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Echtbild Erdbeerfeld, davor Illustration von zwei Frauen.

Begegnung im Erdbeerfeld. Illustration: Sascha Bacher

Sommerkrimi in vier Teilen (1/4)

«Diebisches Dübendorf» – 1. Beschwipstes Treffen im Erdbeerfeld

Im «Glattaler» feiern wir dieses Jahr die schöne Tradition des mehrteiligen Sommerkrimis. «Diebisches Dübendorf» ist eine spannende, mit viel Lokalkolorit erzählte Fortsetzungsgeschichte.

Begegnung im Erdbeerfeld. Illustration: Sascha Bacher

Veröffentlicht am: 16.08.2024 – 10.10 Uhr

Ich will mir gerade ein besonderes Prachtexemplar greifen, als eine Hand wie aus dem Nichts kommt, die fette Erdbeere pflückt und in einen Mund steckt. Mir bleibt meiner echt offen stehen. Ich gucke in zwei lachende Augen, die zu einer Frau gehören. Sie hockt ganz tief zwischen den Erdbeerpflanzen.

«Sorry, aber das war meine», sagt sie nun und bleibt einfach da unten hocken.

«Sind die hier beschriftet?», frage ich bissig nach.

«Nein, aber die hat mich einfach so angelacht. Die wollte wirklich zu mir.»

Sie zieht nun an meiner Hand.

«Komm, Bella, hock dich auch hin. Hier unten sind die prallsten Erdbeeren, die ich je gesehen habe. Das ist dolce totale», lacht sie. In ihren Augen funkelt italienisches Temperament.

Eigentlich will ich nicht, aber ich will jetzt auch nicht total spiessig wirken. Also hocke ich mich hin. Sie hat recht. Hier unten ist die Auswahl wirklich riesig.

Sie steckt sich die nächsten zwei Erdbeeren in den Mund und schliesst genüsslich die Augen.

«So schmeckt der Sommer», schwärmt sie dann.

«Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich dachte, das funktioniert hier anders. Muss man die Erdbeeren nicht erst wiegen, dann bezahlen und dann auffuttern?»

«Kann man so machen. Klar.»

Sie grinst mich total übermütig an. 

«Ich sammle ja auch. So ist es nicht.»

Sie hält mir ein Körbchen mit drei mickrigen Beeren hin.

«Ich fürchte, wenn das alle machen, wird man demnächst gewogen, ehe man hier aufs Feld darf.»

Sie lacht laut.

«Öffentliches Wiegen? Klar. Am besten werden die Kilos noch öffentlich aufgeschrieben.»

Sie wischt ihre Hand an ihren Jeans-Shorts ab und hält sie mir hin.

«Hoi. Ich bin übrigens Anna.»

Ich schüttle ihre Hand.

«Ich bin Corinne, zum ersten Mal hier im Erdbeerfeld und muss offenbar noch viel lernen.»

«Keine Sorge, Corinne. Du hast gerade die beste Lehrerin gefunden. Komm mit.»

Ich krabble hinter ihr her und bin sicher, jeder Mann wäre angesichts des Anblicks hocherfreut. Anna trägt Hotpants und kann es sich definitiv erlauben. Dabei ist sie wohl ungefähr so alt wie ich. So Anfang oder Mitte 30. Ich beschliesse spontan, häufiger joggen zu gehen.

Nach ungefähr einer Stunde bin ich pappsatt. Ich habe das Gefühl, dass ich nie wieder auch nur eine einzige Erdbeere essen kann. Anna steht auch auf, streckt sich und meint, dass wir vielleicht mal zur Kasse gehen sollten. Ich habe wenigstens anstandshalber eine Handvoll Beeren in das Körbchen gelegt. Anna dagegen beschwert sich bei dem verdutzten Bauern, dass das ganze Feld wohl schon vorher abgeerntet worden sei. 

«Vielleicht werdet ihr ja an der Bar neben dem Eingang fündig», hält er dagegen.

Anna dreht sich zu mir um.

«Nicht die allerschlechteste Idee, oder?»

«Von mir aus gerne», willige ich ein.

Mir selber ist die Erdbeerbowle da zwar etwas zu süss, Anna dagegen scheint Gefallen daran zu finden. Nach ein paar Minuten ordert sie das zweite Glas. 

«Was machst du denn, wenn du nicht gerade Erdbeeren pflückst?», will sie wissen.

«Ich arbeite seit ein paar Monaten in einer Apotheke in der Nähe vom Bahnhof. Und vor sechs Wochen habe ich hier sogar eine süsse kleine Wohnung gefunden. Direkt an der Glatt. Ich kann sogar zu Fuss zur Arbeit gehen», erkläre ich. 

«Ich dachte, es ist so schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden?»

«Schwierig? Es ist fast unmöglich. Ich habe bei Besichtigungen in Schlangen gestanden, die länger waren als für das neue iPhone. Ohne Beziehungen geht da gar nichts. Ich habe über den Bruder meiner Chefin die Wohnung bekommen. Was machst du beruflich?», frage ich nach.

Sie streicht ihre dunklen Haare nach hinten, tut so, als müsse sie überlegen und reibt sich am Kinn.

«Ich bin Ehefrau», sagt sie schliesslich.

«Ist das ein Ausbildungsberuf?», kichere ich.

«Nee, leider nicht. Ist eher so learning by doing.»

«Du wolltest eigentlich sagen, dass du Hausfrau und Mutter bist. Aber das klang zu spiessig.»

«Nee. Eigentlich meinte ich das genau so.»

Plötzlich wirkt Anna ganz ernst. 

«Ich bin die Ehefrau eines heimischen Unternehmers. Und wenn ich arbeite, sieht das so aus, als würde der Laden von meinem Mann nicht gut laufen. Also gehe ich nicht arbeiten. Sondern ins Pilates und Yoga. Ich koche und kaufe frische Blumen für das Wohnzimmer.»

«Und ab und zu klaust du.»

«Wie bitte?»

Mit ihrem Tonfall könnte man Brot schneiden. Altes Brot.

«Ich meine, ab und zu stiehlst du heimlich Erdbeeren, um sie dir ganz ohne schlechtes Gewissen in den Mund zu stopfen.»

Sie lacht auf, und es klingt wie eine Erlösung.

«Genau. Ab und zu werde ich zur Erdbeerdiebin, um etwas Kick in mein langweiliges Leben zu bringen. Darauf trinke ich noch eine Bowle.»

Echtbild Erdbeerfeld, im Vordergrund die Illustration eines Handys.
Gespeichert als Anna Erdbeere. Illustration: Sascha Bacher

Zwei oder drei Bowlen später hat Anna schon ziemlich Schieflage. 

«Wie kommst du eigentlich nach Hause?», frage ich vorsichtig.

«Mein Auto steht da direkt auf dem Parkplatz.»

Dann runzelt sie die Stirn, versucht mit ihrem Zeigefinger ihre Nasenspitze zu berühren.

«Mist. Ich bin betrunken. Von so ein bisschen Bowle. Ich dachte, das sind hauptsächlich Vitamine», kichert sie. 

«Wo wohnst du denn?»

«Eichackerstrasse. Bei den Tennisplätzen. Wir sind natürlich Mitglied», antwortet sie mit extra hochnäsiger Stimme.

«Dann bring ich dich und dein Auto wohl mal nach Hause», bestimme ich.

«Wo ist denn dein Auto?»

Ich gucke mich suchend in alle Richtungen um.

«Jetzt, wo du fragst: Wo ist eigentlich mein Auto?»

Dann schlage ich mir leicht mit der flachen Hand vor die Stirn.

«Nun fällt es mir wieder ein. Isch abe gar keine Auto.»

«Du hast kein Auto?»

Annas Stimme klingt, als hätte ich soeben gestanden, dass ich nicht lesen und schreiben kann.

«Ja. Ich brauche auch gar keins. Der ÖV hier ist super. Ich muss nicht dauernd einen Parkplatz suchen, mich nicht über die teuren Spritpreise aufregen, und ausserdem habe ich ein Velo.»

«Corinne, es ist gut. Erzähl das nur nicht meinem Mann. Der hat ein Autohaus. Komm, ich zahle eben, dann können wir los. Du bist als meine Chauffeuse natürlich eingeladen.»

Auf dem Parkplatz bleibt sie vor einem Sportflitzer stehen. Ein Mercedes-Cabrio. 

«Das ist meiner.»

«Bestimmt teuer», mutmasse ich.

«Bestimmt», lacht sie.

Sie dirigiert mich durch die Stadt, bis wir vor einem grossen Tor anhalten. Sie drückt auf eine Fernbedienung, und das dunkle Tor fährt lautlos zur Seite. Dahinter kommt ein gigantischer Bungalow zum Vorschein. Ich fahre vor, und die Kieselsteine knirschen unter den Reifen.

Ich bin wirklich beeindruckt. Aber überhaupt nicht neidisch. Anna guckt ein bisschen ängstlich zu dem Haus.

Wir steigen aus, und ich will mich gerade verabschieden, als Anna mir die Hand auf den Arm legt.

«Sollen wir nicht Nummern austauschen? Vielleicht können wir ja mal einen Kaffee trinken gehen.»

«Oder wir holen uns am Glacestand eine Kugel Erdbeereis und setzen uns an die Glatt», ergänze ich.

«Genau.»

Ich diktiere ihre meine Handynummer, und sie ruft mich eben an, damit ich auch ihre Nummer habe. 

Ich speichere sie unter «Anna Erdbeere» und schlendere durch den lauen Sommerabend nach Hause. 

Über die Autorin

Eine Frau schaut in die Kamera.
Birgit Schlieper. Foto: PD

Birgit Schlieper ist Wahlschweizerin – mittlerweile mit rotem Pass. Die gebürtige Deutsche lebt seit 14 Jahren mit Mann und zwei Kindern in Zumikon. Sie ist Journalistin und Buchautorin. Die 56-Jährige hat mehr als 20 Romane im Bereich Frauen- und Jugendliteratur geschrieben und wurde unter anderem mit dem Journalistenpreis der Stiftung Lesen ausgezeichnet.

Wenn sie nicht schreibt, versucht sie sich als Hobbygärtnerin und kämpft unermüdlich gegen Schnecken und Wühlmäuse.

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