bedrohte seine Tochter nicht nur regelmässig, sondern er schlug sie auch immer wieder, unter anderem mit der Faust. Symbolbild: Pixabay

Veröffentlicht am: 25.11.2023 – 10.22 Uhr

Die beiden Positionen, die sich am Donnerstag und Freitag vor dem Bezirksgericht Uster gegenüberstanden, sind extrem. Auf der einen Seite ist da die Anklage.

Als Vierjährige erstmals geschändet?

In ihr wird – hier ganz grob zusammengefasst und bewusst ohne Nennung der vielen brutalen Details – einem heute 52-Jährigen mit Wurzeln im arabischen Raum vorgeworfen, über rund 15 Jahre hinweg seine Familie gequält zu haben. Hauptopfer war die Tochter. Sie soll im Alter von vier Jahren erstmals vom Vater sexuell missbraucht worden sein. Es geht unter anderem um erzwungenen Oral- und Analverkehr, teilweise begleitet von Schlägen, Tritten, Würgen und massivsten Drohungen.

Ähnlich soll er bei seiner Frau und Mutter des Kinds vorgegangen sein. Immer wieder hat er sie laut Anklage vergewaltigt. Sei sie nicht willig gewesen, habe er einfach mehr Gewalt angewendet, beispielsweise indem er sie in eine nicht verheilte Operationswunde trat. Zudem soll er an seinem Arbeitsort vier Lehrtöchter sexuell belästigt haben, etwa mit einem Spruch über das Thema Jungfräulichkeit.

Anzahl der Taten unbekannt

Die Anzahl der Taten ist nicht exakt bezifferbar. Rechnet man jedoch die auch nur ungefähren Angaben in der Anklageschrift im Stil von «ca. einmal in der Woche» zusammen, kommt man auf über 1000 Ereignisse gravierender Art. Passiert meist am Wohnort der Familie im Sankt-Gallischen und später in Dübendorf.

Alles 100 Prozent falsch!

Der Beschuldigte zu den Vorwürfen

Und dann ist da die andere Seite, der Beschuldigte selbst. Er sagt zu den Vorwürfen: «alles 100 Prozent falsch!». Es habe in der Familie wohl ab und zu Streit gegeben, und er sei «ein sehr strenger Vater», der aber «höchstens mal eine Ohrfeige» austeilte.

Dass die Familie nun derartige Anschuldigungen gegen ihn erhebe, sei ein Plan seiner mittlerweile von ihm geschiedenen Frau sowie der Tochter, die eifersüchtig auf ihn seien, weil er wieder geheiratet habe. Und das, was ihm die vier Lehrtöchter vorwerfen, das seien «nur lustige Gespräche» gewesen.

Es gab keine Phase bei uns zu Hause, wo wir es guthatten.

Die Tochter

Die Unschuldsbeteuerungen des Manns wurden am Prozess durch präzise und stellenweise kaum zu ertragende Schilderungen der Mutter und der Tochter sehr stark infrage gestellt. Die Tochter, die 2021, nach Jahren des Horrors, per Zufall in Kontakt mit einer ihr sympathischen Polizistin kam und sich dann zu einer Anzeige durchringen konnte, antwortet auf die Frage einer Richterin, wie es ihr heute gehe, nur: «ich überlebe».

Sie erzählte, wir ihr Vater ihr als kleines Kind gesagt habe, was er tue «sei ein Spiel, und das mache jeder Vater mit seiner Tochter». Sie schilderte, wie er ihr drohte, er werde ihr mit einer Zange das Fleisch vom Leibe reissen, wenn sie jemanden etwas erzähle, und wie er die Familie terrorisierte. Kurz: «Es gab keine Phase bei uns zu Hause, wo wir es guthatten.»

Familie fürchtet tödliche Rache

In einer ausserordentlich emotionalen, persönlichen Erklärung appellierte die Tochter an das Gericht, eine Höchststrafe zu verhängen. Denn dieser Mann «ist eine Gefahr für meine Familie und die Allgemeinheit», und sobald er aus dem Gefängnis komme, wo er seit über eineinhalb Jahren sitzt, werde er ihnen allen mit Garantie «eine Kugel zwischen die Augen knallen» – in diesen Worten hatte der Mann der Tochter ihr Schicksal schon mehrfach angekündigt.

15 Jahre Gefängnis verlangt

Die Staatsanwältin stützte sich voll auf die für sie glaubwürdigen Aussagen von Tochter und Mutter über die familiären «Grausamkeiten» ab und forderte als Hauptsanktion eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren. Die Anwältinnen der beiden Frauen und der vier Lehrtöchter verlangten für «die schier endlose Zahl von Übergriffen teils massivsten Ausmasses» Genugtuungszahlungen in der Gesamthöhe von rund 200'000 Franken.

Ein schwieriger Fall

Der Verteidiger

Der Verteidiger beantragte wegen der seiner Meinung nach zu wenig präzisen Anklage eine Teileinstellung des Verfahrens; ein Schuldspruch könne nur in zwei – strafrechtlich verhältnismässig leicht wiegenden – Punkten erfolgen. Der Angeklagte habe in seiner Strenge wohl «manche rote Linie überschritten», aber die schwersten ihm angelasteten Gewalttaten liessen sich ihm schlicht nicht beweisen.

Es sei «ein schwieriger Fall», den das Gericht hier beurteilen müsse, sagte der Verteidiger: keine Beweise, keine Zeugen, teilweise 20 Jahre zurückliegende Ereignisse, kein Nachbar hörte offenbar je die Schreie der gequälten Familienangehörigen, und sonderbarerweise habe die Tochter jahrelang niemanden etwas von angeblichen Übergriffen erzählt. Deshalb müsse hier ein Freispruch nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» erfolgen.

Bedingte Strafe

Das Gericht folgte nach einer «sehr schwierigen und kontroversen Beratung» der Linie der Verteidigung. Es fällte ein selbst für die anwesenden Fachleute komplexes Urteil. Die Kernelemente: Verfahrenseinstellung infolge Verjährung sowie Freisprüche bei den schwersten Vorwürfen, Schuldspruch wegen sexueller Nötigung gegenüber der Mutter und sexueller Belästigung der Lehrtöchter.

Die Strafe: 24 Monate bedingt und eine Busse von 1000 Franken, Genugtuungsverpflichtungen von 9000 Franken sowie die Übernahme einiger paar tausend Franken Verfahrenskosten. Zudem sei der Mann sofort aus der Haft zu entlassen – eine Anordnung, welche die anwesenden Opfer bestürzt aus dem Gerichtssaal rennen liess.

 Das Urteil wird nicht bei allen Leuten auf Verständnis stossen.

Der vorsitzende Richter

Der vorsitzende Richter erklärte, viele der vorgeworfenen Taten seien «mit grösster Wahrscheinlichkeit» begangen worden. Von einem Mann, der «ein Tyrann zu Hause war», sein Verhalten sei «eine Katastrophe» gewesen. Doch es gebe Zweifel an den nicht eh verjährten Ereignissen, und so blieb nur ein Freispruch.

Das – auch mit Frauen besetzte – Gericht habe das Urteil einstimmig gefällt und «nicht mit Freude». Und es sei dem Gremium klar, dass der Entscheid «nicht bei allen Leuten auf Verständnis stossen wird». So bei der Staatsanwältin, die definitiv in Berufung gehen wird.

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