Sie kommen aus Dübendorf, Zürich, Schwerzenbach und Maur: Auto um Auto, Lastwagen um Lastwagen, Bus um Bus, Töff um Töff. Am Fällander Kreisel, dem offiziell kleinsten Kreisel des Kantons, dreht sich der Verkehr unaufhörlich.
Was für die Privatperson Hansruedi Morgenegg eigentlich ein Graus ist, ist für den Unternehmer Hansruedi Morgenegg ein Segen. «Ein Riesenstandort», sagt er und lacht. «Wenn ich in den Ferien den Begriff Fällanden fallen lasse, ist die Reaktion in der Regel: ‹Ah, das Geschäft beim Kreisel.›»
Seit 1979 ist er mit seiner Fotomedia Morgenegg AG an der Maurstrasse 1 präsent. Er hat die Lage zu seinen Gunsten genutzt, die Fassaden und Fenster für Werbung verwendet und damit seinen Namen, aber auch diejenigen von zahlungswilligen Partnern in den Köpfen der Menschen gespeichert.
Begonnen hatte Morgenegg bereits fünf Jahre vorher. Deshalb feiert er jetzt, immer noch als Inhaber und offiziell auch als Geschäftsführer, mit seiner Firma das 50-Jahr-Jubiläum – und das in einer Branche, die in den letzten drei Dekaden mehrfach totgesagt wurde.
Warum also ist sein Laden immer noch da? «Überall, wo eine Tür zugeht, geht eine auf», sagt der 76-Jährige.
Wie sich im Gespräch herausstellen wird, ist das keine Plattitüde. Sondern eine Devise.
Ein Wirtschaftswunderkind startet durch
Seine Geschichte als Entrepreneur beginnt 1974 in Dübendorf. Direkt beim Bahnhof eröffnet er im Alter von nur 25 Jahren seinen ersten Laden mit einem Kollegen – und jeder Menge Esprit. «Ich bin ein Wirtschaftswunderkind», sagt Morgenegg. «Für mich gab es damals immer nur höher, schneller und weiter.»
Die Zeiten sind rosig, sein mit einem Fotolabor für Schwarz-Weiss-Aufnahmen bestücktes Geschäft läuft gut an. Die Leute brauchen Passbilder, sie lassen Familienbilder anfertigen und geben Fotoaufträge für Reportagen. Die Industrie und das Gewerbe benötigen dagegen Bilder, um sich zu präsentieren.
Als der Partner schnell einmal aussteigt, übernimmt Morgenegg voll und kniet sich noch weiter hinein. Er holt die Ausbildung zum Fotofachmann nach und beginnt, sich in der Berufsschule als Experte und später in der kantonalen Prüfungskommission zu engagieren.
Im Geschäft kommen kontinuierlich Felder hinzu. Der Verkauf von Fotoapparaten, Equipment, Einrahmungen, Poster, Kopien und, ab Mitte der 1980er Jahre, natürlich das Entwickeln von Farbfilmen.
Mit der steigenden Nachfrage geht das Wachstum des Unternehmens einher. 1979 folgt ein zweiter Standort in Fällanden, später auch noch Filialen im Schwerzenbacher Chimlimärt (1987 bis 1996) und in Glattbrugg (1996 bis 2004).
Dazu wird viel Geld in Infrastruktur investiert, etwa in damals moderne Minilabs zur analogen und später auch zur digitalen Filmentwicklung. Zu den besten Zeiten hat Morgenegg 19 Angestellte auf der Lohnliste.
Und plötzlich wird der Wandel zur Konstante
Gleichzeitig ziehen ab Mitte der 1990er Jahre Wolken auf: Die Digitalisierung hält Einzug – und erfasst ziemlich schnell einmal die Fotobranche. «Die Entwicklung von chemischen Bildern brach nach und nach weg, das hat die Umsätze schmelzen lassen», erinnert er sich. «Wir sind vom rasanten Tempo alle überrascht worden.»
Diese Entwicklung kommt einer Zäsur gleich. Geht es bis dahin vor allem darum, mit den neuen Möglichkeiten Schritt zu halten, um damit weiterzuwachsen, muss man nun ihre Folgen antizipieren, um im Geschäft zu bleiben. Es geht Schlag auf Schlag: das Smartphone, die sozialen Medien, Internetdienste, E-Commerce.
Die zentralen Fragen lauten jetzt: Wo könnte die nächste Innovation hingehen? Und wie soll ich darauf reagieren, um davon profitieren zu können? Die Anpassungsfähigkeit wird zur Maxime, das Erschliessen neuer Einkommensquellen zum Gebot.
Diese Haltung hat Hansruedi Morgenegg verinnerlicht. Doch er agiert nicht defensiv, sondern zieht, nachdem ihm 2006 am Dübendorfer Standort in der Bahnhofstrasse gekündigt wurde, an einen grösseren an der Oskar-Bider-Strasse um und erstellt dort ein grosses Fotostudio. 2007 übernimmt er für drei Jahre den Vorsitz des Schweizerischen Fotohändlerverbands Imaging Swiss.
Er profitiert dabei davon, dass er seinen Betrieb immer als Familienbetrieb geführt hat. Die Frau hilft praktisch von Beginn weg mit, die vier Kinder ebenfalls. Die Töchter und der Sohn übernehmen zwischenzeitlich sogar die Geschäftsleitung, geben diese aber 2014 ab, als das Unternehmen den Standort aufgibt und sich an die Maurstrasse in Fällanden zurückzieht.
Dass es mit der familieninternen Stabübergabe nicht klappt, nimmt der Patron seinen Kindern nicht übel: «Sie haben mir lange den Karren gezogen, dafür bin ich extrem dankbar.» Die Schuld sieht er auch bei sich. «Schwieriger Vater, schwierige Kinder», sagt er schmunzelnd.
Ausbildung als Business-Modell
Ein kompletter Rückzug wird es also nicht. Doch in den letzten zehn Jahren konsolidiert sich das Geschäft in Fällanden. Mit dem Verkaufsleiter Samuel Pfleumer und der Studioleiterin Renate Beniczky verantworten heute zwei Personen in einer Co-Führung das Tagesgeschäft.
Unterstützt werden sie in erster Linie von Fotofach- und Fotomediafach-Lernenden – nach den Sommerferien werden es deren vier sein. Eine Tradition, die Hansruedi Morgenegg wichtig ist und die zur DNA seiner Firma gehört.
Mehr als 70 habe man schon ausgebildet. «Und es freut mich riesig, dass wir für jede ausgeschriebene Lehrstelle immer noch jede Menge Bewerbungen bekommen. Das Metier ist bei den Jungen immer noch gefragt.»
Die Handschrift des Inhabers liest man aber natürlich auch an diesem markanten Gebäude beim Fällander Kreisel, das in der Region und darüber hinaus eigentlich jeder kennt und dessen Fassade grossflächig genutzt wird, um Services anzubieten.
Im Innern finden sich neben der Verkaufs- und Beratungsfläche zwei Fotostudios. Hier entstehen tagein, tagaus Bewerbungsfotos, Familienfotos, Passfotos – ja, auf Wunsch sogar Aktfotos.
Generell ist die Fotografie – erfolgt sie nun im Studio oder per Auftrag – die zuverlässigste und tragfähigste Säule. Während der Verkauf von Artikeln traditionell tiefe Margen liefert und mit dem Siegeszug des Internethandels noch stärker unter Druck geraten ist, garantiert dieses Feld seit je Umsätze.
«Damit haben wir uns einen Namen gemacht. Sie war, ist und bleibt auch künftig unser mit Abstand stärkstes Standbein», sagt Morgenegg.
Im Keller erkennt man derweil die Spuren der Zeit. Hier, wo einst das grosse Fotolabor eingerichtet war, stehen heute grosse Druckmaschinen, ein Archiv mit Negativen und ein kleines Studio mit zahlreichen Bildschirmen und Videorecordern.
«Die Digitalisierung von alten Filmbändern, VHS-Kassetten, Camcordern, DVDs und anderen Medienträgern ist ein einträgliches und wachsendes Geschäft», erklärt Morgenegg. Die Idee dazu kommt von seinem Schwiegersohn, der diese Aufgabe gleich selbst übernimmt – und der als gelernter Coiffeur in einem kleinen Nebenzimmer zwischendurch auch noch Haare schneidet.
Auch der Inhaber selbst erschliesst in den letzten zehn Jahren noch eine zusätzliche Quelle. Über die Internetauktionsplattform Ebay verkauft er altes Material und Occasionen. «Das habe ich mir im Pensionsalter noch selbst beigebracht», betont er.
Keine Angst vor der KI
Mit der künstlichen Intelligenz (KI), der nächsten ganz grossen Herausforderung für die Branche, hat er sich im Detail noch nicht auseinandergesetzt. Vielleicht muss er das gar nicht mehr, seine Lernenden nutzen die Techniken schliesslich jetzt schon mit Flair. Stolz zeigt Morgenegg ein Banner mit alten Kameras, das den Occasionshandel bewirbt. «Das hat eine Lernende gestaltet. Sieht super aus, nicht?»
Angst, dass dieses neue, revolutionäre Phänomen sein Lebenswerk gefährden wird, hat er keine. Im Gegenteil. Er sagt: «Die KI ist emotionslos, das ist ein ganz grosser Nachteil für sie. Umgekehrt können wir nun schauen, wie wir sie uns zunutze machen können. Sie wird uns helfen.»
Woher dieser Optimismus? Aus dem Alter? Aus dem Wissen, dass es schon immer irgendwie weitergeht? «Vielleicht», meint Hansruedi Morgenegg. «Ich bin ein Mensch, der die Probleme erkennt, aber nie schwarzsieht. Gut möglich, dass die letzten 50 Jahre in dieser Branche ihren Teil dazu beigetragen haben.»