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Politik
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Aufnahme eines Verkehrsschilds, links und rechts oben ist je ein Porträtfoto einer Person eingefügt.

Im Interview legen Patrick Walder und Nicole Zweifel ihre Argumente auf den Tisch. Fotos: Thomas Bacher/PD

«Mitbestimmen bei Temporeduktionen»

«Bürokratiemonster» – oder Demokratisierung der Verkehrsplanung?

In rund zwei Wochen stimmen die Dübendorfer über die Umsetzungsvorlage «Mitbestimmen bei Temporeduktionen» ab. Welche Folgen hätte ein Ja? Patrick Walder (SVP) und Nicole Zweifel (GEU/GLP) sind komplett anderer Meinung.

Im Interview legen Patrick Walder und Nicole Zweifel ihre Argumente auf den Tisch. Fotos: Thomas Bacher/PD

Veröffentlicht am: 01.05.2025 – 14.10 Uhr

Patrick Walder, Gemeinderat (SVP)

Herr Walder, die Gegner warnen davor, dass ein Ja zur Umsetzungsvorlage viel Aufwand mit entsprechenden Kosten verursachen würde. Die SVP hat stets widersprochen, doch im vergangenen November wurde im Gemeinderat über eine 20 Meter lange Tempo-30-Zone debattiert ... 

Patrick Walder: Diese Strasse im Zwicky-Areal hat eben gezeigt, dass es funktioniert und dass die SVP nicht grundsätzlich gegen Tempo 30 ist. Wären die anderen Parteien nicht bereits im Abstimmungskampf-Modus gewesen, wäre das Geschäft sehr schnell abgehandelt gewesen. 

Die Gegner sprechen aber von einem «Bürokratiemonster», weil das Verfahren durch die Verschiebung der Kompetenzen vom Stadtrat zum Gemeinderat extrem verkompliziert werde.  

Bei nicht umstrittenen Tempo-30-Zonen fällt der Mehraufwand vom Stadtratsbeschluss bis hin zur Abstimmung im Gemeinderat kaum ins Gewicht. Wenn eine Vorlage inhaltlich aber umstritten ist, dann gibt es natürlich Diskussionen, und in der Kommission findet eine vertiefte Prüfung statt. Etwas, das es heute nicht gibt. Das zeigt doch, wie wichtig die Umsetzung dieser Initiative ist.  

Vor zwei Jahren haben die Dübendorfer die Initiative «Mitbestimmen bei Temporeduktionen» mit 54 Prozent Ja-Stimmen unterstützt. Machen Sie sich keine Sorgen, dass es in der Zwischenzeit einen Meinungsumschwung gegeben haben könnte? 

Nein, gar nicht. Das Volk hat sich schon zuvor dreimal gegen grossflächige Tempo-30-Zonen ausgesprochen, und das immer sehr deutlich. Zudem wird die Vorlage von allen bürgerlichen Fraktionen inklusive der Fraktion der Grünliberalen, der Mehrheit des Gemeinderats und des Stadtrats unterstützt. 

Ja, so stehts auch auf Ihrem Flyer, der für ziemlich viel Aufregung gesorgt hat. Denn die Fraktionen lehnen die Vorlage inhaltlich klar ab, haben im Parlament aber dafür gestimmt, um dem Volkswillen Rechnung zu tragen. Eine bewusste Provokation der SVP? 

Nein. Wenn die Fraktionen ein Zeichen hätten setzen wollen, dann wäre die Enthaltung der richtige Weg gewesen. Die Zustimmung ist aber ein klares Bekenntnis zur Vorlage. Dass die Parolen nun dem Abstimmungsverhalten der Fraktionen widersprechen, ist das Problem der Parteien. Klar, mir wäre es auch lieber, wenn die Vorlage nach der Zustimmung im Gemeinderat nicht noch einmal vors Volk müsste. Aber so sind nun einmal die Regeln.  

SP und Grüne haben die Umsetzungsvorlage gänzlich abgelehnt mit dem Argument, sie würden die 46 Prozent vertreten, die die Initiative abgelehnt hätten. Legitim für Sie? 

Das Volk hat seinen Willen bereits deutlich geäussert – wie schon x-mal zuvor –, ich verstehe nicht, wieso die reine Umsetzungsvorlage jetzt wieder bekämpft wird. 

Verkehrssituation in einer Innenstadt.
Die Tempo-30-Zone im Zentrum Dübendorfs bietet immer noch Stoff für emotionale Debatten. (Archiv) Foto: Thomas Bacher

Nicole Zweifel, Gemeinderätin (GEU/GLP)

Frau Zweifel, Sie haben an der Novembersitzung des Gemeinderats gesagt, dass die Bevölkerung – Zitat – «keinen Plan hatte», was sie im Juni 2023 an der Urne abgestimmt habe. Trauen Sie den Leuten da nicht etwas wenig zu? 

Nicole Zweifel: Darum ging es gar nicht. Diese Initiative ist die reinste Mogelpackung, sie gaukelt vor, dass die Bevölkerung künftig direkt bei Entscheiden für oder gegen Tempo 30 mitreden kann. Dabei verschiebt sie lediglich die Kompetenzen vom Stadtrat zum Gemeinderat – und erst dann im Falle von einem Referendum zum Volk. Die Bewilligung von Tempo-30-Zonen wäre künftig mit sehr viel mehr Aufwand verbunden und würde massiv Steuergelder verschwenden. Etwas, das die SVP ansonsten ja immer gerne anprangert.  

Die SVP bezeichnet den Mehraufwand als marginal. 

Das ist einfach nur falsch. Das ganze Verfahren wird extrem verkompliziert und verlangsamt, auch wenn eine Tempo-30-Zone nicht umstritten sein sollte. Und wenn die SVP nicht einverstanden ist, wird in der Kommission über jedes Strassenschild diskutiert, was einfach nicht tragbar ist. 

 Mehr Mitsprache ist doch nie schlecht, oder? 

Die Bevölkerung kann ja bereits heute mitreden, jede Verkehrsanordnung wird schliesslich ausgeschrieben, man kann dagegen Einsprache erheben. Zudem besteht jederzeit die Möglichkeit für Petitionen direkt aus der Bevölkerung.

Recht bekommt man aber in der Regel nur bei groben Verfahrensfehlern. 

Die Frage ist doch: Wer hat welche Kompetenzen, damit unser Rechtsstaat, unsere Demokratie funktioniert? Es kann doch nicht sein, dass künftig Politiker über jedes einzelne Verkehrsschild entscheiden. Das ist etwas, das in die Hände von professionellen Verkehrsplanern gehört. Die Initiative der SVP transportiert aber die Aussage, dass diese Leute alle ihre Arbeit nicht richtig machen. Der Gemeinderat soll kritisch hinterfragen, die Planungsarbeit müssen aber Leute mit entsprechenden Qualifikationen machen.  

Ihre Partei und auch die Mitte regen sich darüber auf, dass die SVP sie auf ihrem Flyer zu den Unterstützern der Umsetzungsvorlage zählt ... 

Die SVP hat unsere Voten wieder einmal dermassen verkürzt, dass man es wirklich nicht mehr ernst nehmen kann. Denn wir haben im Parlament wohl deutlich genug gemacht, dass wir die Vorlage inhaltlich nicht unterstützen. 

Sie hätten sich der Stimme enthalten können. 

Wir mussten die Umsetzungsvorlage aber unterstützen, damit die Bevölkerung überhaupt über die Umsetzung der Initiative abstimmen kann. Das ist Respekt gegenüber den Stimmberechtigten, die sich in einer ersten Abstimmung mehrheitlich für die Initiative ausgesprochen hatten. 

Viel Aufwand – oder doch nicht? Das sagt die Stadt 

Im Abstimmungskampf in Sachen «Mitbestimmen bei Temporeduktionen» herrscht eine fundamentale Uneinigkeit darüber, wie gross der Mehraufwand tatsächlich wäre, wenn der Stadtrat dem Gemeinderat für jede neue Tempo-30-Zone einen referendumsfähigen Beschluss vorlegen müsste.  

Die Gegner sprechen von einem «Bürokratiemonster», für die Befürworter ist der Mehraufwand minim – zumindest bei nicht umstrittenen Projekten. Doch was sagt die Stadt? 

Mehrarbeit, Verzögerungen

Die Auswirkungen seien feststellbar, schreibt die Stadtplanung auf Anfrage – und nennt ein Beispiel: «Der Prozess für die Tempo-30-Zone im Zwicky-Areal wurde im maximal möglichen Tempo durchgeführt und hat durch die Vorlage des Geschäfts beim Gemeinderat und dessen Beratung zu einer Verzögerung von rund neun Monaten geführt.» Im Fall der Tempo-30-Zone im Gfenn gehe man von einer Verzögerung von eineinhalb Jahren aus.  

Der grösste Verwaltungsaufwand fällt laut Stadtplanung für die Ausarbeitung von Antrag und Weisung zuhanden des Gemeinderats an. Zwischen 20 und 50 Stunden seien schliesslich für die Beantwortung von Fragen aus der Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission (GRPK) nötig.

Ins Gewicht fielen weiter die zusätzlichen Sitzungen in der 13-köpfigen GRPK, die Zeit für die Bearbeitung im Parlament sowie der Aufwand für das Sekretariat des Gemeinderats. Konkret beziffern lassen sich die Kosten laut Stadtplanung aber nicht.  

Ein Plakat an einer Hausfassade.
Plakat nach der abgelehnten Initiative zu Tempo 30 in Dübendorf vor vier Jahren. (Archiv) Foto: Christian Merz

Darum geht es

Am 18. Juni 2023 unterstützten die Dübendorfer an der Urne mit 54 Prozent Ja-Stimmen die Volksinitiative «Mitbestimmen bei Temporeduktionen». Die Initiative aus den Reihen der SVP war eine Reaktion auf die vom Stadtrat eingeführte Tempo-30-Zone im Zentrum von Dübendorf.

Künftig, so der Plan, sollte nicht mehr der Stadtrat das letzte Wort haben bei Temporeduktionen auf Gemeindestrassen, sondern der Gemeinderat respektive das Volk. Um dies zu erreichen, müsste der Stadtrat künftig Tempo-30-Zonen – darum geht es effektiv – als referendumsfähige Beschlüsse dem Parlament vorlegen.

Flyer mit «Falschdarstellung»?

Nach dem Ja der Stimmberechtigten musste der Stadtrat eine entsprechende Umsetzungsvorlage ausarbeiten, die nun am 18. Mai in Form einer Änderung der Gemeindeordnung erneut dem Volk vorgelegt wird.

In der Novembersitzung des Gemeinderats war eine Mehrheit der Fraktionen der Meinung, dass die Umsetzungsvorlage dem Inhalt der Initiative entspreche, kritisierte diese jedoch inhaltlich, wie schon zwei Jahre zuvor die Initiative. Letztlich gewichtete aber ebenfalls eine Mehrheit den Volkswillen höher – und stimmte der Umsetzungsvorlage zuhanden der Urnenabstimmung zu.

Dass die SVP diese Zustimmung der meisten Fraktionen auf ihrem Abstimmungsflyer vermerkte, sorgte schliesslich für Ärger bei der GEU/GLP und der Mitte, die dies – vor dem Hintergrund der im Parlament geäusserten Kritik an der Vorlage – als «Falschdarstellung» geisselten.

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