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Drohenbild der Gemeinde Turbenthal.

«Aber hier leben, nein danke»: Was die deutsche Indierock-Band Tocotronic einst sang, gilt laut Gemeinde-Ranking der «Handelszeitung» für Turbenthal im Tösstal. (Archiv) Foto: Simon Grässle

Gemeinde-Ranking

In Maur lässt sich gut leben – aber machen Sie einen Bogen ums Tösstal!

Die «Handelszeitung» hat 954 Schweizer Gemeinden hinsichtlich ihrer Attraktivität bewertet. Das Ranking vermittelt Einblicke, aber keine absoluten Wahrheiten.

«Aber hier leben, nein danke»: Was die deutsche Indierock-Band Tocotronic einst sang, gilt laut Gemeinde-Ranking der «Handelszeitung» für Turbenthal im Tösstal. (Archiv) Foto: Simon Grässle

Veröffentlicht am: 19.09.2024 – 14.33 Uhr

Die ernüchternde Nachricht vorneweg: Anscheinend ist unsere Region nicht so lebenswert, wie wir sie gerne sehen. Schenkt man dem Gemeinde-Ranking der «Handelszeitung» Glauben, dann lebt es sich am besten in der Zentralschweiz: Meggen (LU), Hergiswil (NW) und Oberkirch (LU) belegen die Ränge 1 bis 3 in diesem inoffiziellen «Schönheitswettbewerb» der Schweizer Gemeinden.

Für die Rangliste der «Handelszeitung» wurden alle Schweizer Kommunen untersucht, die mehr als 2000 Einwohner zählen. Das sind insgesamt 954 Gemeinden.

Berücksichtigt wurden acht Kategorien mit insgesamt 51 Faktoren, die bei einem Entscheid über den Wohnort von Bedeutung sind: Dazu zählen die Immobilienpreise, die Höhe der Steuern, die Sicherheit, die Lage der Gemeinde, deren Angebot an Schulen, Betreuungseinrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten. 

Die Studie wurde vom Beratungsunternehmen Iazi im Auftrag der «Handelszeitung» durchgeführt.

«Das Triumvirat des Glücks»

Die attraktivste Adresse im Zürcher Oberland ist laut dieser Studie – wie schon im vergangenen Jahr – die Gemeinde Maur. Sie belegt schweizweit Platz 28 und glänzt vor allem in den Kategorien «Wohnen» und «Steuern».

Studienleiter Donato Scognamiglio ist Verwaltungsratspräsident des Immobilienberatungsunternehmens Iazi und der Bank Avera in Wetzikon (Platz 381 …) und erklärt, welche Faktoren beim Kriterium «Wohnen» entscheidend sind: «Studien zeigen, dass die Nähe zu einem Zentrum, zu einem See und tiefe Steuern am häufigsten nachgefragt werden. Das ist, wenn man so will, das Triumvirat des Glücks.» Hier ist die Gemeinde am Greifensee und in unmittelbarer Stadtnähe tatsächlich gesegnet – wie auch mit einem tiefen Steuerfuss.

Folgerichtig klassieren sich Gemeinden in der Peripherie und mit höheren Steuern am anderen Ende des Rankings: So finden sich im regionalen Vergleich die Tösstaler Gemeinden Turbenthal (Platz 637) und Bauma (703), bildlich gesprochen, ganz im Süden der Tabelle.

Die Studie basiert auf öffentlich verfügbaren Daten wie etwa vom Bundesamt für Statistik, dem Eidgenössischen Steueramt, dem Bundesamt für Raumentwicklung, dem Seco oder dem Bundesamt für Strassen. Dazu kommen die Immobilienpreismodelle von Iazi. 

Überproportional gewichtet haben Scognamiglio und sein Team die Kategorie «Wohnen» und hier vor allem die Immobilienpreise und deren Veränderung während der letzten Jahre. Dabei stehen hohe Preise für eine hohe Nachfrage und folglich für eine attraktive Lage.

Muss man sich in Weisslingen das Frühstück erjagen?

Doch wie seriös ist ein Ranking, das beispielsweise beim Kriterium «Versorgung» die Gemeinde Bauma auf Platz 44 und die Gemeinde Weisslingen auf Platz 715 setzt? Müssen die Wisligerinnen und Wisliger ihr Frühstück etwa selbst jagen, während den Menschen in Bauma gebratene Tauben in den Mund fliegen?

Blick ins Innere eines Migros-Teo-Selbstbedienungsladens.
Der Migros-Teo-Selbstbedienungsladen, der während des Umbaus der Filiale in Bauma stand. (Archiv) Foto: Noah Salvetti

«Die Studie ist seriös», sagt Donato Scognamiglio. Die Datenbasis sei korrekt und die Kennzahlen seien «sauber durchgerechnet».

Bei sehr kleinen Gemeinden stelle sich aber das Problem, dass bereits kleine Veränderungen bei einem Faktor eine grosse Hebelwirkung haben können. Und das wiederum könne zu statistischen Ausreissern führen. Das ist auch der Grund, wieso nur Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern in die Studie aufgenommen wurden.

Statistische Ausreisser …

In der Tat finden sich in der Gemeinde Bauma (4921 Einwohner) schön verteilt ein Migros, ein Volg, ein Avec-Express, ein Agrola-Tankstellenshop, die Bäckerei Voland und die Metzgerei Muu. Zudem verfügt die Gemeinde beispielsweise über eine Apotheke, was ebenfalls in die Kategorie «Versorgung» fällt.

Weisslingen (3458 Einwohner) hat genau eine Adresse, um Lebensmittel einzukaufen: die Dorfstrasse 9, die sich Volg, Landi, Bäckerei und Metzgerei im «Wisliger Märt» teilen. Die nächste Apotheke befindet sich im fünf Kilometer entfernten Fehraltorf (Platz 257).

«Wir verstehen unsere Gemeinde als Sub-Zentrum und wollen diese Funktion auch wahrnehmen», sagt der Baumer Gemeindepräsident Res Sudler (parteilos). Gute Einkaufsmöglichkeiten seien ein Beleg für die gute Wohnqualität in Bauma. Die Gemeinde versucht darum, neben Migros und Volg auch Coop als weiteren Grossverteiler anzusiedeln. Sudler: «Wo wir in diesem Ranking landen, ist zweitrangig.»

… und Raum für Interpretationen

Ein anderes Beispiel ist die Kategorie «Arbeit». Hier stützt sich die Studie unter anderem auf die Anzahl Stellensuchender oder auf den Anteil Beschäftigter im Dienstleistungssektor: Sicher ein Grund, warum Hinwil (Gesamtrang 378) mit einigen stolzen Industrieunternehmen wie Sauber Motorsport, Belimo oder Ferag in dieser Kategorie mit Platz 849 so schlecht abschneidet.

Mit anderen Worten: Die Statistik mag vielleicht nicht lügen, aber sie gibt auch nicht die ganze Wahrheit wieder.

Eindrücke von der Gewerbeschau Wislig.
Auch in Weisslingen ist die Versorgung mit Lebensmitteln gewährleistet, wie dieses Bild von der Gewerbeschau belegt. (Archiv) Foto: PD

Die Interpretation, welche Gemeinde attraktiv und lebenswert sei, hänge immer auch von persönlichen Präferenzen ab, relativiert Donato Scognamiglio: «Wer gern in einer Hügellandschaft lebt, der fühlt sich in Sternenberg wohl. Wer Fläche mag, den zieht es vielleicht eher ins Bieler Seeland.»

Es gibt noch einen weiteren tröstlichen Aspekt für jene Gemeinden in der Region, die im Ranking der «Handelszeitung» schlecht abgeschnitten haben: Auf den Plätzen 952 bis 954 finden sich die Westschweizer Kommunen Le Locle (NE), Chamoson (VS) und Val-de-Travers (JU).

Und nochmals zurück zu Studienleiter Donato Scognamiglio: Der wohnt in Freienstein (Platz 472) – mit Blick auf die Töss ...

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