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Drei Männer sitzen um einen Tisch herum.

Streitgespräch der Ärzte Christian Marti aus Fehraltorf (links) und Res Kielholz aus Uster (rechts) über das Spital Uster. Foto: Paulo Pereira

Vor der Aktienkapitalerhöhung

Braucht es das Spital Uster? – Zwei Hausärzte im Streitgespräch

Christian Marti ist ehemaliger, Res Kielholz ist praktizierender Hausarzt. Während der eine in Fehraltorf wohnt, hat der andere seine Praxis in Uster. Sie haben unterschiedliche Ansichten, was das Spital angeht.

Streitgespräch der Ärzte Christian Marti aus Fehraltorf (links) und Res Kielholz aus Uster (rechts) über das Spital Uster. Foto: Paulo Pereira

Veröffentlicht am: 28.11.2023 – 16.03 Uhr

Herr Marti, Sie sind Hausarzt im Ruhestand und wohnen in Fehraltorf. Ihre Gemeinde ist eine von zehn Aktionärsgemeinden, die das Spital Uster tragen. Am 4. Dezember wird an der Gemeindeversammlung in Fehraltorf über die Aktienkapitalerhöhung entschieden. Insgesamt braucht das Spital maximal 40 Millionen Franken, sonst geht es gemäss eigener Aussage Konkurs. Jetzt schreiben Sie in einem Leserbrief: Eine Spitalschliessung sei auch eine Chance. Warum?

Christian Marti: Statt 40 Millionen Franken einfach abzunicken, ist es dringend nötig, dass wir umdenken. Der Ausgangspunkt ist für mich, dass kurz nachdem das Spital in eine AG umgewandelt wurde, eine Aktienkapitalerhöhung nötig wird, von 20 auf 60 Millionen Franken. Ich bin überzeugt, dass das Spital Uster in der heutigen Form kaum noch eine Existenzberechtigung hat. Hauptgrund dafür ist einerseits die massive Verschiebung von stationärer zu ambulanter Behandlung und andererseits, dass ein Drittel der Hausärzte in den kommenden fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand geht. Jedes Spital ist deshalb gezwungen, sich radikal neu zu orientieren, wobei auch der ambulante Sektor vor enormen Umbrüchen steht.

Christian Marti

Porträt von einem Mann.
Foto: Paulo Pereira

War in den 1990er Jahren Mitbegründer und Leiter des Hausarzt-Netzwerks WintiMeds in Winterthur, wo er auch lange selber seine Praxis hatte. Er wechselte zur Medix-Gruppe in Zürich, wo er bis zur Pensionierung blieb. Seit zwölf Jahren wohnt Marti in Fehraltorf. Bis vor vier Jahren hat der 77-Jährige noch regelmässig in Arztpraxen ausgeholfen. (erh)

Herr Kielholz, Sie arbeiten in Uster als Hausarzt in einer Praxisgemeinschaft und sind Präsident der Ustermer Ärzte. Können Sie diese Forderung nachvollziehen?

Res Kielholz: Ganz und gar nicht. Ich stehe voll und ganz hinter der Aktienkapitalerhöhung. Das Spital Uster investiert bereits jetzt viel in die ambulante Versorgung und führt mit 35 Prozent überdurchschnittlich viele Operationen ambulant durch, wie dies auch von der Gesundheitsdirektion gewünscht wird. Das Hauptproblem ist, dass die Pauschalen für ambulante Operationen meist nicht kostendeckend sind.

Christian Marti: Die Situation mit den nicht kostendeckenden Tarifen ist unbefriedigend und ein politisches Problem.

Können Sie das genauer erklären?

Res Kielholz: Erhält ein Spital für die Operation eines privatversicherten stationären Patienten zum Beispiel 10’000 Franken, sind es bei allgemein Versicherten nur 6000 Franken. Wird die gleiche Operation ambulant durchgeführt, erhält das Spital lediglich 2500 Franken. Solange die Pauschalen nicht kostendeckend* sind, bleiben ambulante Operationen ein Verlustgeschäft, das sich kein Spital leisten kann. Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Spitäler in die ambulante Behandlung investieren können und wollen.

Res Kielholz

Porträt von einem Mann.
Foto: Paulo Pereira

Arbeitet seit 23 Jahren in einer Praxisgemeinschaft in Uster. Zudem präsidiert er die Ustermer Ärztegesellschaft. Für die GLP kandidierte der 56-Jährige als Nationalrat. Während der Pandemie setzte er sich intensiv mit Long Covid auseinander. Neben einem Einsatz für die Vernetzung von Hausärzten ist ihm auch ein standespolitisches Engagement sehr wichtig. (erh)

Christian Marti: Wir zwei können das Finanzierungsproblem nicht lösen. Als Stimmbürger finde ich es aber eine Zumutung, für 40 Millionen Franken die hohle Hand zu machen, ohne konkreter Auskunft zu geben, wie man die Zukunft beschreiten will.

Was heisst denn für Sie konkreter?

Christian Marti: Was mir fehlt, sind mehr als Floskeln zur strategischen Neuausrichtung. An einer Info-Veranstaltung in Fehraltorf wirkten sowohl Sacha Geier, die Verwaltungsratspräsidentin, als auch Vital Schreiber, der neue Direktor, sehr engagiert und sympathisch. Das jetzige Debakel haben sie geerbt. Umso mehr sind sie es uns schuldig, aufzuzeigen, was sie in Zukunft besser oder anders als die Konkurrenz machen.

Res Kielholz: Ich weiss, dass die drei ersten Investitionsprojekte des Spitals die Notfallstation, der ambulante Operationsbetrieb und Zusammenarbeitsverträge mit Pflegeheimen und Spitex sind. Das Spital könnte seine Pläne sicher noch besser kommunizieren. Ich habe aber Verständnis dafür, wenn man nichts versprechen will, was gerade erst ausgelotet wird und dass noch nicht alle Pläne offengelegt werden können.

Zu diesen Plänen gehört die Ambulantisierung, der Ausbau der ambulanten Chirurgie mit entsprechenden Operationssälen.

Res Kielholz: Meiner Meinung nach kann das Spital Uster hier eine Pionierrolle einnehmen. Wenn jetzt aber das Spital geschlossen würde, wie es Christian Marti fordert, würde die Förderung der ambulanten Chirurgie und die Netzwerkarbeit mit den Hausärzten geschwächt.

Christian Marti: Ich behaupte nicht, eine Schliessung sei die beste Lösung. Mir geht es um eine Neuorientierung.

Wie soll diese genau aussehen?

Christian Marti: Gesundheitspolitisch und gesundheitsökonomisch ist es ein Unding, dass zwei Spitäler mit dem gleichen Leistungsangebot in so unmittelbarer Nähe nebeneinander existieren.

Wäre also die Neuausrichtung eine Fusion mit dem GZO-Spital Wetzikon, die bereits vor einigen Jahren gescheitert ist?

Christian Marti: Das wäre eine Möglichkeit, dieses Thema wieder aufs Parkett zu bringen. Ich finde es sehr traurig, dass das 2020 nicht geklappt hat.

Res Kielholz: Letzterem kann ich mich nur anschliessen. Ich habe mich damals mit viel Engagement für eine Fusion eingesetzt.

Letztlich kann man diesen Entscheid aber nicht mehr ändern.

Christian Marti: Vermutlich ist das so. Leider gab es auch in ärztlichen Kreisen Vorbehalte gegen eine Fusion.

Warum das?

Christian Marti: Werden zwei Abteilungen zusammengelegt, verliert eine Königin oder ein König ihre beziehungsweise seine Krone. Zurück zur Neuorientierung: Der neue Spitaldirektor Vital Schreiber hat in Fehraltorf darüber referiert, dass der künftige Schwerpunkt auf Kooperationen liegt. Ich erwarte, dass nicht nur über die Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital oder der Klinik Hirslanden gesprochen wird, sondern auch über die Kooperation mit ambulanten Anbietern, angesichts der drohenden Versorgungslücke.

Ein älterer Mann sitzt an einem Tisch.
Foto: Paulo Pereira

Wenn es um Kooperationen geht, müsste man allenfalls auch über einen Regionalspitalverbund von beispielsweise Uster, Wetzikon, Männedorf, Zollikerberg nachdenken?

Res Kielholz: Definitiv, beim Ustermer Chefarzt Vital Schreiber rennt man da offenen Türen ein. Das Spital Uster strebt auch Schwerpunktbildungen zwischen den vier Spitälern in der näheren Region an. Dies bedingt aber den politischen Willen zu einer Fusion oder Holding.

Christian Marti: Neuorientierung könnte, auch wenn das jetzt vielleicht frech klingen mag, bedeuten, dass das Spital Hausarztpraxen übernimmt und darauf Gesundheitszentren bildet, um so den Beruf für Jungärzte wieder attraktiv zu machen.

Res Kielholz: Vor mehreren Jahren hat das Spital Uster uns angefragt, ob dafür Interesse bestehen würde. Viele Hausärzte wollten damals lieber unabhängig bleiben, sich dafür untereinander mehr vernetzen. Zudem haben wir Hausärzte mit dem Spital bereits eine wichtige Kooperation erarbeitet.

Diese wäre?

Res Kielholz: Wir betreiben zusammen mit dem Spital Uster die Notfallpraxis und gewährleisten die Notfalldienstversorgung der ganzen Region. Die einfachen Fälle werden schnell und effizient bei uns behandelt, und das Spital kann sich besser um die schwereren Fälle kümmern. Durch diese neue Organisation reicht der Notfalldienstkreis jetzt von Wila bis nach Egg, und der Notfalldienst der Hausärzte kann auf viel mehr Schultern verteilt werden. Dadurch wird es auch wieder attraktiver, in den ländlichen Regionen eine Hausarztpraxis zu übernehmen.

Ein älterer Mann sitzt an einem Tisch.
Foto: Paulo Pereira

Was sind die weiteren Vorteile, die ein Fortbestand des Spitals Uster bietet?

Res Kielholz: Uster ist das neuntgrösste Spital im Kanton und damit versorgungsrelevant. Die umliegenden Spitäler wären nicht in der Lage, unsere grossen Patientenzahlen zu bewältigen. Es käme im oberen Glattal zu grossen Versorgungsengpässen und Wartezeiten. Schon jetzt kann es vorkommen, dass wir jemanden in ein anderes Spital schicken müssen. Neulich blieb eine Ambulanz auf dem Weg ins Triemli eine Stunde im Stau stecken. Vom Spital Uster werde ich zudem als Hausarzt in Therapieentscheide mit einbezogen, wenn zum Beispiel bei einer betagten Person entschieden werden muss, ob ein Tumor noch operiert werden soll. Woanders passiert das nur selten. Auch die Nachbehandlung wird zuverlässig wieder in die hausärztliche Sprechstunde zurückgegeben. Da der Kanton Zürich seit 1997 bereits elf Spitäler geschlossen hat, gibt es, anders als in anderen Kantonen, nicht mehr zu viele Spitäler.

Haben Sie also nicht auch ein wirtschaftliches Interesse an einem Fortbestand des Spitals, das Ihnen die Patienten wieder zurückschickt?

Res Kielholz: Seit zehn Jahren habe ich einen Aufnahmestopp. Wenn Sie mich also fragen, ob ich Angst vor zu wenig Patienten habe, kann ich das klar verneinen. Vor einem Monat hatte ich zum Beispiel einen Notfalldienst, an dem ich über 50 Patienten behandelt und 14 Stunden durchgearbeitet habe. Bei einer so grossen Arbeitslast muss ich als Hausarzt sehr effizient sein. Wenn ich keinen Platz für hospitalisationsbedürftige Patienten finde, bringt mich das in noch grössere Zeitnot. Das ist keine Panikmache, sondern die Realität. Und niemand, wirklich niemand von meinen Kolleginnen und Kollegen in der Region findet die Schliessung des Spitals Uster eine gute Idee, es bereitet uns im Gegenteil grosse Sorgen. Wir brauchen hier ein Spital als Partner, dem wir vertrauen können und mit dem wir mit unserem Hausärzte-Netzwerk zusammenarbeiten können.

Christian Marti: Aber vielleicht würde man lieber, statt 40 Millionen Franken zu «verlochen», damit Gescheiteres machen, zum Beispiel Gesundheitszentren mit attraktiven Arbeitsbedingungen für Jungärzte zu fördern.

Res Kielholz: Diese Verknüpfung finde ich falsch. Es braucht sowohl Spitäler als auch Hausarztpraxen. Politische Massnahmen sind nötig, damit die Hausarztmedizin weiterhin ihren Auftrag erfüllen kann. Dazu gehören auch Spitäler mit ihren Notfallpraxen und ihren Ausbildungsstellen für unseren Nachwuchs. Das Spital Uster zu schliessen, würde die Not von uns Hausärzten massiv vergrössern. Es ist nicht zielführend, Spitäler und Hausarztmedizin gegeneinander auszuspielen.

Liesse sich denn die Not der Hausärzte überhaupt mit Geld lösen?

Res Kielholz: Es ist völlig unrealistisch, dass die Aktionärsgemeinden jetzt hausärztliche Praxisassistenzen zahlen würden. Die Förderung muss auf kantonaler oder nationaler Ebene erfolgen. Auch die Ausbildungstätigkeit durch die Spitäler wird heute viel zu wenig honoriert, sie ist gar defizitär und braucht viel Idealismus. Das Spital Uster spielt als Ausbilder eine wichtige Rolle. Nur noch das Triemli und das Universitätsspital bilden gemessen an der Grösse mehr Personal aus.

Christian Marti: Vielleicht liesse sich die Not der Hausärzte mit Geld lösen. Aber auch hier ist Umdenken zunächst wichtiger als Geld. Der ärztliche Nachwuchs erwartet geregelte Arbeitszeiten, wünscht Teilzeitarbeit für beide Geschlechter, zumindest so lange man sich um Kinder kümmern muss. Immer mehr wollen sich darum anstellen lassen und scheuen sich, selber grosse Summen zu investieren. Solche Bedingungen können bald nur noch Grosspraxen und Gesundheitszentren bieten. Die entscheidende Frage wird sein: Wer bezahlt solche Grosspraxen und stellt die Ärzte an? Der Staat, eine Krankenversicherung, ein Ärztenetz, die Migros, anonyme Investoren oder eben ein Spital? Die Ärzteschaft selbst scheint die Entwicklung leider nur zu beobachten und schweigt dazu.

Erlauben Sie mir eine Frage zum Schluss. Im Gegensatz zu Res Kielholz haben Sie nie mit dem Spital Uster zu tun gehabt, kennen die Gegebenheiten vor Ort nicht. Geht es Ihnen nur um Ihr Eigeninteresse als Stimmbürger in Fehraltorf und eine mögliche Steuererhöhung?

Christian Marti: Was heisst da «nur»? 40 Millionen Franken sind sehr viel Geld, vor allem wenn sie der Zementierung eines Zustands dienen, der immer unhaltbarer wird. Der Anteil der Gemeinde Fehraltorf betrifft zwar nur knapp eine Million Franken. Ob diese Million eine Steuererhöhung zur Folge hätte, kann ich nicht beurteilen. Ich könnte sie aber verschmerzen.

Die Aktienkapitalerhöhung

Das Spital Uster ist als AG organisiert und wird von zehn Aktionärsgemeinden getragen. Diese haben anteilsmässige Anteile, die bis 2026 gebunden sind und sich auf ein Aktienkapital von 20 Millionen Franken belaufen. Aufgrund von Verlusten ist das Aktienkapital und damit auch die Eigenkapitalquote gesunken. Diese muss gemäss einer Vorgabe der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich auf 30 Prozent erhöht werden.

Die Aktionärsgemeinden stellten sich an einer ausserordentlichen Versammlung im Oktober hinter die Aktienkapitalerhöhung, die Uster, den grössten Minderheitsaktionär mit 49,63 Prozent, am meisten finanziell belasten würde. Die Stadt Uster ist bereit, bis zu 20 Millionen Franken zusätzlich einzuschiessen und ihren bisherigen Anteil von knapp 10 Millionen Franken somit zu verdreifachen. Auch die neun anderen Gemeinden sind gewillt, ihr Aktienkapital zu erhöhen. Greifensee, Mönchaltorf und Russikon wollen das aber nicht in vollem Umfang tun. Über die Aktienkapitalerhöhung entscheidet am Ende das Volk. Je nach Gemeinde an der Gemeindeversammlung oder an der Urne. (erh)

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