Zu Bronze reicht es ihr. Die Medaille ist keine Selbstverständlichkeit. Vor allem, weil Livia Kaiser zunächst im Kurzprogramm zweimal stürzt. Und damit vor der Kür mit beträchtlichem Rückstand nur auf Platz 5 klassiert ist. Tatsächlich kann sich die 19-Jährige vom Dübendorfer Eislaufclub im zweiten Wettkampfteil steigern. Nach sechs gestandenen Dreifachsprüngen schafft sie es an den Schweizer Meisterschaften in Küsnacht noch aufs Podest.
Besser sind einzig die favorisierte Baslerin Kimmy Repond, die Dritte der letzten Europameisterschaften im finnischen Espoo – sowie die aufstrebende Anthea Gradinaru. Kaisers Vereinskollegin wird im Januar 2024 gerade mal 15 Jahre alt. Sie überzeugt an ihren ersten nationalen Titelkämpfen auf Elite-Stufe durch Gleitvermögen und ebenfalls sechs gelungene Dreifachsprünge.
Nur: Wie muss man das Resultat von Kaiser einordnen? Gerade nachdem sie vor einem Jahr in Chur den Titel gewonnen hatte – und hinterher an der EM und an der Junioren-Weltmeisterschaft in Calgary (CAN) teilnehmen konnte. Besonders ist insofern, dass ihr für einmal das Kurzprogramm nicht wunschgemäss gelingt. Jener Bereich also, wo sie zumeist die bessere Punktzahl erzielt.
«Dafür hat Livia eine sehr starke Kür gezeigt», bekräftigt Richard Leroy, Chef Leistungssport Eiskunstlauf und Eistanz bei Swiss Ice Skating. Unbestritten ist ohnehin, dass Kimmy Repond derzeit die stärkste Schweizer Läuferin ist. Erst 17 Jahre jung ist diese und zählt bereits zum Kreis der erweiterten Weltspitze.
Oft fehlt noch Konstanz
Grosses Potenzial ortet Leroy auch bei Kaiser. «Sie ist eine technisch starke Läuferin. Mit ganz viel Qualität in ihren Sprüngen», sagt der Franzose. Noch kann Kaiser aber ihre Leistungsfähigkeit nicht immer abrufen. So, wie an der SM. Oder auch an den bereits erwähnten Europameisterschaften, wo sie nach einem guten Kurzprogramm vom 9. auf den 18. Platz zurückgefallen ist.
Livia setzt sich als Perfektionistin manchmal zu sehr unter Druck.
Richard Leroy
Chef Leistungssport Eiskunstlauf und Eistanz bei Swiss Ice Skating
Ähnlich lief es ihr an der Junioren-WM, an der sie Rang 22 belegte. «Livia setzt sich als Perfektionistin manchmal zu sehr unter Druck», findet Leroy. Um in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen, arbeitet sie auch mit einem Mentalcoach zusammen. Für Leroy ist aber ohnehin klar: «Gerade mit ihrer Einstellung ist sie für viele jüngere Läuferinnen ein grosses Vorbild.»
Zu welchen Auftritten sie imstande ist, zeigte Kaiser dafür beispielsweise Mitte November beim Warschau Cup in Polen, den sie in einem Feld von 30 Läuferinnen als Fünfte beendete – mit einer persönlichen Bestleistung im Kurzprogramm (62,21 Punkte) und im Total (173,20) – obwohl ihr in der Kür nicht einmal alles wunschgemäss gelang.
Es ist daher auch keine Überraschung, dass Kaiser vom Verband diese Woche – gemeinsam mit Repond – für die EM von Mitte Januar 2024 im litauischen Kaunas selektioniert wurde. Einerseits, weil sie den zweitbesten Punktewert hat und die SM-Zweite Gradinaru ohnehin zu jung für eine EM-Teilnahme ist.
Früh aufstehen fürs Training
Für Livia Kaiser ist es auch ein nächster Lohn für den ständigen Spagat zwischen Sport und Schule. Sie sagt: «Ich stecke meine ganze Freizeit ins Eiskunstlaufen.» Und nicht nur das. Seit vielen Jahren schon reist sie fast täglich von ihrem Heimatort im Kanton Thurgau nach Dübendorf, wo sie von der renommierten Trainerin Linda Van Troyen betreut wird.
An gewissen Tagen muss Kaiser bereits um Viertel nach fünf in der Früh auf den Zug. Nach dem Training gehts oft gleich direkt ans Sportgymnasium Rämibühl nach Zürich. «Es braucht schon Organisation. Beklagen will ich mich deshalb aber nicht», so die Läuferin des Dübendorfer EC. Dies könnte sich aber ohnehin bald ändern. Sobald sie die Matur in der Tasche hat. Möglich ist, dass Kaiser dann eine Zeit lang ganz auf die Karte Eiskunstlaufen setzt.
Inspiriert wurde die Thurgauerin übrigens als Siebenjährige durch Sarah Meier, als sie diese an den Europameisterschaften im Fernsehen laufen sah. Da war für sie gleich klar: «Das will ich auch machen.» Zwölf Jahre sind seither vergangen, als Meier den letzten EM-Titel für die Schweiz holte.
Für Kaiser wäre ein solches Ziel (noch) vermessen. Mit guten Leistungen kann sie sich an der EM aber für die WM vom März 2024 in Montreal (CAN) aufdrängen. «Das ist durchaus realistisch», findet selbst Richard Leroy, der Leistungssport-Chef.
Ein Dübendorfer Podest
An der SM in Küsnacht räumte der Dübendorfer Eislaufclub auch bei den Juniorinnen ab. Titelgewinnerin Leandra Tzimpoukakis überzeugte dabei mit Sprungsicherheit. Anastasia Brandenburg führte nach dem Kurzprogramm, musste aber zu Beginn der Kür zwei Sprungpatzer in Kauf nehmen. In der Folge blieb sie fehlerlos und wurde dafür mit Silber belohnt. Olivia Bacsa vervollständigte das Dübendorfer Trio auf dem Podest. (ako)