Er hat gekündigt. Im familieneigenen Unternehmen. Und die Eltern haben sich auch noch darüber gefreut. Dimitri Steinmann sitzt in der Squash-Anlage von GC, nippt an einem Kaffee und sagt grinsend: «Es war ein cooler Moment.»
Squash-Profi ist Steinmann schon lange. Als 19-Jähriger brach er das Gymi ab, um sich voll und ganz seiner Sportart zu widmen. Unterdessen ist er nicht nur der bestklassierte Schweizer in der Weltrangliste, sondern im Herbst auch in den Top 20 der Welt angelangt. Auf Platz 18 liegt der Dübendorfer derzeit.
Dass er seinen Job gekündigt hat, hängt aber nicht direkt mit dem sportlichen Erfolg zusammen, sondern mit der längerfristigen Perspektive. Seit dem 1. Februar ist Steinmann als Spitzensport-Zeitsoldat bei der Schweizer Armee angestellt. Das 50-Prozent-Pensum dauert bis zu den Olympischen Sommerspielen 2028 in Los Angeles. «Ich stand im Gubrist im Stau, als ich den Anruf bekam. Ich hatte das überhaupt nicht erwartet», sagt Steinmann. 50 Bewerbungen erhielt die Armee für neun Stellen. «Dass man auf mich setzt, bedeutet mir sehr viel.»
Es ist das erste Mal in der Karriere, dass er nicht nebenher noch in einem kleinen Pensum arbeiten muss, um seine Karriere mitzufinanzieren. Sorglos zurücklehnen und nur noch trainieren kann er nicht. «Je höher man in der Weltrangliste steht, umso grösser wird das Team», sagt er, «am Ende bin ich der Chef und muss gut haushalten.» Was er einnimmt, investiert er in seine Karriere – das gilt auch für Preisgelder. Und doch sagt er über den Vertrag mit der Armee: «Das nimmt unglaublichen Druck von mir.»
Olympia-Faszination mit Knalleffekt
Dass er dereinst überhaupt diese Möglichkeit haben würde, damit hatte Steinmann nicht gerechnet, als er auf die Karte Spitzensport setzte. Ausgerechnet er, dessen Eltern Peter (Moderner Fünfkampf) und Claudia (Synchronschwimmen) beide Olympiateilnehmer waren, entschied sich mit Squash für eine Sportart, die sich immer wieder um die Aufnahme ins Olympia-Programm bemühte, aber nie in die Kränze kam.
«Ich bin mit dem olympischen Spirit aufgewachsen», sagt er, «mein ganzes Leben dreht sich darum. Als Dreijähriger schaute ich die Spiele 2000 in Sydney am TV und liebte das Tontaubenschiessen – einfach, weil es so laut knallte.» Die Olympischen Spiele zu sehen, war für ihn jedes Mal ein prägender Moment – ebenso prägend, wie der Herbst 2023, als klar war, dass Squash olympisch wird. «Ich brauchte einige Zeit, um zu realisieren, dass ich in meinem Sport die Chance habe, an die Spiele zu gehen, und wenn alles klappt, dort auch noch eine Medaille gewinnen kann. Es ist cool, so ein Ziel zu haben.»

Für Steinmann rückt ein Traum in greifbare Nähe, von dem er sich vermeintlich verabschiedet hatte, als er sich für Squash entschied. Und er spürte immer wieder, dass ein solches Langzeitziel fehlt. Steinmann sagt, er habe sogar in Betracht gezogen, nach seiner Squash-Karriere auf eine olympische Disziplin umzusatteln, um doch noch Spiele als Athlet zu erleben, «als Bob-Anschieber oder so».
Ob Koketterie oder realistisches Szenario: Es zeigt, was für eine Bedeutung die fünf Ringe haben. Auch die Tatsache, dass das Logo der Spiele in Los Angeles 2028 das Hintergrundbild auf Steinmanns Handy ist, illustriert das. «An die Spiele will ich, das ist tief in mir drin.»
Im Zirkus dreht er sich im Kreis
Vielleicht ist es auch jene Perspektive, die Steinmann brauchte, um den Durchbruch ganz an die Spitze zu schaffen. Seine Leistungskurve zeigte zwar stetig nach oben, Jahr für Jahr verbesserte er sich im Ranking – anfangs war der Anstieg steil, in den letzten Jahren flachte er ab.
Es ist wie beim Bergsteigen: Je weiter oben, desto dünner die Luft und beschwerlicher die Schritte. Dazu kommt bei Steinmann: Er drehte sich quasi im Kreis. «Es ist wie ein Zirkus, der ständig weiterzieht. Irgendwann hast du auf all diesen speziellen Courts gespielt. Und dann fragst du dich, wie lang du das noch machen willst.»
Nun ist es nicht so, dass der 27-Jährige sich schon mit Rücktrittsgedanken befasst hätte – der unbedingte Wille, der Beste zu sein, ist tief in ihm verankert. «Das ist meine grösste Stärke und meine grösste Schwäche», sagt er. Doch erst jetzt hat er ein langfristiges Ziel am Horizont.
Was für andere Jahr für Jahr das British Open ist – das älteste Profiturnier hat ähnlich viel Prestige wie Wimbledon im Tennis –, bedeutet ihm nicht mehr als sein eigenes Heimturnier. «Klar will jeder das British Open gewinnen, es ist ein cooler Titel. Aber mir persönlich würde es gleich viel bedeuten, den GC-Cup zu gewinnen.»

Und noch viel mehr bedeuten ihm Medaillen an Grossanlässen – wie eben Olympia. Davon hat er schon mehrere: zweimal Bronze an der Team-WM, einmal Bronze an der Team-EM und Silber an der Einzel-EM 2024. Wer nun glaubt, er gewichte die Einzel-Medaille am höchsten, irrt – «wenn mit einem Team alles aufgeht, ist das das Coolste, was man als Einzelsportler erleben kann.»
Das überrascht, zumal Steinmann kompromisslos ist, was sein Streben nach Erfolg anbelangt. Er ordnet dem Sport alles unter – und bezeichnet das auch als Schwäche, weil sein Umfeld darunter leiden kann. «Man muss Entscheidungen treffen, die zwischenmenschlich nicht immer einfach sind. Für eine Freundin ist es nicht einfach, nachzuvollziehen, weshalb man schon wieder zwei Monate weg ist. Weil nicht sie das Wichtigste im Leben ist, sondern der Sport.»
Der Weltenbummler auf der Suche nach Konstanz
Tatsächlich ist Steinmann ein Weltenbummler. Eben war er in New York an einem Platin-Turnier und trainierte dort nach dem Erstrunden-Out gegen die Weltnummer 12 weiter mit hochklassigen Sparringspartnern. Für einige Tage kehrte er dann in die Dübendorfer Heimat zurück, ehe er den ganzen Februar wieder in Nordamerika verbringt. Wenn es hochkommt, ist er drei Monate pro Jahr zu Hause, schätzt Steinmann. Und dann pendelt er auch noch nach Deutschland, nach Würzburg, wo er bei der ehemaligen Weltnummer 3 Simon Rösner trainiert.
Alles ist auf 2028 ausgerichtet. 31 Jahre alt wird er dann sein – im sprichwörtlich besten Alter für diesen Sport. Auf dem Weg dorthin gilt es noch einen grossen Pflock einzuschlagen: Steinmann will in den nächsten ein bis zwei Jahren in die Top 8 der Welt vorstossen. Dann wäre er in jedem Turnier gesetzt. «Besser noch die Top 4.» Und er glaubt, dass es nur noch etwas braucht, um das zu erreichen: Konstanz. «Du musst wissen, wie du dich selbst überlisten kannst, um auch dann deine Leistung zu bringen, wenn du am Morgen mal nicht so gut aufstehst. Man muss aus jedem Tag das Maximum herausholen. Oder noch etwas mehr.»