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Grosse Wohnüberbauung auf dem Zwicky-Areal in Dübendorf.

Die Bauten auf dem Zwicky-Areal sind mehrfach ausgezeichnet worden. Nun bezweifelt Christa Zwicky, ob beim Bau die Vorschriften auch eingehalten worden sind. Foto: Christian Brändli

Strafanzeige eingereicht

Bauen ohne Limit auf dem Zwicky-Areal?

Das Zwicky-Areal auf Dübendorfer und Walliseller Boden ist ein beliebter Wohnort. Die Staatsanwaltschaft soll nun untersuchen, ob dort beim Bau alles mit rechten Dingen zu- und hergegangen ist.

Die Bauten auf dem Zwicky-Areal sind mehrfach ausgezeichnet worden. Nun bezweifelt Christa Zwicky, ob beim Bau die Vorschriften auch eingehalten worden sind. Foto: Christian Brändli

Veröffentlicht am: 16.03.2025 – 16.41 Uhr

Mit der Jahrtausendwende kam auch das Ende der 150-jährigen Geschichte der Zwirnerei Zwicky. Die Fabrik im Neugut auf der Grenze zwischen Wallisellen und Dübendorf musste wegen der immer grösseren Konkurrenz aus dem Ausland die Produktion 2002 einstellen.

Dieser Niedergang einer grossen Tradition brachte gleichzeitig eine völlig neue Bestimmung für das fast 240’000 Quadratmeter grosse Areal. Statt Nähseide und Nähfaden entstanden dort ab 2007 Gewerberäume und Wohnungen. Sehr viele Wohnungen.

Den Wandel direkt miterlebt

Christa Zwicky hat diesen Wandel hautnah erlebt. Sie wohnte auch nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1988 noch bis 2016 in der Fabrikantenvilla und konnte mitverfolgen, wie nicht nur die alten Fabrikgebäude umgenutzt wurden, sondern nach und nach rundum neue Bauten entstanden.

Wäre es nach Christa Zwicky gegangen, hätte das Zwicky-Areal mindestens teilweise noch länger den «Dörfli-Charakter» behalten, der auf dem Industriegelände herrschte. Immerhin standen dort 57 Wohnungen, in denen ein Teil der bis zu 200 Angestellten wohnte. Doch ihre beiden rund 20 Jahre älteren Halbgeschwister wollten das mittlerweile von Autobahnen und S-Bahn-Viadukten eingeklemmte Gelände vor allem nach ihren Vorstellungen umnutzen.

Die einstige Fabrikantenvilla auf dem Zwicky-Areal in Dübendorf.
Christa Zwicky ist in der ehemaligen Fabrikantenvilla aufgewachsen. Einst etwas abseits gelegen, ist das Haus längst von Blöcken, Strassen und Bahnviadukt umgeben. Foto: Simon Grässle

Grundlage dafür war ein 2003 genehmigter privater Gestaltungsplan, der zuletzt 2011 revidiert worden war. Sieben sogenannte Baufelder sind dort definiert. Diese wurden nach und nach «entwickelt». Zunächst wurden im alten Verwaltungsgebäude Wohnungen und Lofts eingebaut. Danach spriessten immer mehr Neubauten in die Höhe. 2010 erhielt das Zwicky-Areal mit dem letzten Teilstück der Glattalbahn-Linie sogar eine eigene Haltestelle.

Die Züge vor dem Fenster

Christa Zwicky, die sich um die Landwirtschaft auf dem Areal kümmerte, beschlich schon früh das Gefühl, dass beim ganzen Entwicklungsvorhaben nicht alles mit rechten Dingen zu und her ging. Da wurden plötzlich viel mehr Wohnungen erstellt, als es der Gestaltungsplan eigentlich erlaubte. Die Neubauten kamen dem Wald, dem Chriesbach – Gewässerschutz! – und den neuen Strassen und Bahnen sehr nahe, und nach ihren Erhebungen sogar zu nahe.

Ein Bahnviadukt führt vor einem hohen Haus vorbei.
Die Bahn ist auf dem Zwicky-Areal sehr präsent – oft direkt vor dem Fenster wie hier bei Hotel Harry’s Home. Foto: Christian Brändli

Wo andernorts Vorschriften für Lärmschutz und Sicherheit zu deutlich weiteren Abständen zu den Bahnlinien führen, scheinen in Dübendorf und Wallisellen andere Regeln zu gelten. Gewisse Zufahrten wurden zu klein dimensioniert, dafür zu viele Parkplätze erstellt. Und schliesslich gab es auch Ungereimtheiten bei der Altlastensanierung.

Doch beweisen konnte sie erstmal nichts, nicht zuletzt, da sie nach eigenem Bekunden von ihren Halbgeschwistern in vielen Entscheiden übergangen wurde, sie auch keine Einsicht in die entsprechenden Unterlagen bekam oder im Firmenarchiv versperrt wurden. Wenn sie nachhakte, wurde sie damit abgespeist, dass es sich nur um ein Missverständnis handle. Verschiedentlich wurden laut Christa Zwicky Dokumente in ihrem Namen als Miteigentümerin verfasst, ohne dass sie diese zu Gesicht bekommen, geschweige denn unterschrieben hätte.

Mehrfach kam es zum Streit. Dies führte dazu, dass Christa Zwicky nach und nach mehr Anteile an der Firma abgab und Ende 2015 schliesslich aus dieser ganz ausschied. Mittlerweile gehört ihr nur noch der Wald zwischen dem überbauten Areal und der Autobahn.   

Aufsichtsbeschwerde, Selbstanzeige, Strafanzeige

Doch Ruhe liess ihr damit die ganze Sache nicht. Sie grübelte weiter und fand zahlreiche Unstimmigkeiten. Die Unterlagen füllen mittlerweile gleich reihenweise Ordner. Darin finden sich auch Hinweise, dass Boden gegenüber den Steuerbehörden als Industrieland verkauft wurde, in den Verträgen mit den Investoren aber von – viel höher einzuschätzendem – Wohnland die Sprache war. «Das ist doch rechtlich nicht korrekt», enerviert sich Christa Zwicky. Sie reichte eine Aufsichtsbeschwerde ein, die aber ohne Folgen blieb.

Nicht zuletzt, um weiteren Schaden von sich abzuwenden, erstattete sie im vergangenen Jahr in Dübendorf und Wallisellen bei den Steuerbehörden eine Selbstanzeige. Zu dieser wollte sich der Dübendorfer Finanzvorstand – und Präsident des Ausschusses für Grundsteuern – Martin Bäumle (GLP) auf Anfrage unter Verweis auf das Steuergeheimnis nicht äussern.

Christa Zwicky legte dann, unterstützt von einem ganzen Team von Fachleuten, bei der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland eine mittlerweile mehrfach ergänzte und nun 113 Seiten umfassende Strafanzeige gegen unbekannt ein.

Diese Strafanzeige hat es in sich. Der Zürcher Rechtsanwalt Duri Bonin, der Christa Zwicky vertritt, fokussiert sich dabei auf das 41'100 Quadratmeter grosse Baufeld E, besser bekannt als Zwicky-Süd. Dieses wird von S-Bahn-Viadukt, Chriesbach und Neugutstrasse eingerahmt und liegt ganz auf Dübendorfer Boden. Auf dem Gelände wurden 2016 Hunderte Mietwohnungen, ein Hotel, ein Restaurant, Läden, aber auch eine Kita, eine Tanz- sowie eine Sprachschule realisiert.

Zu viele Wohnungen und Parkplätze?

Laut dem öffentlich einzusehenden Baugesuch hätten auf dem Baufeld E maximal 282 Wohnungen entstehen dürfen. Tatsächlich sind es heute aber wohl rund 350 Wohnungen. Der Stadtrat Dübendorf bewilligte knapp 34’300 Quadratmeter für Wohnzwecke, dazu gut 6600 Quadratmeter für Gewerbe. Damit läge der Wohnanteil bei knapp 84 Prozent. Werden aber die zusätzlichen Wohnungen berücksichtigt, läge die tatsächlich für Wohnzwecke genutzte Fläche bei 97,3 Prozent der Gesamtfläche. Dies wäre ein Verstoss gegen die Begrenzung von höchstens 90 Prozent.

Ein ähnliches Zahlenbild ergibt sich bei den Parkplätzen. Auf dem Baufeld E sind maximal 240 erlaubt. Diese Zahl ergibt sich aus der zulässigen Wohn- und Gewerbenutzung. Auch diese Zahl wurde jedoch überschritten, zumindest wenn man vor Ort geht und die Parkplätze zählt. Augenfällig ist das bei den oberirdischen Parkplätzen unter dem SBB-Viadukt: 18 dürften es sein, doch tatsächlich zählt man dort 45 Plätze.

Mehrere Autos stehen unter einem hohen Bahnviadukt.
Unter dem S-Bahn-Viadukt sind auf dem Zwicky-Areal zahlreiche Parkplätze zu finden. Foto: Christian Brändli

Christa Zwicky stellt sich die Frage, ob die Bauausführungen tatsächlich kontrolliert worden sind. Eigentlich müssten solche Abweichungen auffallen. Entsprechende Abnahmeprotokolle scheinen jedoch zu fehlen.

Dokumente nicht gefunden

«Im Zusammenhang mit diesen Überbauungen gibt es Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Unregelmässigkeiten», meint Zwickys Anwalt. Fakten und Indizien legten nahe, «dass der Gestaltungsplan für das Zwicky-Areal sowie die in diesem Rahmen erteilten Baugenehmigungen wiederholt und systematisch von den geltenden baurechtlichen und planungsrechtlichen Normen abgewichen sind.» Es seien «fundamentale Prinzipien» der Raumplanung und des Baurechts, inklusive der Bestimmungen über die zulässige Nutzung, die erforderlichen Erschliessungen sowie gesundheitsrelevante Schutzvorschriften «potenziell missachtet» worden.

Und es kommt noch dicker: Wesentliche Planungs- und Genehmigungsdokumente seien durch die zuständigen Behörden unzureichend dokumentiert oder würden nicht offengelegt. Somit verstärke sich aufgrund «der Schwere und Systematik der möglichen Verstösse» der Verdacht, dass hier koordiniert vorgegangen worden sei, um gesetzliche Bestimmungen zu umgehen. Als Beispiel wird das Fehlen der bewilligten Baugesuchpläne oder sämtlicher Abnahmeprotokolle angeführt. Solche müssten während der Realisierung eines Baus erstellt werden.

Christa Zwicky vermutet, dass mit all diesen Rechtsverstössen auch Grundstückgewinnsteuern umgangen worden sind. Es erscheine plausibel, dass ein Zusammenwirken zwischen den planenden und den ausführenden Personen sowie den verantwortlichen Behördenmitarbeitern stattgefunden habe.

Komplexer Planungsprozess

Der Hauptvorwurf ist, dass mit der Genehmigung des privaten Gestaltungsplans für das Zwicky-Areal durch die Stadt Dübendorf – und auch durch Wallisellen – die planungsrechtlichen Grundprinzipien umgangen worden seien. Zum Zeitpunkt, als dieser abgesegnet wurde, hätten die Dübendorfer Bauordnung und auch der Zonenplan jegliche reguläre Wohnnutzung im Baufeld E untersagt. Demgegenüber erlaubt der seit 2012 gültige Gestaltungsplan für dieses Gebiet eine Wohnnutzung von maximal 90 Prozent.

Gemäss dem Raumplanungsgesetz hätten aber zuerst Bauordnung und Zonenplan angepasst werden müssen, bevor solche Extrabestimmungen für ein Gebiet erlassen werden dürften. Das Bundesgericht habe zu diesem Thema eine klare Meinung, hält Bonin fest: Wenn die Zonenplanung mit der Gestaltungsplanung vorweggenommen werde, heisse das Bundesgericht gegen Gestaltungspläne gerichtete Beschwerden regelmässig gut, «gerade wenn es dabei um zentrale Fragen wie die Nutzweise geht».

Es ist nun Sache der Strafbehörde, die ganze Thematik tiefgreifend zu untersuchen, um die volle Tragweite zu erfassen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

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