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Bike steht vor einem Graffiti.

In Zürich standen zwei Männer vor Gericht, weil sie E-Bikes im Wert von 400’000 Franken gestohlen haben. Foto: Boris Müller

Aus dem Bezirksgericht Zürich

E-Bikes sind beliebtes Diebesgut – ein Brüderpaar schlug 62-mal zu

Nicht nur auf der Strasse werden E-Bikes entwendet, sondern auch aus privaten Kellern gestohlen. Zwei besonders umtriebige Diebe standen in Zürich vor Gericht.

In Zürich standen zwei Männer vor Gericht, weil sie E-Bikes im Wert von 400’000 Franken gestohlen haben. Foto: Boris Müller

Veröffentlicht am: 13.03.2024 – 10.06 Uhr

E-Bikes sind bei Diebesbanden gerade sehr gefragt. Das bekam Robert Betschart (Name geändert) gleich mehrfach zu spüren. Der im Grossraum Zürich wohnhafte Rentner kaufte sich vor zwei Jahren ein Occasion-E-Mountainbike für 4050 Franken (Neuwert: über 5000 Franken). Seither ist das Fahrrad, mit dem Betschart Ausflüge in den Bergen macht, ganze viermal gestohlen worden.

Zweimal hatte es im Velokeller der Siedlung gestanden, zweimal auf dem Abstellplatz vor dem Haus. Immer war das E-Bike am Ständer festgeschlossen, es liess sich also nicht einfach wegtragen. «Aber selbst das massivste Schloss bringt nichts, wenn der Dieb das richtige Werkzeug mitbringt», sagt Betschart. Andere, weniger wertvolle Fahrräder liessen die Diebe stehen.

Slowakisches Brüderpaar als Täter

Was sie nicht wussten: Betschart hatte am teuren Velo einen GPS-Tracker versteckt, mit dem er es orten konnte. Mal fand er es in Zürich-Seebach, mal im solothurnischen Aarburg, dann in einer Nachbargemeinde von Betscharts Wohnort und einmal sogar am Strassenrand in einem parkierten Smart.

Besonders gemein: Wie die jeweils herbeigerufene Polizei herausfand, dürften zwei der Diebstähle auf das Konto der gleichen Täter gehen. Ein slowakisches Brüderpaar aus Zürich soll das E-Mountainbike im Frühling 2022 gestohlen und bei einem Freund untergebracht haben.

Weil die Polizei das sichergestellte Diebesgut dem Besitzer Betschart zurückbrachte, sollen es die gleichen Männer zwei Wochen später kurzerhand wieder geklaut haben.

E-Bike steht an einer Laterne.
Viermal wurde das E-Mountainbike von Robert Betschart gestohlen: Lenker und Sattel sind eingepackt, weil die Polizei Fingerabdrücke und DNA-Spuren sicherstellte. Foto: PD

Die Ermittlungsbehörden glauben, dass dies nur eine kurze Episode aus einer Reihe von Diebeszügen der Gebrüder war. Die beiden Männer, 33 und 36 Jahre alt, standen im Februar vor dem Bezirksgericht Zürich, weil ihnen insgesamt 62 Einbruchdiebstähle in Veloräumen, Kellerabteilen und Garagen zur Last gelegt werden.

Es handelt sich um Männer aus der Slowakei, die vor sechs respektive vier Jahren aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz kamen. Ihre Jobs als Asbestsanierer verloren sie; der eine nach eigenen Angaben wegen eines Armbruchs, der andere, weil er in eine Crystal-Meth-Sucht abrutschte.

Um dennoch an Geld zu kommen, sahen sie es laut Anklageschrift auf E-Bikes und teure Mountainbikes ab. Von April bis September 2022 sollen sie Diebesgut im Wert von 397’000 Franken erbeutet haben, hauptsächlich teure Velos, vereinzelt Fallschirme, eine Fotokamera oder einen Satz Pirelli-Winterreifen mit AMG-Felgen – Zufallsfunde gewissermassen bei den nächtlichen Einbrüchen in die Keller von Dübendorf bis Thalwil, von Uster bis Baar ZG. Wieder gefunden wurde nur ein kleiner Teil der Beute, etwa in der Slowakei von der örtlichen Polizei.

Fast 1000 Diebstähle in der Stadt Zürich

Dieses Vorgehen hat System. Als im Kanton Thurgau vor zwei Jahren die Zahl der gestohlenen E-Bikes in die Höhe schoss, sagte ein Sprecher der Kantonspolizei zu Radio SRF: «Die meisten E-Bikes werden im Thurgau aus Tiefgaragen oder Kellern von Mehrfamilienhäusern gestohlen.» Das widerspreche der landläufigen Meinung, dass Velos vor allem in der Öffentlichkeit entwendet würden.

Mit der Verbreitung von E-Bikes hat auch in Zürich die Zahl der Diebstähle zugenommen, während tendenziell weniger normale Fahrräder als früher wegkommen. Im Jahr 2022 wurden allein in der Stadt Zürich 942 E-Bikes als gestohlen gemeldet; das entspricht einem gestohlenen E-Bike alle neun Stunden.

Balkendiagramm
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Im Fall der slowakischen Brüder steht für die Staatsanwaltschaft fest, dass sie sich des gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls schuldig gemacht haben. Der Jüngere der beiden soll dafür eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten (davon 16 unbedingt) kassieren und für 7 Jahre das Land verlassen müssen.

Neben den Velodiebstählen machte er sich des Diebstahls in einem Sportgeschäft und in einer Coop-Filiale schuldig, wo er Fitnessuhren respektive eine Kaffeemaschine stahl, was er auch zugibt.

Deutlich mehr fordert die Staatsanwaltschaft für den älteren Bruder: 60 Monate Freiheitsstrafe unbedingt und einen Landesverweis für 15 Jahre. Bei ihm kommt erschwerend hinzu, dass er bei einer chaotischen, rücksichtslosen Fahrt auf der Autobahn mehrfach die Verkehrsregeln verletzte und dass er in kleinen Mengen Methamphetamin vertickte.

Zudem befindet sich der 36-Jährige in der Bewährungsphase: Erst im April 2022 hatte ihn das Bezirksgericht Horgen wegen Ladendiebstahls und der Beschimpfung von Nachbarn zu 11 Monaten bedingt verurteilt und ihn des Landes verwiesen. Die Schweiz hat er aber nie verlassen. Stattdessen soll er einen Tag nach dem Horgner Urteil in einem Zürcher Keller ein Mountainbike im Wert von 12’000 Franken gestohlen haben.

Schuhe auf dem Foto verrieten sie

Die Anklage stützt sich auf umfangreiches Beweismaterial, darunter Standortdaten der Mobilfunkverbindungen, Fotos auf den Smartphones der Beschuldigten und inkriminierende Chatverläufe sowie DNA-Spuren an Tatorten und sichergestellten Velos.

Aus Gründen, die aus der Anklageschrift nicht hervorgehen, sollen die Brüder neben dem Deliktsgut auch die Keller fotografiert haben. Auf einem solchen Kellerbild waren sogar zwei Paar Schuhe zu sehen, die den Brüdern zugeordnet werden konnten.

Die Beschuldigten wurden im Herbst 2022 in einem Hotelzimmer in der Flughafenregion verhaftet, später haben sie den vorzeitigen Strafvollzug angetreten. Während dieser 16 Monate beteuerten sie ihre Unschuld.

«Kein bandenmässiger Diebstahl»

Erst an der Hauptverhandlung gestand der ältere Bruder überraschend: Ja, übersetzte die Dolmetscherin, jene Diebstähle, von denen es Fotos auf seinem Handy gebe, die habe er verübt. Die Liste der Anklage sei allerdings lang, und er könne sich nicht an alles erinnern.

25 Einbruchdiebstähle könnten «wohl oder übel» seinem Klienten zugeordnet werden, sagte daraufhin sein Verteidiger. In den anderen der 62 Fälle wisse man aber nur, dass sich der Beschuldigte in der grösseren Umgebung der Tatorte aufgehalten habe; mehr Beweise gebe es nicht.

Der Vorwurf des bandenmässigen Diebstahls treffe nicht zu, weil Bandenmässigkeit einen höheren Organisationsgrad voraussetze. «Es gab aber keine klare Rollenverteilung, keine Hierarchie», sagte der Verteidiger. Es könne sich daher höchstens um eine Mittäterschaft handeln.

Der jüngere Beschuldigte gab an, mit den gestohlenen Velos gar nichts zu tun zu haben. In der fraglichen Zeitspanne habe er teilweise auch gar keinen Kontakt zum Bruder gehabt, weil dieser Drogenprobleme gehabt habe.

Sein Verteidiger stellte die Verwertbarkeit der im Hotelzimmer gesammelten Beweise infrage. Die Polizei habe das Zimmer eigentlich nur aufgesucht, weil der Beschuldigte eine Rechnung nicht bezahlt habe. Daraufhin hätten die Polizisten aber das Zimmer durchsucht und Deliktsgut gefunden, ohne dass sie einen Durchsuchungsbefehl gehabt hätten.

Die Verteidiger forderten die Abweisung der meisten Anklagepunkte gegen den älteren Bruder oder im Falle einer Verurteilung höchstens eine Freiheitsstrafe von 39 Monaten. Und der jüngere Bruder sei nur des Diebstahls und des Hausfriedensbruchs schuldig zu sprechen, was maximal in einer bedingten Geldstrafe samt Busse münden dürfe.

Beide müssen die Schweiz verlassen

Diese Argumente überzeugten das Zürcher Bezirksgericht nicht. Es hat das Brüderpaar des gewerbs- und (teilweise) bandenmässigen Diebstahls schuldig gesprochen. Das Kollegialgericht stellte das Urteil schriftlich zu. Das heisst, es verzichtete auf eine mündliche Begründung des Urteils. Die schriftliche Begründung folgt erst noch.

Wie aus dem Dispositiv hervorgeht, genügte die Beweislage für den jüngeren Bruder in mehreren Fällen nicht; er wurde in zahlreichen Dossiers freigesprochen. Trotzdem folgte das Gericht bei der Strafzumessung dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Weil der Verurteilte bereits 16 Monate in Haft sass, kommt er auf freien Fuss, muss die Schweiz aber verlassen.

Beim älteren Bruder geht das Gericht sogar weiter als gemäss Anklage beantragt. Er wurde zu 65 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sobald er die Zeit abgesessen hat, wird er für 20 Jahre des Landes verwiesen.

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