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Zwei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren.

Sind sich nicht einig darüber, wer bei Temporeduktionen in Zukunft das letzte Wort haben soll: Julian Croci (links) und Paul Steiner. Foto: André Gutzwiller

Pro und kontra in Dübendorf

Tempo 30 – wer soll das letzte Wort haben?

Soll in Dübendorf künftig das Parlament respektive das Volk über Temporeduktionen entscheiden, oder ist das die Aufgabe des Stadtrats? Ein Streitgespräch mit den Gemeinderäten Paul Steiner (SVP) und Julian Croci (Grüne).

Sind sich nicht einig darüber, wer bei Temporeduktionen in Zukunft das letzte Wort haben soll: Julian Croci (links) und Paul Steiner. Foto: André Gutzwiller

Veröffentlicht am: 01.06.2023 – 14.03 Uhr

Herr Steiner, Sie wollen dem Stadtrat den Entscheid über künftige Temporeduktionen aus der Hand nehmen. Glauben Sie ernsthaft, dass die Stadtregierung nach dem wuchtigen Nein zu Tempo 30 in den Quartieren vor zwei Jahren demnächst wieder mit einer neuen Tempo-30-Zone kommen wird?

Paul Steiner: Die Pläne für 16 weitere Tempo-30-Zonen liegen nach wie vor in der Schublade bereit. Wenn wir die Abstimmung verlieren, dann wird der Stadtrat mit seiner Salamitaktik weitermachen und Zone für Zone umsetzen. Und wir können nichts dagegen tun. Nachdem der Stadtrat die Tempo-30-Zone im Zentrum in eigener Kompetenz und gegen den Willen der Bevölkerung eingeführt hat, wollen wir mit der Initiative erreichen, dass künftige Entscheide über Temporeduktionen demokratisch breit abgestützt sind.

Herr Croci, gegen mehr demokratische Mitbestimmung kann man ja eigentlich nicht sein, oder?

Julian Croci: Mit dieser Initiative werden die Gewaltenteilung und die demokratische Mitwirkung ad absurdum geführt. Es ist unlauter, wenn man dem Volk etwas verspricht, das so nicht umsetzbar ist. Man kann nicht einfach eine Kompetenz, die klar in die Verantwortung des Stadtrats fällt, dem Gemeinderat übertragen, zumal Temporeduktionen letztlich von der Kantonspolizei veranlagt werden. Das kollidiert mit übergeordnetem Recht.

Als die Initiative im Parlament behandelt wurde, wollte die links-grüne Ratsseite das Geschäft zur Überprüfung zurückweisen. Am Ende wurde die Initiative zwar abgelehnt, zuvor aber von einer komfortablen Mehrheit für gültig erklärt …

Croci: Das Ganze wurde nicht seriös geprüft. Der Stadtrat verstrickt sich in seiner Stellungnahme wiederholt in Widersprüchen und beruft sich auf eine Antwort des Regierungsrats auf eine entsprechende Anfrage, was überhaupt nicht rechtsverbindlich ist. Das einzig Richtige wäre ein rechtliches Gutachten gewesen, aber das wurde nicht gemacht.

Steiner: Der Stadtrat hat die Initiative juristisch prüfen lassen, und auch die Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission kam zum Schluss, dass sie gültig ist. Mehr kann man nicht machen. Sonst müsste man vor jeder Abstimmung mit dem Initiativtext bis vor Bundesgericht gehen. Das ist nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Wenn jemand nach der Abstimmung der Ansicht ist, die Initiative sei nicht gültig, kann er ja immer noch juristisch dagegen vorgehen.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Julian Croci warnt vor grossem Mehraufwand und höheren Kosten. Foto: André Gutzwiller

Mal abgesehen von der Frage der Gültigkeit: Was wäre so schlimm, wenn der Gemeinderat künftig über Temporeduktionen entscheiden könnte, Herr Croci?

Croci: Wenn der Gemeinderat bald für jedes Verkehrsschild aufgeboten wird, führt das zu massivem Mehraufwand und damit zu hohen Kosten. Die Verwaltung muss jede Vorlage vorbereiten, der Gemeinderat muss sich seriös in das Thema einarbeiten, und da ist es fraglich, ob wir das im monatlichen Sitzungsrhythmus machen könnten. Letztlich haben wir in Dübendorf wirklich grössere Probleme und dringendere Anliegen.

Steiner: Ich finde es schon fragwürdig, wenn man hier mit Kosten argumentiert, denn dann dürfte ja niemand mehr eine Initiative einreichen. Ohnehin wären Mehraufwand und zusätzliche Kosten gering. Der Stadtrat muss das Vorhaben für sich selber und zuhanden der Kantonspolizei ja sowieso fundiert zu Papier bringen. Da macht es keinen grossen Unterschied mehr, ob er diesen Antrag auch dem Gemeinderat vorlegt, der dann wie über jedes andere Geschäft darüber bestimmt.

Der Gemeinderat könnte damit doch Einfluss nehmen auf die Ausgestaltung einer Tempo-30-Zone, Herr Croci. Auch die links-grüne Ratsseite ist ja nicht nur glücklich mit der Ausgestaltung der 30er-Zone im Zentrum.

Croci: Wir hätten uns eine Umsetzung gewünscht, die die Vorteile von Tempo 30 für die Aufenthaltsqualität und die Sicherheit des Langsamverkehrs besser ausspielt, das stimmt. Gleichzeitig gehört die Frage, ob ein Strassenschild nun hier oder fünf Meter weiter aufgestellt werden soll, nicht in ein Parlament. Insgesamt fehlen dem Gemeinderat bei Tempo-30-Zonen die planerische Perspektive und das Wissen der Stadtplanung. Das würde zu willkürlichen Entscheiden führen und wegen des Gärtchendenkens den heutigen Flickenteppich an sogenannten verkehrsberuhigten Zonen noch verschlimmern, mit Folgen für die Lebensqualität in der Stadt.

Steiner: Das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Stadtrat jede Temporeduktion dem Parlament vorlegen muss, führt das automatisch zu besseren, ausgereifteren Vorlagen. Denn er weiss, dass er sonst mit seinen Plänen durchfällt. Und es ist ja nicht so, dass wir bei jeder Vorlage Nein stimmen werden, so, wie bei unbestrittenen, vernünftigen Zonen etwa vor Schulen niemand das Referendum ergreifen wird. Niemand hatte etwas gegen Tempo 30 im Stägenbuck- oder im Birchlen-Quartier.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Paul Steiner glaubt, dass der Stadtrat bei einem Nein 16 weitere Tempo-30-Zonen einführen wird. Foto: André Gutzwiller

Aber dann hätte die SVP ja auch Tempo 30 in den Quartieren nicht zu bekämpfen brauchen, schliesslich hat es in der ganzen Stadt Schulhäuser oder Kindergärten.

Steiner: Es hat längst nicht in jedem Quartier eine Schule. Vor allem aber würde dann so etwas wie im Zentrum nicht mehr gehen. Auch wäre es für den Stadtrat kaum möglich, Sammel- und Durchgangsstrassen zu Tempo-30-Zonen zu machen. Solche Pläne existieren, und bei einem Nein zur Initiative werden die auch umgesetzt. 

Croci: Am Ende sind wir in der Schweiz, und Tempo 30 ist eine Verkehrsanordnung, gegen die man Beschwerde einlegen kann, wenn man nicht einverstanden ist. Dann wird der Einwand geprüft, basierend auf unserem demokratisch legitimierten Gesetz. Zudem kommen grössere Vorhaben mit Investitionskosten von mehr als 300'000 Franken schon aufgrund der Finanzkompetenz in den Gemeinderat.

Sie haben es ja auf verschiedenen Ebenen mit Rekursen und Beschwerden versucht, Herr Steiner, allerdings ohne Erfolg.

Steiner: Erst einmal muss man festhalten, dass auch eine grosse Tempo-30-Zone niemals 300'000 Franken kosten wird. Es ist ja eben vorgesehen, zuerst nur mit einer Signalisation zu arbeiten und erst mit baulichen Massnahmen nachzubessern, wenn sich die Autofahrer nicht daran halten. Letztlich hat man mit einer Beschwerde keine Chance, da gibt es immer eine Ausfahrt oder einen Fussgängerstreifen, der angeblich gefährlich ist. Heute braucht es ja nicht mal mehr ein Gutachten für Tempo 30. Und beim wichtigsten politischen Gremium, dem Souverän, da hatte ich Erfolg.

Croci: Die SVP scheint in dieser Angelegenheit zu vergessen, dass der Stadtrat vom Volk gewählt und damit demokratisch legitimiert ist. Und wenn die Stimmberechtigten in Dübendorf unbedingt Tempo 30 verhindern wollten, hätten sie ja wieder zwei SVP-Vertreter in den Stadtrat wählen können. Aber sie haben sich für einen SP-Mann entschieden. Abgesehen davon sitzt der Stadtrat ja auch nicht einfach in seinem Elfenbeinturm, sondern hört sich in der Bevölkerung um, was deren Bedürfnisse sind.

Steiner: Ja, das hat man bei der letzten Tempo-30-Abstimmung gesehen, wo er angeblich Volkes Stimme vertreten hat und dann krachend gescheitert ist.

Die Initiative

Am 18. Juni stimmen die Dübendorferinnen und Dübendorfer über die Volksinitiative «Mitbestimmen bei Temporeduktionen» ab.

Sagt das Volk Ja, müssen künftig alle Vorlagen, die eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit beinhalten, dem Gemeinderat als referendumsfähige Beschlüsse vorgelegt werden. Bewilligt das Parlament eine Temporeduktion, kann damit das Vorhaben mittels 150 Unterschriften an die Urne gebracht werden. Eine Urnenabstimmung wäre auch dann möglich, wenn mindestens 14 Gemeinderäte das Parlamentsreferendum ergreifen.

Der Gemeinderat hat die Initiative an seiner Februar-Sitzung zwar für gültig erklärt, lehnte sie aber letztlich mit 23 zu 12 Stimmen ab. Auch der Gegenvorschlag des Stadtrats fiel durch. (tb)

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Vom Gemeinderat wurde die Initiative deutlich abgelehnt, an der Urne erhofft sich die SVP jedoch einen Sieg. Foto: André Gutzwiller

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