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Politik
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Strasse mit Tempo-40-Schild.

Die Dorfstrasse in Greifensee ist eine der wenigen Strassen im Kanton, wo Tempo 40 gilt. Foto: Thomas Bacher

Abstimmung über Tempo 40

Ist das der Tempo-Kompromiss für Dübendorf?

Jetzt kommt die Initiative für Tempo 40 an die Urne. Bei einem Ja – so der Plan – würde im Zentrum der Rechtsvortritt aufgehoben, die Zebrastreifen würden wieder aufgemalt. Umstritten ist, ob sich das Ganze überhaupt umsetzen lässt.

Die Dorfstrasse in Greifensee ist eine der wenigen Strassen im Kanton, wo Tempo 40 gilt. Foto: Thomas Bacher

Veröffentlicht am: 24.05.2024 – 13.36 Uhr

Tempo 30 ist in Dübendorf das Aufreger-Thema schlechthin. Die letzte grosse Eruption war vor drei Jahren, als der Stadtrat im Zentrum eine 30er-Zone einführte. Er tat dies zwar innerhalb seiner Finanzkompetenz. Die SVP hingegen fand, nach zwei verlorenen Tempo-30-Abstimmungen in der Vergangenheit hätte zwingend das Volk befragt werden müssen.

Die Partei hatte das Vorhaben auf dem Instanzenweg zu verhindern versucht – scheiterte damit aber. Wenn auch nur halb. Denn durch die Verzögerung wurde das neue Temporegime kurz vor einer weiteren Abstimmung über Tempo 30 – diesmal in den Quartieren – eingeführt. Und die ging prompt verloren.

Ob der noch frische Ärger über die Temporeduktion im Zentrum für das mittlerweile dritte Nein der Dübendorfer zu Tempo 30 verantwortlich war, ist letztlich reine Spekulation. Auf jeden Fall doppelten die Stimmberechtigten vor einen Jahr nach und sagten Ja zu einer Volksinitiative, die künftig bei Temporeduktionen eine Mitsprache des Parlaments respektive des Volks verlangt.

Ständiger Ärger wegen Rechtsvortritt

Und jetzt also die Volksinitiative «Mitenand uf Dübis Strasse», über die am 9. Juni an der Urne abgestimmt wird. Die Initiative aus den Reihen von Aufrecht verlangt, in 30er-Zonen Tempo 40 einzuführen, Strassenverengungen aufzuheben, Schwellen zu entfernen und Zebrastreifen wieder aufzumalen.

Nicht explizit erwähnt ist der Rechtsvortritt, der zusammen mit Tempo 30 eingeführt worden war und an den sich die Autofahrer immer noch nicht gewöhnt haben, was anhand des Gehupes vor allem in den Stosszeiten unschwer zu erkennen ist. Gemäss dem Gesetzgeber ist Rechtsvortritt in Tempo-30-Zonen «grundsätzlich vorgesehen», bei Tempo 40 ist das nicht der Fall.

Fachverband kritisiert Praxis

Als die Initiative im Oktober 2023 dem Dübendorfer Parlament vorgelegt wurde, versuchte Aufrecht-Gemeinderätin Claudia Günthart das Ganze als Kompromiss zu verkaufen. Tatsächlich sind in der Stadt bei Tempo 30 die Fronten verhärtet.

Und auch die Beurteilung der Situation im Zentrum geht diametral auseinander. Während die einen eine Verkehrsberuhigung sehen und hören, sprechen die anderen von Chaos wegen des Rechtsvortritts und einer Verschlechterung der Verhältnisse für Fussgänger. Wobei auch von links-grüner Seite, bei aller Freude über Tempo 30, immer wieder der Wegfall der Zebrastreifen beklagt wird.

Letztlich kann man es drehen und wenden, wie man will: In 30er-Zonen sind Fussgängerstreifen nicht erlaubt, Ausnahmen sind einzig auf Schulwegen, vor Schulen und Heimen möglich. Eine Praxis, die auch der Fachverband Fussverkehr Schweiz kritisiert.

Gutachten sind nötig

Gabs also Applaus für den Plan, einen vermeintlich gangbaren Mittelweg für die zwei Lager zu schaffen? Mitnichten: Das Parlament watschte die Initiative regelrecht ab, die einzige Ja-Stimme kam von Aufrecht-Frau Claudia Günthart selber.

Der Stadtrat, die Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission (GRPK) wie auch die verschiedenen Fraktionen zeigten sich überzeugt, dass man nicht einfach aus einer Tempo-30-Zone eine 40er-Zone machen kann.

Tempo 40, so das Argument, sei gesetzlich nicht vorgesehen, weshalb für jeden Strassenabschnitt ein separates Gutachten erstellt werden müsste. Es gälte zu beweisen, dass die Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig wäre. Und dass sie gegenüber Tempo 30 Vorteile hat.

Die Gegner waren sich einig, dass die Kantonspolizei Tempo 40 mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht bewilligen würde oder dann höchstens auf einzelnen Abschnitten, was zu einem Schilderwald und grosser Verwirrung unter den Verkehrsteilnehmern führen würde. Die Initiative sei deshalb nicht umsetzbar.

Effektiv gibt es im Kanton Zürich nur wenige Orte, wo Tempo 40 gilt: so etwa auf der Strasse durch das Stedtli Grüningen oder in Greifensee auf einem knapp 300 Meter langen Abschnitt der Dorfstrasse. In Ossingen im Weinland galt auf der Ortsdurchfahrt lange Tempo 40, Mitte April wurde das Tempolimit auf 30 km/h gesenkt.

Gibt es einen Schilderwald?

Auch nach der unmissverständlichen Ablehnung im Parlament glaubt Claudia Günthart, dass die Initiative durchaus eine Chance hat in der Bevölkerung. «Dass im Zentrum die Fussgängerstreifen entfernt wurden, ärgert und verunsichert viele», sagt Günthart. «Auch der Rechtsvortritt wird häufig kritisiert.»

Vor Schulhäusern könne Tempo 30 durchaus Sinn machen, aber auf den übrigen Strecken biete Tempo 40 nur Vorteile. Es gebe deshalb keinen Grund, wieso die Kantonspolizei das Ganze nicht bewilligen sollte: «Sicherheit und Verkehrsfluss verbessern sich, und ohne das ewige Stop-and-go vor Verkehrshindernissen gibt es weniger Emissionen.»

Dass unterschiedliche Temposignalisationen zu einem unübersichtlichen Schilderwald führen würden, glaubt Claudia Günthart nicht. «Es ist ganz bestimmt möglich, das zu verhindern.»

Die Kantonspolizei will sich nicht in die Abstimmung einmischen und gibt deshalb keine Einschätzung darüber ab, inwieweit die Initiative bei einem Ja der Stimmberechtigten umsetzbar wäre.

Abstimmen – trotz Zweifeln

Mit «Mitenand uf Dübis Strasse» kommt eine Initiative an die Urne, deren Umsetzbarkeit sowohl der Stadtrat als auch eine grosse Mehrheit des Parlaments anzweifeln. Doch wieso wird trotz solchen Bedenken darüber abgestimmt?

Die Frage ist, ob die Initiative gegen das übergeordnete Recht verstösst. Für die Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission (GRPK) ist das der Fall, wenn man die Initiative nach dem exakten Wortlaut auslegt. Dies, weil in den relevanten Bestimmungen der Strassenverkehrsgesetzgebung keine Tempo-40-Zonen vorgesehen sind. Tempo 40 müsste deshalb für jeden einzelnen Strassenabschnitt zusammen mit einem Gutachten beantragt werden.

Immer zugunsten der Initiative

Dass die Kantonspolizei entsprechende Anträge bewilligen würde, ist laut Stadtrat, GRPK und einem Grossteil des Gemeinderats unwahrscheinlich. Aber eben nicht unmöglich. Die Kommission kommt daher zum Schluss: Liegen bei einer Volksinitiative verschiedene Auslegemöglichkeiten vor, ist gemäss dem sogenannten Günstigkeitsprinzip diejenige zu wählen, welche die Initiative nicht als ungültig erscheinen lässt. Die Initiative wurde deshalb im letzten Oktober vom Parlament für gültig erklärt. (tba)

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