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Eine Beige Akten

Als Behördenmitglied Dokumente weitergeben: eine heikle Sache, wie ein ehemaliger Gemeinderat erfahren musste. (Symbolfoto: Unsplash)

Ehemaliger Gemeinderat vor Gericht

Das Zeigen eines Gutachtens war keine Geheimnisverletzung

Wird schon mit dem kurzen Präsentieren eines vertraulichen Dokuments ein Geheimnis verraten? «Knapp nein», sagte das Bezirksgericht Uster in einem Behördenfall.

Als Behördenmitglied Dokumente weitergeben: eine heikle Sache, wie ein ehemaliger Gemeinderat erfahren musste. (Symbolfoto: Unsplash)

Veröffentlicht am: 29.08.2023 – 05.22 Uhr

Es ist selten, dass eine Gemeinde eine Anzeige gegen einen ihrer eigenen Gemeinderäte einreicht. Doch genau das passierte vor drei Jahren in einem Ort in der Region.

Zwei verschiedene Handlungen eingeklagt

Und am Montag hatte sich ein Einzelrichter am Bezirksgericht Uster mit der juristischen Bewertung dieses Falls zu befassen. Dem angeklagten Gemeinderat, der heute nicht mehr aktiv ist, wurde Amtsgeheimnisverletzung vorgeworfen.

Einerseits hatte er als damaliger Hochbauvorsteher in einer Sitzung der fünfköpfigen Baukommission ein denkmalpflegerisches Schutzgutachten zur Schutzwürdigkeit des Gemeindehauses gezeigt. Dies, obwohl laut Anklage der Gesamtgemeinderat wohl «ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse» am Dokument hatte und dieses mindestens noch etwa zwei Wochen unter Verschluss halten wollte.

Andererseits hatte der Angeklagte ein paar Tage später einer Einwohnerin eine Liste mit 240 Adressen übermittelt. Adressen von Personen, die nach einer Info-Veranstaltung Interesse an einem privaten Verein oder einer Genossenschaft für die Gründung eines Ladens oder Treffpunktes in einer Gemeindeliegenschaft bekundeten.

Das hätte er gemäss Anklage nicht tun dürfen, da er die Adressen «in seiner Funktion als Vorsteher Ressort Hochbau der Gemeinde erlangt hatte» und die Namen nur einem beschränkten Personenkreis bekannt waren.

Hohe bedingte Geldstrafe gefordert

Die Staatsanwältin forderte für dieses Vorgehen eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 390 Franken, total also 23'400 Franken. Damit lag sie deutlich unter der in erster Instanz ausgefällten Strafe, sollte die Angelegenheit doch ursprünglich mit einem Strafbefehl abgehandelt werden, was der Beschuldigte aber nicht akzeptierte und die Sache ans Bezirksgericht weiterzog.

Ein Ein-Minuten-Blick

Der Ex-Gemeinderat, heute Mitte 60, sah in seinem Tun nichts Verbotenes. In der Baukommissionssitzung sei man untraktandiert auf das Thema «schutzwürdige Bauten» gekommen. Man habe dann ganz kurz über den auch in der Öffentlichkeit schon länger kontrovers diskutierten Status des etwa 50 Jahre alten Gemeindehauses gesprochen.

Er zeigte in diesem Zusammenhang das ganz frische, über 100 Seiten starke Schutzgutachten. Jeder Sitzungsteilnehmer habe «ungefähr eine Minute» auf das Dokument geschaut beziehungsweise nur auf dessen Titelseite.

Ich wüsste nicht, wie man der Gemeinde damit hätte schaden können.

Der Ex-Gemeinderat zum Zeigen des Gutachtens

Nach Meinung des ehemaligen Politikers wäre es nur eine Geheimnisverletzung gewesen, wenn er das Gutachten detailliert präsentiert hätte. Doch an der Sitzung sei es ja nur um «die Präsentation einer Tatsache» gegangen, nämlich des Umstands, dass eben jetzt ein Gutachten vorliege. «Ich wüsste nicht, wie man der Gemeinde damit hätte schaden können.»

Aus privater Liste wurde eine «offizielle»

 Was die Weitergabe der Adressliste betreffe, sei leider «ein formeller Fehler» passiert. Die eindeutig private Adressliste von Interessenten für eine neu zu gründende private Gruppierung sei durch eine unkontrollierte Handlung eines Mitarbeiters der Gemeindeverwaltung, welche die Adressen vorübergehend treuhänderisch aufbewahrt habe, auf Papier der Gemeinde erfasst worden. Sie sah dann also aus wie ein amtliches Dokument.

«Das war blöd», weiss der Angeklagte heute. Und seiner Überzeugung nach klar dem Umstand geschuldet, dass er an jenem Info-Anlass und bei diesem Ladenprojekt «zwei Hüte anhatte»: den Hut eines an der Entstehung des Ladens sehr interessierten Bewohners und den Hut als zuständiger Behördenvertreter.

Einblick in Papier war nicht möglich

Die Verteidigerin verlangte einen Freispruch. Die weitergegebene Adressliste sei ein privates Dokument gewesen.

Beim Schutzgutachten zum Gemeindehaus sei «nicht ersichtlich, weshalb ein Fachgremium wie die Baukommission nicht hätte vom Gutachten wissen dürfen». Zumal der Inhalt dieses Papiers sogar zwei externen Fachleuten bekannt gewesen sei.

Vor allem aber sei es «nur ein kurzes Zirkulieren» des Gutachtens in der Sitzung gewesen. Sprich: Den Kommissionsmitgliedern sei lediglich ein Blick auf, aber nicht in das Gutachten ermöglicht worden. Und drei Wochen später machte die Gemeinde den Inhalt der Schutzanalyse ohnehin per Medienmitteilung öffentlich.

Für Gericht ein Grenzfall

Das Gericht bewertete die beiden eingeklagten Ereignisse unterschiedlich: Schuldspruch wegen Amtsgeheimnisverletzung in der Sache der Adressliste, Freispruch in der Gutachtenssache. Das führte zu einer massiv reduzierten bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 220 Franken. Um einen Teil seiner Verteidigungskosten zu zahlen, erhält der Mann 9000 Franken.

Der Richter bezeichnete das Ereignis in der Baukommissionssitzung als «einen Kantenfall», also einen Grenzfall. Da das Gutachten «nur kurz und an einer nicht öffentlichen Sitzung» gezeigt worden sei, sei man hier zu einem Freispruch gekommen.

Und auch, «weil die Behörden ja zusammenarbeiten können müssen». Wenn ein Gemeinderat in einer Baukommissionssitzung nicht mal mehr schnell ein zwar heikles Dokument zeigen dürfe, sei eine Zusammenarbeit kaum mehr möglich.

Es gibt sicher weitaus schwerere Amtsgeheimnisverletzungen.

Richter zur Weitergabe der Adressen

Bei der weitergegebenen Adressliste hingegen «bestand ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse», das der Angeklagte damals verletzt habe. Denn die Adressen hätten zu einem Projekt gehört, wo für alle klar gewesen sei, dass «die Gemeinde den Lead hat» und der private Charakter der Liste nicht erkennbar gewesen sei.

«Allerdings», gab der Richter zu bedenken, «gibt es weitaus schwerere Amtsgeheimnisverletzungen» als die hier vorliegende. – Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Bei Problemen «bist du allein»

Der Angeklagte, der fast zehn Jahre lang laut eigener Einschätzung als «extrem engagierter Gemeinderat» aktiv war, zeigte sich in seinem Schlusswort am Prozess ernüchtert. «Ich fühle mich als Bauernopfer.» Denn die Gemeinde habe ihn angezeigt so nach dem Motto «Unseren A… retten, weil es da Probleme geben könnte». Nach dem Schuldspruch würde er Interessenten von einem Amt in einer Kollegialbehörde wie dem Gemeinderat abraten – denn wenn mal Schwierigkeiten auftauchen, «bist du allein».  (ehi)

 

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