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Wieso immer mehr Menschen an Heuschnupfen leiden.

Bis zu 4 Millionen Blütenpollen pro Grashalm: Eine Grasblüte gibt Pollen an die Luft ab. Foto: Jürgen Kottmann (Alamy)

Längere Blütezeiten

Wieso immer mehr Menschen an Heuschnupfen leiden

Die verschiedenen Gräserarten stehen zurzeit in voller Blüte und bescheren Allergikern leidvolle Tage. Experte Peter Schmid-Grendelmeier vom Universitätsspital Zürich erklärt, wieso.

Bis zu 4 Millionen Blütenpollen pro Grashalm: Eine Grasblüte gibt Pollen an die Luft ab. Foto: Jürgen Kottmann (Alamy)

Veröffentlicht am: 01.06.2023 – 15.24 Uhr

Wer zurzeit einen Blick auf die Pollenprognose von Meteo Schweiz wirft und sich die aktuelle Belastung für Gräserpollen anzeigen lässt, bekommt eine dramatische Karte geliefert: Weite Teile der Deutschschweiz und fast die ganze Romandie erscheinen tiefrot, was einer sehr starken Pollenbelastung entspricht. Diese wird auch in den kommenden Tagen anhalten.

Da rund 70 Prozent der Pollenallergiker auf Gräserpollen reagieren, stellt deren Blüte den Höhepunkt der Pollensaison dar: Die Staubbeutel eines einzigen blühenden Grashalms enthalten rund 4 Millionen Blütenpollen. Symptome wie eine laufende Nase, beissende und tränende Augen, Juckreiz im Gaumen, Hustenreiz oder Müdigkeit sind die Folge.

Auch historische Daten zur Entwicklung von Heuschnupfen in der Schweiz lassen aufhorchen: 1926 konnten die Wissenschaftler bei nur 0,82 Prozent der Bevölkerung eine Pollenallergie ausmachen. Ein Jahrhundert später sind rund 20 Prozent der in der Schweiz wohnhaften Personen von der Allergie betroffen, wie eine Studie aufzeigt.

Wieso immer mehr Menschen an Heuschnupfen leiden.
Alarmstufe Rot: Die Pollenprognose für Gräserpollen am Nachmittag des 30. Mai. Die dunkelroten Bereiche bezeichnen eine sehr starke Belastung. Foto: Meteo Swiss

Professor Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich, erklärt dazu: «Zum einen spielt die Vererbung eine Rolle, die in unseren Regionen dafür anfällig macht. Dann sind sicher auch das veränderte Klima und Umweltbedingungen dafür verantwortlich, da sich die Pollenflugzeit aufgrund von wärmeren Temperaturen zum Teil verlängert hat.

Das Pollenspektrum hat sich verändert, da neue Pflanzen eingewandert sind oder andere Anbaumethoden in der Landwirtschaft angewandt werden.» Letztlich spiele es auch eine Rolle, dass die Bevölkerung das Problem viel bewusster wahrnehme. «Früher hat man die Symptome von Heuschnupfen nicht immer klar mit der Allergie in Verbindung gebracht, sondern zum Beispiel als Erkältung abgetan. Bis zu 35 Prozent der Bevölkerung bringen hierzulande eine Veranlagung für eine Pollenallergie mit.»

Klimaerwärmung und Luftverschmutzung verstärken Pollenbelastung

Eine erstmals 1989 formulierte Hypothese geht davon aus, dass vor allem der sich ändernde westliche Lebensstil – im Besonderen die zunehmende Hygiene und der abnehmende Kontakt mit Keimen, Parasiten und Tieren – dazu führt, dass das kindliche Immunsystem mit zu wenig diversen Krankheitserregern in Kontakt kommt und dadurch weniger ausgebildet wird. So kommt es dann bei der Exposition mit allergischen Auslösern zu einer Überreaktion. Diese sogenannte Hygienehypothese ist immer noch gültig. Sie ist aber nicht der einzige Grund für Heuschnupfen. 

Prof. Peter Schmid-Grendelmeier

Prof. Peter Schmid-Grendelmeier
Prof. Peter Schmid-Grendelmeier. Bild: USZ

Der Dermatologe hat sich mit der Erforschung von Neurodermitis und Allergien in der internationalen Fachwelt einen Namen gemacht. Er ist Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich. Schmid-Grendelmeier hat ein besonders Interesse dafür, wie Parasiten Einfluss auf allergische Reaktionen im Körper nehmen.

Auch die Zunahme der Pollenmenge in der Luft und die immer längeren Blütezeiten der Pflanzen spielen eine Rolle: Studien zeigen auf, dass sich die Pollensaison in der Schweiz durch die Erderwärmung in den vergangenen 30 Jahren deutlich verändert hat. «Was festgestellt wurde, ist ein früherer Pollenbeginn im Winter. So beginnen Hasel und Erle bereits im Januar zu blühen, weil es wärmer ist. Durch in einigen Regionen der Schweiz vorkommende Neophyten wie Traubenkraut (Ambrosia) dauert die Pollensaison zudem im Spätsommer etwa im Tessin oder in der Genfersee-Region länger an», erklärt Schmid-Grendelmeier.

Wieso immer mehr Menschen an Heuschnupfen leiden.
Quelle: Meteo Schweiz

Hinzu kommt eine Intensivierung der gebildeten Pollenmenge, was laut den Forschern auf die Zunahme der CO₂-Konzentration in der Luft zurückzuführen ist. Untersuchungen in Gewächshäusern zeigten auf, dass Pflanzen bei grösseren Mengen von Kohlenstoffdioxid in der Luft mehr Pollen produzieren, was auch als «ein natürlicher Düngeeffekt» bezeichnet wird. Dadurch steigt auch die Belastung für Allergiker zusätzlich an.

«Von der Menge her ist die Summe der Gräserpollen in den letzten Jahren im Unterschied zu jenen der Baumpollen in etwa gleich geblieben», führt Professor Schmid-Grendelmeier weiter aus. Dies zeigen Messungen von Meteo Schweiz auf. «Die spezielle Wettersituation in den letzten Wochen mit einer sehr langen Regenperiode gefolgt von einer plötzlichen Wärmephase hat dazu geführt, dass die Gräserpollen in den letzten Tagen in sehr grosser Zahl freigesetzt wurden. Das erklärt die zurzeit sehr starken Symptome der betroffenen Personen.»

Luftverschmutzung verstärkt Allergenität der Pollen

Untersuchungen zur Auswirkung von Luftverschmutzung auf Pollenblüher zeigen einen weiteren Grund auf, wieso immer mehr Menschen auf Pollen allergisch reagieren: Luftschadstoffe wirken als Stressfaktoren auf die Pflanzen. Diese reagieren darauf, indem sie besonders viele Stressproteine, die eine allergische Reaktion auslösen können, produzieren. In Studien wurde so bei Birkenpollen in Regionen mit einem hohen Ozongehalt eine stärkere Allergenität nachgewiesen. Professor Schmid-Grendelmeier erklärt dazu: «So konnte gezeigt werden, dass das Hauptallergen von Birkenpollen stärker gebildet wird, wenn der Baum durch Schadstoffe, hohe Ozonwerte, durch Lufttrockenheit oder Platzmangel unter Stress steht.

Dadurch, dass der Baum mehr allergene Stoffe produziert, haben Leute mit Heuschnupfen stärkere Beschwerden. Dazu kommt, dass Schadstoffe wie Feinpartikel die Pollenhülle schädigen können, sodass diese durchlässiger ist und mehr Allergene freigesetzt werden und an unsere Schleimhäute gelangen. Luftschadstoffe wie Ozon oder selbst kleinste Plastikpartikel können unsere Schleimhäute irritieren, sodass sie durchlässiger sind, wodurch sich die Gefährdung, eine Pollenallergie zu kriegen, erhöht.»

Hingegen haben Birkenpollen von Bäumen in ländlicher Umgebung oder in höheren Lagen deutlich weniger Allergene als solche in einem städtischen Setting. Da Stickoxide und Ozon Teil des verkehrsbedingten Sommersmogs sind, ist bei einer Zunahme der Luftverschmutzung auch eine Verstärkung der Heuschnupfensymptome festzustellen.

Antihistaminika nur bei einem Teil der Symptome wirksam

Die Behandlung einer Pollenallergie ist mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten gut möglich. Allerdings sind die Arzneistoffe nicht für alle Symptome gleich wirksam, wie Professor Schmid-Grendelmeier erklärt: «Histamin ist einer der Stoffe, die bei einer allergischen Reaktion freigesetzt werden; gegen dessen Auswirkungen können Antihistaminika helfen. Daneben werden aber auch andere Entzündungsstoffe gebildet und ausgeschüttet, die nicht ausreichend durch Antihistaminika blockiert werden können.

Das führt dazu, dass auch andere Beschwerden wie Schwellungen der Schleimhäute oder Atemnot auftreten. Gerade in der Lunge sind noch viele andere Stoffe mitbeteiligt. Deshalb brauchen wir bei starken Beschwerden noch weitere Substanzen zur Behandlung, etwa Augentropfen, Nasen- oder Inhalationssprays. Bei sehr starken Beschwerden müssen wir das Immunsystem mit Medikamenten wie Kortison hemmen.»

Kreuzallergien

Zum einen zeigen Pollen untereinander Kreuzreaktionen. So sind etwa die Allergene in Hasel, Erle und Birke sehr ähnlich, sodass Betroffene oft auf die Pollen von allen drei Arten reagieren. Ein Teil der Personen mit Pollenallergie weist zudem eine Allergie auf Lebensmittel wie rohen Früchte, Nüsse oder rohes Gemüse auf, eine sogenannte Kreuzallergie. Diese kommt durch Eiweissstoffe zustande, die sowohl in den Lebensmitteln als auch in den Pollen biochemisch nahezu identisch sind. Das menschliche Immunsystem reagiert auf diese sehr ähnlichen Proteine und es wird bei entsprechendem Kontakt Histamin freigesetzt. Einige Personen bekommen nur während der Pollenzeit eine Kreuzreaktion, andere das ganze Jahr über. Sollten neben leichteren Beschwerden wie etwa Kratzen im Mund auch stärkere Beschwerden wie Nesselfieber oder Atemnot auftreten, sollten diese Nahrungsmittel zumindest vorübergehend gemieden werden.

Bei Betroffenen, die eine heftige Reaktion auf die Pollen zeigen, kann auch die Atmung stärker in Mitleidenschaft gezogen werden: «In einer ersten Phase sind beim Heuschnupfen die oberen Atemwege betroffen, dazu gehören die Nase und der Rachenraum. Bei rund einem Drittel der Betroffenen sinken die Beschwerden in die unterem Atemwege ab, sodass sich zusätzlich ein Pollenasthma entwickelt», so Schmid-Grendelmeier.

Dann spreche man von einem sogenannten Etagenwechsel. «Dieser äussert sich in Hustenreiz, Atembeschwerden bei körperlicher Anstrengung und einem Engegefühl in der Brust. In noch schwereren Fällen entwickelt sich zusätzlich ein Pollenasthma mit Atemnot bereits in Ruhephasen. Zumindest während der Pollensaison können dann auch Asthmasprays notwendig werden.»

Bei starkem Heuschnupfen über mehrere Jahre, gerade auch mit Asthma-Beschwerden, kann eine Desensibilisierung sinnvoll sein, bei der man das Immunsystem langsam an die allergieauslösenden Pollen gewöhnt. Diese umfasst entweder regelmässige Spritzen über mehrere Monate in der Arztpraxis oder Tropfen oder Tabletten, die man unter der Zunge eintropfen oder zerschmelzen lassen kann.

«Am Universitätsspital  Zürich forschen wir zudem an einer Spritze, die man mit Ultraschallkontrolle direkt in die Lymphknoten der Leiste macht. Die bisherigen Untersuchungen deuten darauf hin, dass es auf diesem Weg nur zwei oder drei Injektionen insgesamt braucht und kleinere Mengen an Allergenen benötigt werden.» 

Tipps, um Symptome zu reduzieren

- Draussen eine Sonnenbrille tragen

- Abends die Haare waschen, damit möglichst wenig Pollen ins Bett gelangen

- Die getragenen Kleider ausserhalb des Schlafzimmers ausziehen

- Während der Pollensaison nur kurz stosslüften

- Täglich staubsaugen

- Eine chirurgische Maske tragen

- Die Nase morgens und abends mit Meerwasserspray oder Kochsalzlösung spülen

- Sich bei sehr hoher Pollenkonzentration nur für kurze Zeit im Freien aufhalten

- Bei pollenassoziierten Kreuzreaktionen auf jeweilige Nahrungsmittel und deren Konsum verzichten

- Zigarettenrauch vermeiden, da die Reizung der Atemwege die Empfindlichkeit der Schleimhäute erhöht

(Quelle: Allergiezentrum Schweiz)

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