«Ich drehe durch», ruft der Techniker wiederholt aus, während er schnellen Schrittes die Bühne auf und ab läuft. In der einen Hand hält er Klebeband, in der anderen einen Akkubohrer. Er ist verantwortlich für die Kulissen auf der Bühne im Speicher der Oberen Mühle in Dübendorf. Hier will nämlich die Laientheatergruppe Einhorn aus Dübendorf heute zum ersten Mal das Stück «Bittermandle und Pistole» auf der Bühne proben.
Drei Tage lang haben der Techniker und seine Helfer mit Hochdruck an den Kulissen gearbeitet. Doch seinen Rufen nach zu urteilen, ist noch nicht alles bereit. Eine Frau ruft ihm zu: «Iss ein bisschen Schoggi, junger Mann. Alles wird gut.»
Im Speicher ist viel los an diesem Montagabend. Die Schauspieler sind alle da und begehen zum ersten Mal die Bühne. Einige haben sich schon ihr Kostüm angezogen. Ein Herr im Smoking, eine Krankenpflegerin oder ein Mann im römischen Gewand sind zu sehen. Dazwischen eine Person mit T-Shirt und Jeans – sie hat ihr Kostüm zu Hause vergessen.
Es herrscht ein reines Durcheinander. Zu viele Menschen sind gleichzeitig auf der Bühne. Ein Schauspieler testet die Stabilität eines Kulissenstuhls, indem er sich dramatisch darauf fallen lässt, während der Techniker im Hintergrund ein Kulissenregal flickt. Lautstark wird diskutiert.
Dirigent des Durcheinanders
Zuvorderst im Trubel ist der Regisseur Jan von Rennenkampff. Er ist verantwortlich für die Inszenierung und die Koordination des Theaters. Bisher hat er mit den Schauspielern in einem Proberaum geprobt. «Dort haben wir Gänge und Türen auf den Boden gezeichnet. Bei der heutigen Bühnenbegehung geht es darum, Probleme beim Spielen auf der Bühne zu erkennen und zu beheben.»

Das sei jedes Mal eine «Wundertüte». «Manchmal gibt es Diskussionen, weil man gewisse Erwartungen hat – und dann merkt, dass sie auf der Bühne nicht umsetzbar sind. Die Spieler und die Regie müssen ihre Vorstellungen oft anpassen», erklärt er. Dabei gehe es nicht um schauspielerische Details. «Wir proben heute ohne Kunst.»
Eine Bühnenbegehung kann nicht nur für den Koordinator herausfordernd sein, sondern auch für die Schauspieler. Von Rennenkampff erklärt: «Sie stehen zum ersten Mal mit diesem Stück vor einem grossen Raum, in dem rund 300 Zuschauer Platz finden. Sie müssen sich an das Headset mit dem Mikrofon, an das Licht und an die Kostüme gewöhnen.»
Schein oder Sein?
Um genau die geht es eine Etage unter der Bühne, im Ankleideraum. In allen Farben und Formen hängen sie an den Kleiderständern, daneben skurrile Requisiten. Im Raum geht es vor der Probe genauso chaotisch zu und her wie auf der Bühne. Vor den grossen, beleuchteten Spiegeln ziehen sich die Schauspieler um und schminken sich. «Hast du Abschminktücher?», hört man. Oder: «Kann ich mir deinen Lippenstift leihen?»
Während die Schauspieler mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt sind, begutachtet von Rennenkampff das Bühnenbild. Die Kulissen sind ausgeklügelt: Die Wände lassen sich verschieben, in den Möbeln sind Geheimtüren versteckt, und wenn man genau hinschaut, sind die viele Konturen von Türen oder Stuck gar nicht echt, sondern aufgepinselt.
Von Rennenkampff erklärt, dass die Möbel vom Theaterteam aus Brockenhäusern oder auf Facebook gekauft würden, auch viele Requisiten wie zum Beispiel alte Bücher oder Weinkrüge kämen von dort. Die Kostüme würden aus dem Fundus des Vereins geholt oder von den Schauspielern selbst mitgebracht.
Neben dem physischen Bühnenbild kommen auch verschiedene Musikstücke, Lichteffekte und drei Nebelmaschinen zum Einsatz. Trotz all dem betont von Rennenkampff die Wichtigkeit des Schauspiels, denn: «Die Darsteller schaffen die Atmosphäre.» Und weil das Stück nicht nur ein Krimi, sondern auch eine Komödie ist, wird viel mit Tempo und Rhythmus gearbeitet.
Leichtigkeit muss geübt sein
Für den Rhythmus ist heute auch der Choreograf da, um den Schlusstanz zu üben. Auch dieser findet heute zum ersten Mal auf der Bühne statt. Und genau deshalb tauchen die ersten Probleme schon beim Betreten der Bühne auf.
Einer der Spieler, der sich zwischen zwei Wänden hindurchzwängen müsste, ruft: «Ich komme hier gar nicht durch – schon gar nicht mit meinem Requisitenschwert, das in meinem Rücken steckt.» Er streckt die Arme ganz aus, um scherzhaft die Länge des Schwerts zu verdeutlichen.
Also werden die Wände verschoben, der Tanz beginnt nochmals von vorne. Aber nicht lange, und eine andere Schauspielerin ruft: «Jetzt komme ich nicht mehr durch!» Das Team lacht den Frust weg. Es wird nach Lösungen gesucht.
Danach geht es mit dem Tanz weiter, der Choreograf tanzt vor, die Schauspieler tanzen – mehr oder weniger richtig – nach. «Eins – zwei – drei – ba-bam», singt der Choreograf, zwischendurch schwingt er auch mit dem Regisseur über das Parkett. Der Solotanz zweier Schauspieler wird Schritt für Schritt besprochen, schliesslich sollen sie in der Mitte der Bühne tanzen und nie dem Publikum den Rücken zudrehen.
Blut, Schweiss und jede freie Minute
«Die Schlussszene müssen wir noch genauer proben», verrät von Rennenkampff. Das werden die Hobbyschauspieler, von denen die meisten auch noch 100 Prozent arbeiten, die nächsten Tage auch machen. Jeden Abend ab sieben Uhr für mehrere Stunden und am Wochenende zweimal acht Stunden, bis zur Uraufführung.
Nach der Probe des Schlusstanzes wird das ganze Stück von vorne gespielt. Und es läuft flüssig bis auf ein paar Versprecher, die sofort von einer Frau korrigiert werden, die das Skript mitliest. Es wird klar, dass die Schauspieler schon viel Zeit in das Stück investiert haben.
Von Rennenkampff verfolgt das Schauspiel mit konzentrierter Miene. Ab und zu ruft er: «Wartet kurz!» Dann korrigiert er die Schauspieler, schlägt ihnen einen kürzeren Gehweg vor oder kritisiert einen dramatischen Sturz über einen Stuhl.

In einer Szene reagiert eine Schauspielerin nicht auf ein Klopfen an der Tür. Also wird die Szene wiederholt. Beim zweiten Mal wird im falschen Moment geklopft. Also wird die Szene wiederholt. Beim dritten Mal hat die Schauspielerin vor lauter Proben ihren Text vergessen. Sie fragt: «Wo waren wir noch mal?»
Kleine oder grosse Details werden besprochen. So fehlt einem Schauspieler in einer Szene eine Requisite: sein Kopf, den er als Zombie tragen sollte. «Wo hast du deinen Kopf gelassen?», fragt von Rennenkampff. «Der kann gerade nicht gebraucht werden», ist die Antwort. «Warum?», fragt von Rennenkampff. Der Schauspieler sagt: «Weil er noch vor Blut tropft. Er muss zuerst trocknen, sonst gibts eine Sauerei.»
Das wird mit Lachen vom ganzen Team quittiert. Denn die Schauspieler, Assistenten, Techniker und alle, die es braucht, um ein Theater auf die Beine zu stellen, haben Spass bei ihrer Arbeit. Dass sie all ihre Zeit und ihre Nerven in das Projekt stecken, schweisst sie zusammen. Und macht die Leidenschaft spürbar.
Eine mörderische Kriminalkomödie
Die Kriminalkomödie «Bittermandle und Pistole» nach dem Stück «A Tomb with a View» von Norman Robbins handelt von der Familie Graber im Haus Grauenstein. Nach dem mysteriösen Tod des Familienvaters wird die Testamentseröffnung erwartet. Die Spannung steigt, als eine unbekannte Erbin auftaucht. Damit wird nicht nur das Erbe gefährdet, sondern es droht auch die Lüftung der vielen Geheimnisse, die das Haus Grauenstein umgeben.
Die Aufführungen finden vom 7. bis zum 21. März in der Oberen Mühle in Dübendorf statt. Der Link zum Ticketverkauf findet sich auf der Website theatereinhorn.ch.