Retter, die aus der Luft kommen: für die meisten Menschen ein 100-prozentiger «Action-Job». Doch für Pilot Jorma Werder, Notarzt Alexander Kaserer und Rettungssanitäterin Brigitte Jöhl beginnt der Arbeitstag auf der Basis der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) in Dübendorf vollkommen unspektakulär.
Als Erstes steht nämlich wie jeden Morgen um 7.30 Uhr die Kontrolle des Arbeitsmaterials auf dem Programm.
Die Sache mit den Vogelnestern
Dabei werden einerseits die moderne und immer umfassendere medizinische und rettungstechnische Ausrüstung vom einzelnen Medikament über das Beatmungsgerät bis zur Rettungswinde mit 90 Metern Seil gecheckt, andererseits der Heli selbst.
Die fast 1800 PS starke und über 13 Meter lange Maschine wird nicht nur auf ihr Funktionieren hin überprüft, sondern unter anderem auch auf Vogelnester.
Vogelnester? Richtig, denn die Nischen unter den Verschalungen eines Helis sind bei Vögeln durchaus beliebte Wohnorte, die aber für den einwandfreien Betrieb des Fluggeräts eine grosse Gefahr darstellen.
Nach den Checks sitzt die Crew kurz für ein Briefing für die gerade begonnene 24- oder 48-Stunden-Schicht zusammen. Dabei tauscht das Team Informationen aus, die für alle relevant sind, etwa zur Wetterprognose.
Denn wenn sich beispielsweise auf den Abend hin ein Sturm ankündet, kann das schwere Auswirkungen auf den Einsatz des Helis haben.
Arbeiten und temporär zusammenleben
«Mer sind parat, mer chönnd schwirre», beendet Pilot Jorma Werder das Briefing. «Schwirre», das heisst innerhalb von spätestens fünf Minuten im draussen vor dem Hangar stehenden Heli abfliegen, werden sie dann, wenn sich ihr Diensthandy meldet und die Einsatzzentrale über die Rega-eigene App ein Aufgebot übermittelt.
Doch im Moment ist es ruhig und damit Zeit für ein gemütliches Morgenessen. Danach widmet man sich dem, was in der Basis, quasi einer Kombination aus einer Wohngemeinschaft mit dauernd wechselnder Zusammensetzung und einem Betrieb, halt noch so anfällt: Bürokram, Materialbestellungen, putzen, kochen, essen, Uniformteile waschen.
Vom Spitaldach auf den Militärflugplatz
So, wie hier geschildert, beginnen seit 20 Jahren die Schichten der auf den Rega-Basen stationierten Dreierteams, bestehend aus Pilot, Notarzt und HCM.
Letztere Bezeichnung ist die Abkürzung für Helicopter Emergency Medical Services Crew Member, einen speziell ausgebildeten Rettungssanitäter, der sich nicht nur mit der medizinischen Versorgung der Patienten befasst, sondern auch dem Piloten assistiert.
Die Einsatzbasis Zürich (EBZH), wie der korrekte Name der Rega-Niederlassung am südlichen Rand des Militärflugplatzes Dübendorf lautet, hat als älteste aller Rega-Basen schon verschiedene Stationen hinter sich.
Ende der 1960er Jahre noch auf dem Flughafen Zürich-Kloten domiziliert, zügelte man später in ein recht abenteuerliches Provisorium auf das Dach des Kinderspitals, bis am 1. Mai 2003 ein Neubau im Glattal in Betrieb genommen werden konnte.
Einzelzimmer für Teammitglieder
Die Basis wird dominiert vom grossen Hangar für den Heli. Daneben stehen Wohnräume, Büros und unter anderem vier Ruheräume zur Verfügung.
Nach mehreren Modellwechseln wird in Dübendorf seit 2019 mit einem H145 des Herstellers Airbus Helicopters geflogen. «Eine sehr moderne Maschine», die sich in der Praxis bewährt habe, lobt Basisleiter und Pilot Frank Krivanek.
In über sechs Kantonen unterwegs
«Rega 1», wie der Dübendorfer Heli aufgrund seines Funknamens oft nur genannt wird, ist hauptsächlich in den Kantonen Zürich, Aargau, St. Gallen, Schwyz und Schaffhausen im Einsatz, aber auch in Luzern, Zug und im Thurgau. Und sogar über die Landesgrenze hinaus.
Regelmässig ist die rot-weisse Maschine mit dem grossen Schweizerkreuz oberhalb des Heckrotors ennet des Rheins, in Süddeutschland, anzutreffen, wenn eine der dortigen Leitstellen einen Rettungshelikopter anfordert.
Mehr als 1000 Einsätze jährlich
Der Helikopter aus Dübendorf war im vergangenen Jahr 1062-mal in der Luft – so viel wie nie zuvor. Das Arbeitsaufkommen auf der Basis im Glattal ist damit schon seit Jahren eines der höchsten der schweizweit 14 Rega-Basen. Etwa ein Viertel der Flüge findet nachts statt, Tendenz steigend. Wird das Team von «Rega 1» im Zürcher Oberland benötigt, ist jedoch bereits beschäftigt, übernimmt eine andere Crew den Einsatz, meistens diejenige der Basen St. Gallen oder Mollis, oder eine Maschine der Alpine Air Ambulance wird aufgeboten. (ehi)
Die durchschnittliche Einsatzdauer von «Rega 1» beträgt eindreiviertel Stunden. Das ist laut Krivanek sehr lang, aber mit der besonderen Stellung der EBZH erklärbar.
Denn vom Glattal aus werden nicht nur sogenannte Primäreinsätze geflogen, also Einsätze direkt am Ereignisort, etwa bei einem Arbeitsunfall, sondern in über 40 Prozent der Fälle handelt es sich um Sekundäreinsätze. Das sind Verlegungen von einem kleinen Spital in eine Spezialklinik.
Überdurchschnittlich viele Kindertransporte
Unter diese Sekundärtransporte fallen auch Spezialeinsätze, welche das Team für die gesamte Deutschschweiz macht. Zum Beispiel der Transport von massiv übergewichtigen Patienten von über 150 Kilogramm Gewicht oder von solchen, die an einer ECMO angeschlossen sind. Das ist, sehr vereinfacht ausgedrückt, eine maschinelle, künstliche Lunge.
Bei Menschen, die auf derartige medizinische Unterstützungssysteme angewiesen sind, handelt es sich gemäss Krivanek «oft um Hochrisikopatienten». Dasselbe gilt auch für eine andere sehr anforderungsreiche Patientengruppe: Kinder.
Die «Dübendorfer» fliegen überdurchschnittlich viele schwer verletzte oder kranke Kinder. Etwa solche mit einer lebensbedrohlichen Leberschädigung, die jeweils zu Spezialisten nach Genf gebracht werden müssen. Und derartige Einsätze dauern eben, auch wegen der aufwendigen Vorbereitung, länger.
Vier Alarme in 24 Stunden
In den 24 Stunden, in denen Werder, Kaserer und Jöhl Dienst haben, müssen sie schliesslich viermal ausrücken.
Zweimal für eine Verlegung von je einem lebensbedrohlich erkrankten Mann, kurz vor Mittag dann ins Zürcher Oberland, wo ein junger Mann plötzlich schwerste gesundheitliche Probleme hatte, und am Ende der Nacht noch zu einer Seniorin in der Region Schaffhausen, deren Herz-Kreislauf-System nicht mehr mitmachte.
Vier Einsätze in 24 Stunden für vier Menschen, die schnellstmögliche Hilfe benötigten. Eine – mindestens statistisch – absolut durchschnittliche Schicht für das Team von «Rega 1».
Am Samstag Tag der offenen Tür
Zu ihrem 20-Jahr-Jubiläum in Dübendorf öffnet die Rega-Basis für einmal ihre Türen. Am Samstag, 8. Juli, von 10 bis 17 Uhr sind nicht nur ein Rettungshelikopter und ein Ambulanzjet aus der Nähe zu sehen, sondern auch ein Helikopter und eine Drohne, wie sie bei Personensuchen zum Einsatz kommen. Zudem gibt es Informationen aus erster Hand von den Partnerorganisationen wie dem Rettungsdienst Uster und der Alpinen Rettung Schweiz. Für Kinder steht unter anderem eine Hüpfburg bereit.
Es wird die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln empfohlen. Vom Bahnhof Dübendorf (Bushaltestelle Bahnhof Nord) aus verkehren Shuttlebusse zur Rega-Basis. Auf dem Flugplatzgelände stehen kostenlose Parkplätze zur Verfügung. Der Weg dorthin ist ab dem Ortszentrum Dübendorf ausgeschildert. (ehi)