Wenn Ursula Trösch Seniorinnen und Senioren in deren Wohnungen besucht, ist das für diese oft ein Lichtblick in ihrem einsamen Leben. Seit vielen Jahren betreut die Fischenthalerin mit ihrer Geschäftsidee «zu Hause gut umsorgt» ältere Menschen im Oberland.
«Alle sind zwar glücklich darüber, in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können. Viele leiden aber unter der zunehmenden Vereinsamung», weiss Trösch aus eigenen Beobachtungen. «Wer geistig noch fit ist, möchte nicht in ein Pflegeheim.» Eine betreute Alterswohnsiedlung wäre dann ideal – allerdings sind die Kosten häufig so hoch, dass sie nicht für alle tragbar sind.
Gemeinsam altern macht mehr Spass …
Mit einer Freundin diskutierte die 60-Jährige vor einiger Zeit über ihre eigene Zukunft. «Wo werden wir wohl einmal wohnen, wenn wir pensioniert sind?», dachte sie damals laut nach. «Da blitzte erstmals die Idee einer Seniorenwohngemeinschaft bei mir auf.»
Der Gedanke faszinierte Ursula Trösch je länger, je mehr. «Warum warten?», fragte sie sich, frei nach dem Motto «Gemeinsam altern macht mehr Spass!». Mit ihrer Mutter Elsbeth Cartier betreibe sie ohnehin schon eine «WG im kleinen Rahmen». Vor rund einem Jahr nahm die ehemalige Wirtin und Haushaltsleiterin die 84-Jährige bei sich auf. Elsbeth Cartier wurde nach einem Spitalaufenthalt geraten, nicht mehr allein zu wohnen.
Wie funktioniert «WG für Senioren»?
Die Strukturen unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen einer WG, wie sie auch jüngere Leute führen. «Alle übernehmen Ämtli, die ihren Vorlieben und Möglichkeiten entsprechen», erklärt Ursula Trösch in ihrem urchigen Berndeutsch.
So werde man sich gemeinsam um Einkäufe, das Kochen, Haushaltsaufgaben und die Gartenpflege kümmern. «Wem dies aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, der steuert ein Entgelt für diese Dienstleistungen bei.»
Jeder Bewohner zahle eine monatliche Miete von rund 1200 Franken, dazu kämen die Nebenkosten und eine Beteiligung an Lebensmitteln und Haushaltseinkäufen.
Ursula Trösch wird sich im Hintergrund um die Haushaltsführung kümmern und da und dort einspringen, wenn der Bedarf da ist. Wenn sie nicht gerade mit Buddy unterwegs ist. «Ich liebe die Spaziergänge mit meinem Hund, um den Kopf auszulüften und mich zu entspannen.»
Das fixfertige Konzept
Für die pflegerische Unterstützung ihrer Mutter wandte sich Trösch an die private Spitex Bajron, die ihren Geschäftssitz in Volketswil hat. Als sie dem Geschäftsinhaber Nijat Bajrami von ihrer Vision einer Senioren-WG erzählte, rannte sie bei ihm offene Türen ein. «Er eröffnete mir, dass er bereits ein fixfertiges Konzept in der Schublade parat habe», erinnert sie sich schmunzelnd.
Tatsächlich schwebt Bajrami ein solches Projekt schon länger vor. «Was gibt es Schöneres für ältere Menschen als ein gemütliches Zuhause in familiärem Umfeld?», fragt er mit leuchtenden Augen. Als diplomierter Pflegefachmann und langjähriger Bereichsleiter Pflege ist er mit den Bedürfnissen und Ansprüchen von Senioren bestens vertraut.
Auch im fortschreitenden Alter brauche der Mensch sowohl Gesellschaft als auch Rückzugsmöglichkeiten. «Ausserdem ist es wichtig, dass Betagte weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen können und ihre lieb gewonnenen Routinen nicht verlieren.» In der geplanten Senioren-WG werde diesen Bedürfnissen Rechnung getragen.
Ein Haus für vier Senioren – und Ursula Trösch
Über die Finanzierung eines möglichen Hauses muss sich Trösch keine Sorgen machen. Das will die Spitex Bajron übernehmen. Der umtriebige Geschäftsmann Bajrami steckt mitten in den Verhandlungen für eine Immobilie im Tösstal. «Ein Haus, das mit Herz und Seele gebaut und wie gemacht ist für unsere Bedürfnisse.»
Für jede Seniorin solle ein grosszügiges Zimmer zur Verfügung stehen. Gemütliche Aufenthaltsräume, die gemeinsame Küche und ein grosser Umschwung würden die Idylle abrunden. «Die künftigen Bewohner dürfen ihre eigenen Möbel mitbringen und ihr neues Zuhause so gestalten, wie es ihnen gefällt», erzählt Nijat Bajrami.
Die Bajron-Spitex steht den betagten Menschen auch mit ihren Pflege- und Betreuungsdienstleistungen zur Seite. Hier mache die «Menge» den Unterschied. Ein Beispiel dazu: Wenn jeder Bewohner jeweils Anspruch auf eine Stunde Pflegeleistung pro Tag hat, macht das bei vier Senioren vier Stunden am Tag, an denen eine Pflegefachperson im Haus ist. «Das erhöht die Sicherheit und die individuelle Pflege unserer Bewohner», so der 52-Jährige.
Ursula Trösch indes hat keine Bedenken, dass ihr die Gesellschaft von vier Senioren rund um die Uhr zu viel werden könnte. Die Pflegefachpersonen von der Bajron-Spitex würden sie regelmässig entlasten. «Ausserdem kann ich mich in meine eigenen Räumlichkeiten zurückziehen, wenn ich meine Privatsphäre brauche.»
Startschuss für weitere Projekte?
Mit einer Wohngemeinschaft für Senioren beschreitet die Bajron-Spitex neue Wege. Allerdings kann sich Nijat Bajrami gut vorstellen, danach weitere Gemeinschaften nach diesem Vorbild zu realisieren. «Ich freue mich darauf, wenn das Haus mit Leben gefüllt wird», sinniert er, «die glücklichen Gesichter der Senioren wären für mich der grösste Lohn.»
Ursula Trösch, ihr vierjähriger Jack-Russell-Rüde Buddy und ihre Mutter Elsbeth Cartier sind die ersten Bewohner in der Wohngemeinschaft. Sie freuen sich, wenn sich drei rüstige Oberländerinnen oder Oberländer finden lassen, die sich auf das «Abenteuer Senioren-WG» einlassen möchten.
Und wer WG vor allem mit Bergen von schmutzigem Geschirr, herumliegenden Socken oder Streit um Ämtlipläne assoziiert, sollte die Vorteile dieser sozialen Wohnstruktur nicht ausser Acht lassen. «Das Leben in einer Wohngemeinschaft ähnelt dem Konstrukt einer grossen Familie und lässt Menschen Geborgenheit erfahren», sagt Bajrami. Ein menschliches Grundbedürfnis, nicht nur von jungen Leuten.