Eine Trendwende im Geschäft mit professionellen Flugsimulatoren bahnt sich an – und ein Start-up aus dem Zürcher Oberland ist an der Spitze der technologischen Entwicklung dabei.
Die in Dübendorf beheimatete Loft Dynamics AG hat den weltweit ersten und noch immer einzigen Virtual-Reality-Simulator für Helikopter entwickelt, der von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) qualifiziert wurde. Damit können an die Flugausbildung anrechenbare Trainings und Flugprüfungen durchgeführt werden.
Mit Hightech vom Start-up zum etablierten Unternehmen
Über 50 Mitarbeitende zählt die Loft Dynamics AG in Dübendorf aktuell. Ingenieure aus den Fachrichtungen Maschinenbau und Elektrotechnik wie auch Physiker arbeiten mit Einsatz von Spitzentechnologie an der Entwicklung des Simulators.
Viele sind aus der Region und haben das Studium an der OST in Rapperswil absolviert. 30 Mitarbeitende waren es im Januar, gegen 70 sollen es Ende Jahr sein. Die Zeichen stehen auf Wachstum, nicht erst seit sich eine Gruppe US-amerikanischer Investoren mit 20 Millionen Dollar am Unternehmen beteiligt hat.
Doch der Reihe nach: Wer Google die Frage stellt, wie viel ein richtiger Flugsimulator kostet, der erhält diese Antwort: «Moderne Simulatoren kosten je nach Flugzeugmodell bis zu 18 Millionen Euro bei einem Gewicht von 15 Tonnen, die im Sekundenbereich bewegt werden wollen.»
Moderne Flugsimulatoren – ob für Flugzeuge oder Helikopter – sind 1:1-Nachbauten von richtigen Cockpits, oft riesengross, immer vollgepackt mit Technologie, sie benötigen grosse Hallen und sind entsprechend teuer.
Und das unterscheidet sie entscheidend von den Simulatoren von Loft Dynamics. Denn diese basieren auf Virtual-Reality-Technologie und können dank der kompakten Bauweise in einem Büroraum installiert werden. Der Pilot zieht sich eine VR-Brille an, in der er oder sie das Cockpit und die Landschaft dreidimensional und mit höchster Auflösung sieht – sogar mit Sonneneffekten wie Schatten.
Dies ist speziell wichtig, um den Helikopter in Bodennähe genau zu manövrieren. «Dies ist in herkömmlichen Simulatoren, in denen die Piloten vor grossen, aber zweidimensionalen Projektionen sitzen, nicht möglich», sagt Gründer und CEO Fabi Riesen. «Die hochdynamische Bewegungsplattform gibt dem Piloten das Gefühl zu fliegen. Die Berührung der Kufen mit dem Boden ist exakt spürbar, was speziell für Hanglandungen wichtig ist.»
Das Team von Loft Dynamics hat das Cockpit mit allen Schaltern und Knöpfen exakt nachgebaut. Einzigartig ist die Abbildung des Körpers des Piloten in der virtuellen Realität. Die Position der Hände mit den Fingern wird von Kameras exakt erfasst und als Avatar in der virtuellen Welt abgebildet. Dies ermöglicht ein intuitives Bedienen der Knöpfe – wie echt.
«Auch das Flugverhalten ist realistisch. Loft Dynamics arbeitet direkt mit den Helikopter-Herstellern zusammen», erklärt Fabi Riesen.
Besser – und 20-mal billiger
«Unser Simulator ist nicht nur besser als die bestehenden, traditionellen Flugsimulatoren, sondern auch viel kostengünstiger», sagt Riesen, und präzisiert das Wort «kostengünstiger»: «Wir sprechen hier von Faktor 20.» Da Loft Dynamics nicht über Preise sprechen will, ist jedem freigestellt, die oben erwähnten 18 Millionen durch 20 zu teilen …
Statt zehn Tonnen wiegt die gesamte Konstruktion inklusive beweglicher Bodenplatte gerade einmal 500 Kilogramm. Das macht den VR-Simulator agiler und damit deutlich realitätsnaher als die grossen und schweren Konkurrenzprodukte.
Dadurch ist ein solcher Simulator auch für kleinere Heli-Firmen erschwinglich und kann direkt vor Ort installiert werden. Dies erspart zeitaufwendige Reisen zu Simulator-Trainings.
So steht beispielsweise auf dem Heliport der Air Zermatt ein VR-Simulator für den Airbus-Helikopter H125. Damit können die Piloten sowohl Trainingsflüge durchführen wie auch ihre jährlichen Checks zur Erneuerung der Typenberechtigung und die halbjährlichen, von der EASA vorgeschriebenen, operationellen Checkflüge absolvieren.
Bis anhin haben die Piloten der Air Zermatt diese Flüge auf dem richtigen Helikopter absolviert. Dies ist teuer. Zudem kann der Helikopter in dieser Zeit nicht produktiv genutzt werden.
Und vor allem können Fehlfunktionen im richtigen Helikopter nur angesprochen oder teilweise simuliert werden. Dies zum Teil mit erhöhtem Risiko für einen Zwischenfall.
Nicht so im Simulator: Sämtliche Notverfahren, beispielsweise ein Triebwerkausfall mit kontrollierter Notlandung, können gefahrlos geübt und repetiert werden. Die Piloten können zu jeder Tages- oder Nachtzeit wetterunabhängig im Simulator fliegen. Und da das Gerät von Loft Dynamics elektrisch betrieben wird, kann das sogar CO2-neutral geschehen.
Vermeidung von Unfällen
Unfälle mit dem Helikopter enden nicht selten tödlich. Aktuell kommt es in Europa im Durchschnitt jede Woche zu einem Helikopterunfall. «20 bis 30 Prozent ereignen sich auf einem Trainings- oder Checkflug», erklärt Fabi Riesen.
Das ist auch der Grund, warum sich die Europäische Agentur für Flugsicherheitsich seit einiger Zeit mit der Problematik befasst und im Jahr 2018 auf ein Youtube-Video der Dübendorfer Ingenieure stiess. Fabi Riesen dokumentierte seine Arbeit schon damals regelmässig mit kurzen Filmchen auf der Plattform.
Familienprojekt im Wohnzimmer
Hauptberuflich war der Elektroingenieur zu jener Zeit in der Software-Entwicklung beim Schweizer Ableger des US-Konzerns Cisco Systems tätig. Am Simulator tüftelte er mit dem Einverständnis seines Arbeitgebers in der Freizeit. 2015 entstand der erste funktionsfähige Simulator im Wohnzimmer der Familie Riesen. Daher rührt auch der Name «Loft Dynamics».
Riesen: «Der Simulator funktionierte. Aber ohne Zulassung war er letztlich nicht mehr als ein Spielzeug.» Zudem waren die 3D-Brillen zu jener Zeit noch zu wenig leistungsfähig: «Uns war klar, dass es eine Auflösung von 8K braucht, und wir gingen von der Annahme aus, dass dieser Wert in nicht allzu ferner Zukunft erreicht würde.»
2017 entwickelte Riesen einen ersten Prototyp: «Wir gingen damit an jede Hundsverlochete.» Mehr als 700 Piloten testeten an diesen Fachmessen, Ausstellungen und Flugshows den neu entwickelten VR-Simulator und gaben ihr Feedback ab.
Der Anruf, der alles veränderte
Und dann kam das Jahr 2018 und ein Telefongespräch, das alles verändern sollte: «Ich erhielt einen Anruf von einem Herrn, der sich als Vertreter der EASA vorstellte.
Er habe unser Video gesehen und würde sich den Simulator gerne in echt anschauen. Zuerst dachte ich an einen Scherz.» Kurze Zeit später folgte eine ausführliche E-Mail vom Sitz der Behörde in Köln, und nochmals wenige Tage später kündigten die EU-Beamten einen Besuch an.
«Ein Arbeitskollege fuhr mit seinem Mazda nach Kloten, um den Mann abzuholen», erzählt Riesen und lacht laut: «Nur stand da nicht ein Beamter, sondern fünf Männer in Anzügen! Es hatte nicht mal für alle Platz im Auto …»
Trotz des Missverständnisses gefiel den Besuchern, was sie anschliessend sahen. 2019 konnte Loft Dynamics mit der Behörde ein Innovationsprojekt aufsetzen.
In diesem wurde der Nutzen der VR-Technologie für Pilotentraining erforscht. «Wir haben Geld zusammengekratzt und das Team aufgestockt. Ziel war, aus unserer Passion für die Fliegerei den geilsten Simulator der Welt zu bauen», erzählt Riesen, selbst ein begeisterter Hobbypilot.
Der weltweit erste qualifizierte VR-Simulator
Im Frühjahr 2021 war es so weit: Die EASA qualifizierte den Simulator für den Robinson R22. Der zweiplätzige Helikopter ist der weltweit meistverbreitete Schulungshelikopter. Die Flugschule Heli Academy mit Basen auf dem Flugplatz Speck in Fehraltorf, in Zürich und in Sitterdorf betreibt in Dübendorf einen R22-Simulator von Loft Dynamics.
Ein Jahr später qualifizierte die EASA auch den VR-Simulator für den Airbus H125. Auf die Frage, für wie viele verschiedene Typen weitere Simulatoren dazukommen sollen, zeigt Fabi Riesen auf ein Poster, das hinter ihm an der Wand hängt. Darauf rund 100 Helikopter: «Das System lässt sich beliebig skalieren.»
Aktuell produziert Loft Dynamics 20 bis 30 Simulatoren im Jahr und schreibt schwarze Zahlen. Die Produktion erfolgt von der Software bis zum fertigen Produkt in Dübendorf.
Vor einer Woche konnte das Unternehmen einen weiteren wichtigen Schritt bekannt geben: Das kanadische Unternehmen Blackcomb Helicopters erwarb einen VR-Simulator für den Airbus H125 und wird ihn für Trainingsflüge einsetzen. Gleichzeitig gehen die beiden Firmen eine Kooperation mit dem kanadischen Verkehrsministerium Transport Canada ein. Ziel ist die Zertifizierung des Systems in Kanada und in den USA.
Das nächste Projekt ist ein qualifizierter VR-Simulator für den Airbus H145.
Das Potenzial für das im Zürcher Oberland ansässige Unternehmen ist enorm.