Es ist ein kalter, windreicher Morgen auf dem Mattenhof in Volketswil. Ab und zu bringt ein Sonnenstrahl die gelben Blumen auf den saftig grünen Weiden zum Leuchten. Davon bekommt Clarissa Spirig gerade nichts mit. Sie ist drinnen in der Reithalle zusammen mit Soul Dancer alias Souli, ihrem schwarzen sechsjährigen Wallach.
Die beiden drehen ihre Runden auf dem beige-orangen Sandboden. In der Fachsprache ausgedrückt: Sie reiten Volten, Figuren, Lektionen. Es sieht schwerelos, anmutig und elegant aus. Die Reiterin lobt ihr Pferd immer wieder überschwänglich, tätschelt es. Auf ihrem Gesicht ein beseeltes Lächeln.
Das ist die Morgenroutine von Clarissa Spirig, einer gebürtigen Tessinerin, 45 Jahre alt, Mutter einer zehnjährigen Tochter, getrennt, ehemalige Sales Managerin bei einem internationalen Software-Unternehmen. Sie ist eine Pferdeliebhaberin durch und durch – oder, um es mit ihren eigenen Worten zu umschreiben: ein Pferdemädchen.
Doch es gibt noch eine andere Clarissa Spirig. Eine, die auf Social Media Promistatus hat. Auf Instagram folgen Spirig 36'000 Menschen. Zum Vergleich: Natalie Rickli hat knapp 10'000 und Melanie Winiger 26'000 Follower.
Für Souli ist sie die «Mami»
Auf dem Mattenhof ist derweil das Training fertig. Souli bekommt einen Kuss auf den Hals, einer von vielen – von «Mami», wie sie sich ihm gegenüber nennt. Die gross gewachsene Frau schwingt sich aus dem Sattel, kratzt dem Wallach die Hufe aus, verpasst ihm eine weitere Schmuseeinheit, säubert mit dem Wasserschlauch seine Beine, tastet ihn auf Verletzungen ab. Und immer wieder plaudert sie mit ihm – in Babysprache.
Wenn es um Pferde geht, kann ich nicht wirtschaftlich handeln.
Spirig vergöttert Souli, den sie gekauft hat, als er drei Wochen alt war. Sie, die seit Kindesbeinen an leidenschaftliche Dressurreiterin ist, hat ihn selber ausgebildet. «Es war ein langer Weg, aber heute beherrscht er viele Dressurlektionen», sagt sie stolz. Dennoch mag sie nicht mit ihm an Turniere reisen. Vor allem der Transport des Pferds und der ganze Aufwand drum herum missfallen ihr. «Was wir zusammen haben, das reicht mir vollauf, das macht mir sehr viel Freude.»
Purer Luxus
Die Liebe gegenüber dem Tier steht bei Clarissa Spirig über allem. Als sie Mutter wurde, hat sie ihren Job gekündigt und sich eine Weile dem Pferdehandel gewidmet: Fohlen gekauft und weiterverkauft – oder eben nicht, weil sie es nicht übers Herz brachte. Sie musste feststellen: «Wenn es um Pferde geht, kann ich nicht wirtschaftlich handeln.»
Drei weitere Pferde gehören zum Leben der Pferdeliebhaberin: eine Zuchtstute, ein junges Pferd in Ausbildung und ein Schimmel. Diese sind jedoch in Deutschland, wo die Rahmenbedingungen insgesamt geeigneter sind als hierzulande. Natürlich vermisst Spirig ihre Tiere trotz regelmässigen Besuchen, die sie ihnen abstattet. «Aber ihnen ist wohler dort, sie leben auf riesigen Weiden.»
Hinzu kommt: In der Schweiz ein Pferd zu halten, ist purer Luxus. Da ist der Zustupf aus ihrem Influencer-Dasein willkommen. Clarissa Spirig wird von ihren Sponsoren mit Stiefeln, Kleidung und Helm ausgestattet, Souli mit Zaumzeug und Decken. Es sind hochwertige, gar luxuriöse Sachen darunter. Was sie und Souli dafür tun? Spirig fasst es so zusammen: «Die Sachen tragen, happy sein und das auf Instagram zeigen.»
Erfolg über Nacht
Gestylte Hochglanzbilder, High Fashion für Reiterinnen statt profane Stallkleidung, Pferdeausrüstung vom Feinsten – wie passt das zu einem Pferdemädchen? «Mein Erfolg auf Social Media kam quasi über Nacht», erzählt Spirig. Noch heute findet sie das surreal. Sie habe zu Beginn nichts weiter gemacht, als mal ein paar Bilder von sich und ihren Pferden zu veröffentlichen.
Klar geht es mir auch mal schlecht. Aber ich habe keinen Bock darauf, das zu zeigen.
Wer einen Blick auf ihren Account wirft, sieht Clarissa Spirig frisch und makellos in die Kamera strahlen. «Klar habe ich morgens mal geschwollene Augen. Klar geht es mir auch mal schlecht. Aber ich habe keinen Bock darauf, das zu zeigen. Und wem das nicht gefällt, der muss mir nicht folgen», sagt sie trocken. Ihr Kanal spiegelt weitestgehend eine schöne, heile Welt – aus Überzeugung: «Instagram ist keine Plattform für die ungeschminkte Wahrheit.»
Bis es ungesund wurde
In den Anfängen ihrer Insta-Popularität seien ihre Social-Media-Aktivitäten ein Fulltime-Job gewesen. Ständig neue Anfragen beantworten, die zugeschickten Kleider und Gadgets in Szene setzen, sich damit ablichten lassen, Beiträge veröffentlichen. Mehrmals am Tag. «Man verliert so schnell den Bezug zur Realität.» Und sie ertappte sich dabei, wie es sie ärgerte, wenn sie für einen Beitrag mal weniger Likes als gewohnt bekam.
Da merkte sie, dass es ungesund wurde, und fing an, die Aktivitäten zu drosseln und nicht mehr auf jede Anfrage einzugehen. Heute hat sie die Balance gefunden und die Zusammenarbeit auf wenige Sponsoren beschränkt.
So hat Clarissa Spirig wieder mehr Zeit, sich anderen Dingen zu widmen. Zum Beispiel ihrer Vorstandstätigkeit bei der Reitgesellschaft Volketswil. Die Anfrage kam von Kevin Spillmann, dem Präsidenten des Vereins und Sohn der Besitzer des Mattenhofs. «Die Familie investiert so viel Herzblut in diesen Hof und in den Verein, da war es für mich absolut selbstverständlich, dass ich zusage.»
Die offizielle Wahl an der kommenden Generalversammlung steht noch aus. Indes ist schon klar, was ihre Aufgaben sein werden: Sponsoring und Social Media. Natürlich.