Niemand mag gerne daran denken, dass unsere Heimat eines Tages in unmittelbarer Gefahr sein könnte. Dass das eigene Haus von einer Bombe getroffen würde. Oder dass chemische sowie biologische Waffen oder atomare Strahlung unser Leben in Gefahr bringen könnten. Aber was, wenn es doch passiert? Wohin werden zum Beispiel Verletzte in Dübendorf gebracht, wenn die Schutzräume der Spitäler überfüllt sind?
An einen Ort, den nur wenige Einheimische kennen. Nämlich in die Sanitätshilfsstelle, «versteckt» unter dem Glattwerk. Roger Rechsteiner ist als stellvertretender Leiter Bevölkerungsschutz unter anderem dafür verantwortlich. Er kennt die wichtigsten Fakten: «Das unterirdische Raumsystem ist rund 1120 Quadratmeter gross, bietet Platz für rund 130 Patientinnen und Patienten, 60 Betriebspersonen und wurde 1992 fertiggestellt.» Das Magazin «Zivilschutz Schweiz» bezeichnete die Anlage damals als «eine der bestausgerüsteten der Schweiz».
Und bei dieser Ausstattung ist es geblieben: Pflegeräume, Labor und Operationssaal versetzen Besucher in eine andere Zeit. Kurze Betten, einfache Rollstühle und analoge Telefone zeugen vom medizinischen Alltag vergangener Jahrzehnte.
Die Einrichtung wurde zwar nicht an zeitliche Entwicklungen angepasst, aber von der Stadt Dübendorf funktionstüchtig und einsatzbereit gehalten. Der gesamte Bau ist sorgfältig durchdacht, um die Bewohner mit Überdruck, Filtern und Schleusen vor bewaffneten Konflikten zu schützen.
Die Schweiz ist gut vorbereitet
Kein anderes Land hat so viele Schutzräume pro Kopf wie die Schweiz. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz zählt rund 370’000 private und öffentliche Räume, die neun Millionen Schutzplätze bieten.
Allein in der Stadt Dübendorf hat es 1063 Schutzräume mit rund 35’000 Schutzplätzen. Einwohner hat die Stadt aber nur 32’000. Aus diesem Grund werden kaum noch neue, kleine Schutzräume mit weniger als 25 Schutzplätzen gebaut. Zuständig für die Kontrolle und die Zuweisung der Schutzstellen ist der Bevölkerungsschutz der Stadt.
Die Schutzräume werden unterteilt in Pflichtschutzräume in privaten Gebäuden, Pflichtschutzräume in öffentlichen Gebäuden und öffentliche Schutzräume. Die Sanitätshilfsstelle, auch San Hist genannt, unter dem Glattwerk ist ein öffentlicher Schutzraum.
Sie wirkt in Krisensituationen als eine geschützte medizinische Einrichtung, die Menschen vor, während und nach einem Angriff versorgt. In der Sanitätshilfsstelle werden vor allem Leichtverletzte und Kranke behandelt und schwerere Fälle weitergeleitet.
Wie das funktioniert, lässt sich anhand eines kleineren Schutzraums aufzeigen. Denn grundsätzlich sind alle Luftschutzkeller, wie sie umgangssprachlich genannt werden, in der Schweiz nach dem gleichen Prinzip gebaut.
Er kennt die Schutzräume wie seine Westentasche
Roger Rechsteiner kontrolliert rund 300 private Luftschutzkeller im Jahr. Heute prüft er einen Schutzraum in einem Bauernhaus am Rand der Stadt.
Als Erstes kontrolliert er das Ventilationsaggregat. Die strombetriebene Maschine muss im Notfall Luft von draussen ansaugen, um im Raum einen Überdruck zu erzeugen. Sie filtert grobe Partikel wie Staub aus der Luft, die zum Beispiel durch eine Detonation verursacht werden. Fällt der Strom aus, müssen die Schutzraumbewohner durchgehend eine Kurbel betätigen, um die Belüftung in Gang zu halten.
Unter der Lüftung befindet sich ein abgedeckter Gasfilter, der ein wichtiger Bestandteil des Aggregats ist. Wird der Schutzfilter daran angeschlossen, kann das Gerät Gas oder atomar kontaminierte Luft filtern.
Rechsteiner betätigt das Ventilationsaggregat, mit leichtem Stottern läuft es an. Er lässt es 15 Minuten laufen und kontrolliert währenddessen das Überdruckventil. Eine kleine Klappe sollte sich öffnen, wenn das Aggregat einen Überdruck erzeugt. Genau das verhindert, dass verunreinigte Luft in den Raum gelangt.
Das Ventil öffnet sich mit einem leisen «Plopp». So weit, so gut. Daneben befindet sich die Panzertür. Rechsteiner tastet die Kunststoffdichtungen ab. Sie sind weich und nicht spröde, «so, wie es sein sollte». Die Tür muss nämlich den Raum dicht verschliessen. Deswegen hat sie auch ein Schloss. «Ähnlich wie im Film ‹Panic Room›», sagt Rechsteiner und schmunzelt.
Gleich unter dem Schloss befindet sich ein Hebel. Mit diesem könne die Tür aufgestemmt werden, auch wenn zehn Tonnen Trümmer davor liegen würden, erklärt Rechsteiner. Das könnte zum Beispiel passieren, wenn das Gebäude über dem Schutzraum einstürzt.
Um solchen starken Erschütterungen standzuhalten, ist der Raum aus speziellem Stahlbeton gebaut und vom darüber liegenden Gebäude getrennt. Der Beton ist dabei luftdicht, nimmt aber Feuchtigkeit auf. «Das ist wichtig, denn sonst würden die Bewohner mit ihren Körperausdünstungen den Raum in eine Tropfsteinhöhle verwandeln.»
Lässt sich die Tür trotz Hebel nicht öffnen, ist jeder Raum auch noch mit einem Notausgang ausgestattet. Der führt meist einige Meter vom Gebäude weg. Rechsteiner leuchtet mit der Taschenlampe hinein. Der Notausgang müsse einigermassen sauber und begehbar sein, sagt er. «Es kommt zum Beispiel vor, dass Hausbesitzer den Ausgang zuschütten.»
Damit ist die alle sechs Jahre fällige Kontrolle des Schutzraums bereits abgeschlossen. Rechsteiner schaltet das Aggregat, das ohne Probleme funktioniert hat, wieder aus.
Gleiches Prinzip, nur grösser
Was nun die kleinen Schutzräume für fünf oder mehr Personen von grossen für rund 100 oder mehr Personen unterscheide, seien vor allem die Eingangsschleusen. «Sie sollen Druckschwankungen im Schutzraum verhindern. Manchmal sind sie auch mit Duschen für die eintretenden Personen ausgestattet», erklärt Rechsteiner.
Eine solche Schleuse befindet sich auch am Eingang zur Sanitätshilfsstelle. Eine unauffällige Treppe führt neben dem Glattwerk in die Tiefe. Nach dem Eintreten befindet man sich in einem kleinen Raum, der Schleuse. Von ihr führen zwei Türen weg: der Eingang in die Schutzräume und derjenige zum Leichenraum.
«In diesem Raum werden die Personen gelagert, welche in der Sanitätshilfsstelle gestorben sind, sowie Sauerstoffflaschen für die künstliche Beatmung von Patienten», erklärt Rechsteiner.
Nach der Schleuse gelangt man in die verschiedenen Räume. In den breiten Gängen zwischen den Zimmern wird vor allem gelagert: Trockenklosetts, Kisten mit Gaze, Schränke voller Verbandsmaterial, Militärdecken und Bettpfannen.
Von den Gängen gelangt man in vier Pflegeräume. In 32 eng nebeneinander stehenden Metallstockbetten könnten im Notfall 128 Patienten untergebracht werden. Einer der Räume ist für die Intensivpflege gedacht und mit Sauerstoffanschlüssen ausgestattet. Rechsteiner steht neben einem der Betten. Er weist auf die kurzen Matratzen hin: «Hier wird klar, dass die Menschen früher kleiner waren als heute.»
Hinter den Pflegeräumen ist die Technik untergebracht. Es ist dieselbe, die sich auch in den kleineren privaten Schutzräumen befindet. Nur um einiges grösser. Von den Atomfiltern hat es zum Beispiel gleich vier, und sie sind rund dreimal so gross wie die üblichen. Das Gleiche gilt für die drei Druckluftklappen oder das Aggregat. «Weil das Aggregat so viel grösser ist, müssen im Fall eines Stromausfalls gleich drei anstatt eine Person durchgehend kurbeln», sagt Rechsteiner.
Die Sanitätshilfsstelle hat im Gegensatz zu den kleinen Luftschutzkellern ein eigenes Abwassersystem, das mit einem Generator betrieben wird. Wie viel Diesel im Tank nebenan lagert, will Rechsteiner nicht verraten. Er sagt aber, wie viel Wasser in der Reserve daneben gebunkert werden kann: «40’000 Liter.»
Gegenüber den Pflegeräumen und neben der Wasserreserve befinden sich die Schlafräume für das Personal, die Waschküche und die Küche. Die Geräte, wie zum Beispiel die Waschmaschine, sind nicht nur alt, sondern auch befestigt. «Jedes Gerät in diesem Schutzraum, das Strom benötigt, ist speziell verschraubt und verkabelt», erklärt Rechsteiner. «Damit es im Fall einer Detonation an Ort und Stelle bleibt und keinen Kurzschluss verursacht.»
Neben dem Ruheraum und den sanitären Anlagen für das Personal befindet sich das Herzstück: der Operationssaal zusammen mit dem Ambulatorium, dem Labor, der Apotheke und dem Sterilisationsraum. Die Räume sind sehr simpel ausgestattet, einige wenige Operationsbestecke liegen sogar bereit. Rechsteiner bekräftigt: «In diesem Operationssaal würden keine hochpräzisen Eingriffe durchgeführt werden, sondern nur das, was in einer Notsituation nötig wäre.»
Direkt neben dem Operationssaal befindet sich ein kleiner Raum, der für zwei Ärzte bestimmt ist. Welche das im Notfall sein würden, sei nicht klar, so Rechsteiner. «Wer im Notfall diese Sanitätshilfsstelle betreiben würde, wird abgeklärt, wenn es so weit ist.»