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Ein Bus steht an einer Haltestelle im Regen, eine Person steigt ein. .

Drei Viertel der Haltestellen in Dübendorf sind behindertengerecht, doch eigentlich sollten es seit Ende 2023 alle sein. Foto: Thomas Bacher

Haltestellen

Als die Rollstuhlfahrer noch im SBB-Gepäckwagen mitfahren mussten

Ein Viertel der Dübendorfer ÖV-Haltestellen ist nicht behindertengerecht. Das Parlament stritt am Montagabend darüber, ob betroffene Menschen als Entschädigung ein Gratis-Abo erhalten sollen.

Drei Viertel der Haltestellen in Dübendorf sind behindertengerecht, doch eigentlich sollten es seit Ende 2023 alle sein. Foto: Thomas Bacher

Veröffentlicht am: 12.03.2024 – 17.55 Uhr

Gemeinderatspräsident Patrick Schärli (Die Mitte) erinnerte zum Auftakt der Sitzung an die Geburtsstunde des Dübendorfer Parlaments, die exakt vor 50 Jahren am 11. März war. Gar nicht im Feierlaune war am Montagabend allerdings SP-Gemeinderätin Leandra Columberg. Grund dafür war ebenfalls eine runde Jahreszahl, aber eine unrühmliche.

Seit 20 Jahren sei das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft, sagte sie. «Es ist eine Schande, dass zahlreiche Haltestellen immer noch nicht barrierefrei zugänglich sind.» Columberg kam damit auf ihr Postulat zur Einhaltung des Behindertengleichstellungsgesetzes für den öffentlichen Verkehr zu sprechen, das an dieser Sitzung traktandiert war.

Sie erinnerte daran, dass die gesetzlichen Vorgaben bis Ende 2023 hätten erfüllt werden müssen. «Heute sind wir weit davon entfernt. Das ist ein komplettes und bewusst herbeigeführtes Politikversagen.» Für Menschen mit Behinderung sei der Alltag deswegen deutlich eingeschränkt. Sie forderte, dass Betroffene so lange kein Geld für die Benutzung des ÖV ausgeben müssten, bis die Vorgaben umgesetzt seien.

Ein Drittel sind Haltestellen des Kantons

Gegen diesen Anspruch stellte sich Tiefbauvorstand Adrian Ineichen (FDP). Er entgegnete, dass rund ein Drittel der Haltestellen in die Zuständigkeit des Kantons falle, was praktische Probleme und Abhängigkeiten schaffe. Kurz gesagt: Dübendorf müsste die Kosten für die Abos so lange übernehmen, bis der Kanton die baulichen Anpassungen vorgenommen hätte.

Das Postulat ist verwirrend.

Patrick Walder

Gemeinderat (SVP)

Der Regierungsrat habe wegen des Verzugs Ersatzmassnahmen beschlossen, die auch in Dübendorf griffen. So könnten Menschen mit Behinderung seit Januar einen Shuttle-Dienst bestellen, sagte Ineichen. «Eine separate Dübendorfer Lösung ist entsprechend nicht nötig.»

Gemeinderat Patrick Walder (SVP) schwenkte kurz auf die Linie der SP ein. Die Exekutive habe sich an die Umsetzungsfristen des Gesetzes zu halten. Walder hielt sich aber nur kurz im Fahrwasser der linken Partei auf. «Das Postulat ist verwirrend. Forderung und Begründung stimmen überhaupt nicht überein.» Es gehe nicht, wie im Postulatstitel ausgeführt werde, um die Einhaltung der Fristen, sondern um Geld.

Ausserdem stehe für die betroffenen Menschen, die die bestehende Infrastruktur nicht nutzen könnten, eine finanzierte Alternative zur Verfügung. Walder meinte damit den Shuttle-Dienst. «Für diese Menschen entstehen dadurch keine Kosten.» Wie der Stadtrat stellte sich die SVP damit gegen die Überweisung des Postulats.

Eine Frau im Anzug.
Leandra Columberg (SP) ist mit der Art, wie Menschen mit Behinderung im Dübendorfer ÖV unterwegs sind, nicht glücklich. (Archiv) Foto Seraina Boner

Eine emotionale Rede hielt Alexandra Freuler (SP). Als Tochter eines Tetraplegikers sei sie von der Antwort des Stadtrats «schockiert». Einem solchen Menschen nütze es nichts, dass drei Viertel zugänglich seien, der Rest aber nicht. «Sie können sich in Dübendorf nicht frei bewegen.» Der Ersatzfahrdienst sei zwar ein nettes Angebot, mit diesem würden sie aber ebenso ausgegrenzt.

Es irritiert mich, dass die GLP den ZVV zitiert, anstatt den Betroffenen zuzuhören.

Leandra Columberg

Gemeinderätin (SP)

Seit 54 Jahren begleite sie ihren Vater schon. In den 1970er Jahren hätten sie ihn im SBB-Gepäckwagen fahren lassen, weil das die einzige Möglichkeit gewesen sei, Rollstühle zu transportieren. Später habe dafür das Zwischenabteil der Zugkompositionen herhalten müssen. Dass dieses Postulat ein paar Ungereimtheiten habe, interessiere sie wenig. «Und auch in den letzten 20 Jahren hat man es nicht geschafft, dass dieser Personenkreis endlich am gesellschaftlichen Leben in Dübendorf teilnehmen kann.»

Irritierende Zitate

Eine völlig andere Wahrnehmung hat Nicole Zweifel (GEU/GLP), die mal eben in die Rolle einer Unternehmenskommunikatorin des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV) schlüpfte. So zitierte Zweifel in ihrer Rede mehrere Passagen der ZVV-Website. Etwa das Ziel für 2024, dass sich die Reisewege von Menschen mit Behinderung so wenig wie möglich von denjenigen der übrigen Passagiere unterscheiden sollen.

Man solle den Shuttle-Diensten erst mal eine Chance geben, sagte Zweifel. Die grünliberale Gemeinderätin war von den Aussagen bezüglich Behindertengleichstellung auf der ZVV-Website sichtlich überzeugt: «Das zeigt, dass dies im Bewusstsein ist und etwas gemacht wird.»

Merklich verwundert von dieser ZVV-Verbrüderung war Postulantin Leandra Columberg: «Es irritiert mich, dass die GLP den ZVV zitiert, anstatt den Betroffenen zuzuhören.»

Gehör fand sie im Rat mit ihrem Anliegen allerdings nicht. Mit 24 zu 10 Stimmen entschied sich das Parlament deutlich gegen eine Überweisung des Postulats, das damit vom Tisch ist.

Die weiteren Geschäfte der Ratssitzung

  • Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Parlaments sprach Gemeinderatspräsident Patrick Schärli (Die Mitte) über die Entwicklung von Dübendorf zur Stadt. Weiter machte er ehemalige lokale Politikgrössen oder die Herausforderungen der Zukunft zum Thema.
  • Orlando Wyss (SVP) machte in einer Fraktionserklärung auf die Volksinitiative «Parkplätze auf dem Adlerplatz müssen erhalten bleiben» aufmerksam, die kürzlich mit rund 700 Unterschriften dem Stadtrat überreicht worden ist.
  • Ebenfalls in einer Fraktionserklärung kam Angelika Murer Mikolasek (GEU/GLP) auf den Unfall im Zentrum zu sprechen, bei dem eine Fussgängerin mit Rollator schwer verletzt worden ist. Sie fordert vom Stadtrat, an mehreren Einmündungen der Tempo-30-Zone den Rechtsvortritt aufzuheben und Fussgängerstreifen wieder anzubringen.
  • Patrick Walder (SVP) sprach in einer persönlichen Erklärung «bösartige E-Mails» an, die derzeit kursieren. Diese würden Drohungen, üble Nachrede und Verleumdungen gegen Gemeinderat Daniel Griesser und Stadtpräsident André Ingold (beide SVP) enthalten.
  • Zwei traktandierte Änderungen der Geschäftsordnung von Orlando Wyss (SVP) wurden ohne Gegenstimme angenommen.
  • Das Postulat von Leandra Columberg (SP) und fünf Mitunterzeichnenden zur Einhaltung des Behindertengleichstellungsgesetzes für den ÖV ist mit 10 zu 24 Stimmen abgelehnt worden.
  • Die Einzelinitiative, mit der André Winkler erreichen wollte, dass die Stadt die Serafe-Gebühr für Sozialhilfeempfänger ganz oder teilweise übernimmt, erhielt 10 Stimmen. Weil sie damit das Quorum von 14 Stimmen nicht erreichte, wurde die Einzelinitiative abgeschrieben.
  • Das Quorum verpasst hat auch die Einzelinitiative von Urs Wicki, der im Bereich der Hermikonstrasse 50 bis 56 verkehrsberuhigende Massnahmen wollte. Sein Begehren erhielt 7 Stimmen.
  • Für die interimistische Nachfolge von Gemeinderatssekretärin Edith Bohli ist Stefan Rüegg ohne Gegenstimme gewählt worden.
  • Ebenfalls ohne Gegenstimme wurde Rico Roffler als stellvertretender Ratssekretär interimistisch als Ersatz für die abtretende Franziska Lee gewählt.

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