Als auch die letzten sphärischen Klänge des Stücks «This Bitter Earth/On the Nature of Daylight» sich in Melancholie aufgelöst haben, bricht in die kurze Stille lauter Applaus. Leandra Tzimpoukakis steht in ihrem königsblauen Kostüm auf dem Eis, atmet zweimal schwer aus und dann strahlt sie.
Die 15-Jährige vom Dübendorfer Eislaufclub hat an der Juniorinnen-WM im ungarischen Debrecen gerade die beste Kür ihrer bisherigen Karriere gezeigt. Ihr Auftritt war dynamisch und kontrolliert zugleich, mit acht kraftvollen Dreifachsprüngen und sauberen Pirouetten.
Die Jury belohnt die junge Schweizerin mit 118,2 Punkten, wodurch sie in der Endabrechnung in der Kür Rang 7 belegt. Zusammen mit dem Ergebnis des Kurzprogramms (Rang 10) erzielt Tzimpoukakis auch insgesamt eine neue persönliche Bestleistung. Das reicht für Schlussrang 9.
Inzwischen ist die zweifache Schweizer Juniorinnenmeisterin wieder zu Hause und sagt: «Mir wird erst jetzt richtig bewusst, dass ich nun zu den zehn besten Juniorinnen im Eiskunstlauf auf der ganzen Welt gehöre.»
Nach dem Gewinn der Bronzemedaille an den Europäischen Jugendspielen (EYOF) ist der Top-Ten-Platz an der WM der nächste internationale Erfolg für Tzimpoukakis innerhalb kurzer Zeit.
Leandra Tzimpoukakis am Olympischen Festival der Europäischen Jugend. Quelle: yotube.com
Zurückhaltung gehört nicht zum Charakter der quirligen 15-Jährigen. Statt an der WM auf Sicherheit zu setzen, wagt es Leandra Tzimpoukakis, auf der grossen Bühne in Debrecen den Dreifach-Axel zu präsentieren – den Königssprung des Eiskunstlaufs.
Als einziger Sprung wird er vorwärts abgesprungen, was eine zusätzliche halbe Drehung erfordert und nach der perfekten Kombination aus Kraft, Technik, Höhe und Rotationsgeschwindigkeit verlangt.
Nur wenige beherrschen den Sprung
Weltweit beherrscht nur eine sehr kleine Elite von Eiskunstläuferinnen den dreifachen Axel. Derzeit sind es schätzungsweise insgesamt ein Dutzend Startberechtigte in der Juniorinnen- und Elitekategorie. In der Schweiz war bislang einzig die inzwischen 27-jährige Zürcherin Yasmine Yamada in der Lage, den Sprung zu meistern, anders als Tzimpoukakis zeigte sie ihn aber nie an einem Grossanlass.
Und da selbst die momentan führende Schweizer Eiskunstläuferin, Kimmy Repond, den Dreifach-Axel nicht in ihrem Programm hat, ist Tzimpoukakis’ WM-Kür eine bemerkenswerte Premiere.
Die ehemalige Eiskunstläuferin Sarah van Berkel betont, dass ein «Superelement» allein noch keinen Spitzenplatz garantiere. «Erst wenn eine Athletin genug Konstanz über zwei Programme aufweist, kann ein Sprung wie der dreifache Axel entscheidend sein.»
Das sei bei Tzimpoukakis der Fall, sagt sie.
Sogar die Europameisterin gab auf
Van Berkel, die 2011 Europameisterin wurde, übte den Königssprung in ihren besten Jahren als Eliteläuferin ab und zu, kam aber nie in die Nähe einer präsentablen Version: «Nicht einmal im Training ist mir die Rotation jemals ganz geglückt.»
Leandra Tzimpoukakis hat den dreifachen Axel als erstes und schwierigstes Element in ihre gegenwärtige Kür integriert. Bei der Weltmeisterschaft erhielt sie für ihre Ausführung Abzug, weil die letzte Rotation unvollständig war. Hier sieht sie also noch Verbesserungspotenzial.
An die Tatsache allerdings, dass sie für einen einfacheren, dafür perfekt ausgeführten Sprung mehr Punkte erhalten hätte, verschwendet sie keine Gedanken: «Ich bin einfach sehr stolz darauf, dass ich diesen Axel im Wettkampf zum ersten Mal sicher gestanden bin, und werde weiter daran arbeiten.»
Dass sie springen kann wie keine zweite Juniorin in der Schweiz, ist in der Eiskunstlaufszene schon länger bekannt. Schon mit zwölf Jahren beherrschte Tzimpoukakis fast alle Dreifachsprünge und stand diese bald darauf mit einer Sicherheit, die ihr den Spitznamen «Miss Stability» einbrachte.
Diesem Ruf wurde sie nun auch an ihren ersten Weltmeisterschaften gerecht.
In der Eishalle in Debrecen gab es, wie im Eiskunstlauf üblich, eine «Kiss & Cry Couch» für die führenden Läuferinnen. Das hat die Sekundarschülerin bei ihrer WM-Premiere besonders begeistert: «Es war organisiert wie bei der Elite, so richtig cool!»
Auch sie selbst durfte zwischenzeitlich auf dem petrolfarbenen Plüsch Platz nehmen. Und hat daran definitiv Gefallen gefunden.