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Meinung
Männer in Lederhosen und Frauen in Dirndl an einem Festbank eines Oktoberfests. Oben rechts und links in weiss-umrandeten Kreisen die Portraits von Fiorella Koch und David Marti.

Das Oktoberfest ist längst auch bei uns etabliert. Manche finden es gut, manche weniger. Foto: Simon Grässle, Christian Merz

Pro und Contra

Oktoberfest: Grauenhaft oder ein Riesen-Gaudi?

An verschiedenen Orten in der Region wird Oktoberfest gefeiert. Über Sinn und Unsinn dieser Tradition streiten sich eine Redaktorin und ein Redaktor.

Das Oktoberfest ist längst auch bei uns etabliert. Manche finden es gut, manche weniger. Foto: Simon Grässle, Christian Merz

Veröffentlicht am: 18.10.2024 – 13.48 Uhr

Pro: Ein bisschen Kitsch tut gut

Ah, das Oktoberfest! Eine blinkende Chilbi, Bier in Strömen, fröhliche Volksmusik: Ist das nicht genau das, was man braucht, wenn die Tage kürzer und das Wetter kälter und deprimierender werden? Wenn sich ein nebliger, verregneter Tag an den anderen reiht und ein Blatt nach dem anderen den Geist aufgibt und zu Boden schwebt, kommt ein kitschiges, klebriges, zum Trinken einladendes Volksfest doch gerade recht, damit wir nicht auch den Geist aufgeben.

Ausserdem ist es die perfekte Gelegenheit, endlich das Dirndl, die Lederhose oder den formlosen Filzhut mit abgeknickter Feder aus dem Estrich zu holen. Vergessen wir die Kleider ein weiteres Jahr, werden sie nur von den Motten gelöchert. Und für die Leute, die als Kinder gerne Kostüme getragen haben: In dieser Jahreszeit kann jeder und jede schamlos in ulkige Hosen oder kitschige Prinzessinenkleider schlüpfen, ohne gross aufzufallen. Denn darin ist ein ausschweifendes Vorglühen im Zug, lautes Lachen auf offener Strasse oder herumtorkeln auf dem Weg zum Festzelt entschuldigt.

Die üblichen Schweizer Regeln der Zurückhaltung und Steifheit gelten auf dem Oktoberfest nämlich nicht mehr. Was uns gut tut: Gemeinsam in einem warmen Zelt sitzen, auf den Bänken tanzen und schamlos Schlagerlieder grölen – äh, singen, bringt uns zusammen und wärmt das Herz in diesen schwierigen Zeiten.

Was zudem massgeblich zum Von-innen-gewärmt-Werden beiträgt, ist das Essen: Schweinshaxen, Würste, Sauerkraut, Brezeln … herzhaft und genau richtig, um davor, währenddessen und danach Bier zu trinken. Aber selbst wer das nicht mag, kann sich immer noch auf der Chilbi vergnügen, mit Fahrgeschäften, blinkenden Buden, Lebkuchenherzen oder Zuckerwatte. Das Oktoberfest ist schliesslich für alle da, von den Kindern bis zu den Seniorinnen und Senioren.

Einmal im Jahr sollten wir die Vernunft über Bord werfen, uns in lustige Dirndl oder Lederhosen werfen und die Geselligkeit geniessen dürfen. Skeptiker können dazu sagen, was sie wollen, denn die Stimmung auf dem Oktoberfest ist immer super. (Fiorella Koch)

Contra: Lederhosen sind doof

Kürzlich hat mir ein Freund erzählt, wie er als Kind eine Lederhose zum Spielen tragen musste. Einer dieser unverwüstlich hässlich-braunen Schweinelederhosen, bei der seine Mutter am Ende des Tags nicht mit absoluter Gewissheit sagen konnte, was jetzt noch Hose und was Zeugnis eines verwegenen Rutscheinsatzes über die heimische Kuhwiese war. Genau für solch raue Applikationen ist diese Kleidung gemacht, und nicht um es sich auf arschfein polierten Festbänken eines Oktoberfests gemütlich zu machen.

Und ehrlich, liebe Männer, wenn Sie nicht mehr die Gestalt eines fünfjährigen Wonneproppen hergeben, sehen Sie mit Lederhosen schlicht affig aus. Nicht mal Brad Pitt würde darin gut aussehen. Dabei braucht es überhaupt keinen Anlass wie das Oktoberfest, um sich in der Schweiz gepflegt einen anzutrinken. Dafür hat die hiesige Landbevölkerung das ganze Jahr über pausenlos Gelegenheiten. Jeder Vereinshöck kann der Startschuss für ein Gelage sein, das darin gipfelt, sich tags darauf volltrunken auf einer Baustelle selbst auflesen zu müssen.

Das Oktoberfest entstand übrigens zu Ehren der Hochzeit des Kronprinzen Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese. Ein Hohn, dass dies hierzulande Anklang findet. Bedenkt man doch, dass damit mit der urschweizerischen Tradition gebrochen wird, sich einen Deut um die Obrigkeit zu scheren.

Aber an diese royale Historie verschwendet der gemeine Vulgaris Octobris natürlich keine Gedanken. Vielmehr konzentriert er sich darauf, seine mit Schweinshaxen eingeölten Finger unauffällig an einem Dirndl fettfrei zu schmirgeln, verstohlen einen glasigen Blick auf die Serviceangestellten-Dekolletees zu werfen und zum Schwachmaten-Schlagerhit des vorletzten Sommers mitzurülpsen.

Dabei liesse sich so einfach eine eigene, ganz auf unser Land bezogene Feier ins Leben rufen – nämlich das Septemberfest. Denn im September gibt das Gesundheitsamt bekannt, wie hoch im nächsten Jahr unsere Krankenkassenprämien ausfallen werden. Wenn das mal kein Grund für ein gepflegtes Volksfrust-Besäufnis ist. Prosit! (David Marti)

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