Der Arbeitsplatz von Rico Kunz ist ein unscheinbarer Raum in einem Dübendorfer Quartier. In der Ecke steht eine kleine Kühlzelle mit bloss elf Quadratmetern Fläche. Doch der Eindruck täuscht: Hier lagern Zehntausende von toten und tiefgefrorenen Ratten, Mäusen und Küken. Eineinhalb bis zwei Tonnen Futtertiere sind es insgesamt.
Ausserhalb der Kühlzelle stehen einige Regale, darauf mehrere graue Aufbewahrungskisten. Wer genau hinhört, hört es daraus knistern, kratzen, krabbeln … Denn neben seinem Lager mit toten Kleintieren züchtet der Dübendorfer auch noch Futterinsekten. Die Kleintiere bezieht er aus Tschechien, die dort gezüchtet, tierschutzkonform mit CO2 betäubt, getötet und dann gefroren werden.
Rico Kunz verkauft das Reptilienfutter über seinen Onlineshop reptile-food.ch. Und der kleine Raum sagt nicht viel über seinen Marktanteil aus: Der 50-Jährige ist in seiner Nische der grösste Händler der Schweiz. Er beliefert neben Privatkunden unter anderem auch den Zoo Zürich, ein Wildkatzenprojekt und den Tierpark Bern.
Zu seinen Kunden gehören seit wenigen Jahren auch Rassekatzenzüchter oder Igel- und Wildvogelstationen. «Vor allem die Katzenzüchter empfehlen mich als Lieferanten an ihre Kunden weiter», sagt Kunz. Denn Barfen ‒ das Füttern mit rohem Fleisch – liege bei Katzenhaltern im Trend.
Deshalb will Kunz in Zukunft sein Sortiment mehr auf diese Kunden zuschneiden. Neu sollen Kükenhackfleisch, gefrorene Tauben und Babykaninchen dazustossen. Auch soll es eine zusätzliche, modernere Website geben, die sich mehr an Katzenhalter richtet.
Seine Produkte machen sich auch mal selbstständig
So unkonventionell seine Produkte auch sein mögen, er liefert sie wie jeder andere Onlinehändler mit der Post. Der einzige Unterschied: Seine Pakete sind mit Stroh isoliert und enthalten je nach Witterung noch einen Kühl- oder Wärmebeutel für die gefrorene oder lebendige «Ware».
Und genau diese krabbelt ihm auch immer wieder davon. Das sei aber kein Problem: «Die Futterinsekten, wie zum Beispiel die Argentinische Schabe, können in unserem Klima gar nicht überleben.» Und die, die es ins Freie schaffen, würden sofort von den Vögeln gefressen. «An meinem alten Geschäftsstandort treffe ich noch heute viele Bachstelzen. Die Vögel haben das Wissen, dass es dort Insekten zu fressen gibt, über Generationen weitergegeben», erinnert sich Kunz und schmunzelt.
Sein Geschäft war nicht immer nur online. Viele Dübendorfer kennen ihn von seinem ehemaligen Laden im Schörli, wo er lange Reptilien, Insekten und Terrarienzubehör verkaufte. Bekannt wurde er durch von ihm organisierte Schabenrennen, Insektenwettessen oder seinen immer wiederkehrenden Ärger mit dem Zoll, dem Veterinäramt oder den Fluggesellschaften, die seine Reptilien beim Import verenden liessen.
Wie man zu einem Exotenfutterhandel kommt
Das Insektentattoo an seinem Hals zeugt von seiner Liebe zu ungewöhnlichen Tieren. Die hat er schon früh entdeckt: Mit 13 Jahren hielt er seine ersten Vogelspinnen in den Händen. Er züchtete und sammelte rund 450 der Tiere. Dazu kamen bald auch Schlangen und Kaimane. «Es war ein richtiger Zoo», sagt Kunz und lacht.
Das Futter für diesen Zoo war in der Schweiz kostspielig. Also begann er, seine eigenen Futterinsekten zu züchten, die er auch ab und zu an Bekannte weiterverkaufte. All das, während er eine Lehre als Bäcker/Konditor absolvierte. «Ich arbeitete nachts bis morgens in der Bäckerei und handelte am Nachmittag.»
Als er nach der Lehre auf seinem gelernten Beruf arbeiten wollte, entwickelte er eine Mehlallergie. Als nötig gewordene Umschulung schlugen ihm die Suva und die IV eine Ausbildung als Programmierer vor. «Ich wollte aber Tierpfleger werden – ich bin doch kein Bürogummi», erinnert sich Kunz.
«Aber man warnte mich vor einer möglichen Tierhaarallergie, und ausserdem war offenbar mein IQ zu hoch für diesen Beruf.» Doch Kunz setzte sich durch. Unter der Bedingung, dass die IV ihm keine weitere Ausbildung zahle, falls er eine Tierhaarallergie entwickeln sollte.
Während der Tierpflegerausbildung baute er den Handel mit Exotenfutter richtig auf: Er fand einen Lieferanten in Deutschland, der viel bessere Preise als die Schweizer anbot, und eröffnete ein Geschäft in der Industriezone von Dübendorf. Das Geschäft florierte, nach einiger Zeit handelte der Jungunternehmer auch mit Reptilien und beschäftigte zeitweise sechs Mitarbeitende.
Konkurrenz von Amazon
Heute hat Kunz keine Ladenfront mehr. 2015 gab er diese auf, als durch verschärfte Tierschutzgesetze und Regelungen der EU der Reptilienhandel erschwert worden war. Gleichzeitig boomten Onlinehändler wie Amazon, die Terrarienzubehör billig verkauften.
«Mit dieser Konkurrenz konnte ich nicht mehr mithalten – also habe ich die Ladenfläche geschlossen.» Reptilien und Terrarienzubehör gehören seither nicht mehr zu seinem Sortiment. Auch eigene Haustiere hat er keine mehr: «Ich bekam Ärger mit dem Steueramt, weil ich meine Reptilien aus Privatbesitz verkaufen wollte», erklärt er. «Das Steueramt wollte aber, dass ich die privaten Tiere im Geschäft versteuere.» Darauf verging Kunz die Lust auf eigene Haustiere.
Heute handelt Kunz nur noch online, beschäftigt noch eine Teilzeitkraft und arbeitet selbst rund 50 Prozent. Aber trotz dem veränderten Markt braucht sich Kunz keine Sorgen um sein Geschäft zu machen. «Vor allem seit Corona hat sich der Konsum viel mehr in die Onlinewelt verlagert. Zudem haben seit der Pandemie mehr Leute Haustiere.»