Loan Nham wohnt seit bald vier Jahren an der Letzacherstrasse in Fällanden. Das Quartier war lange Zeit im Fokus eines intensiven Streits um den Bau von Flüchtlingscontainern zwischen einer Gruppe Anwohnern und dem Gemeinderat. Schliesslich haben sich die Anwohner durchgesetzt, die Unterkünfte sind nun fern ihres Quartiers neben der Kläranlage im Bachwis geplant.
«Der Standort ist für mich ein absolutes No-Go», sagt Nham. Ihre Vorstellung einer idealen Umgebung in Fällanden für Flüchtlinge ist eng mit den Erfahrungen verknüpft, die ihre Eltern gemacht haben.
1979 sind ihr Vater und ihre Mutter – die sich damals noch nicht kannten – aus Vietnam geflohen. Es war das Jahr, als die chinesische Armee ins Land einfiel, weil Vietnam gegen die mit China verbündeten Roten Khmer in Kambodscha vorging.
«Meine Mutter ist mit meiner Cousine auf dem Arm nach Thailand geflohen», erzählt Nham. Ihr Vater ging denselben Weg. Beide mussten ihre Eltern im Kriegsgebiet zurücklassen. «Mit dabei hatten sie nur, was sie noch schnell zusammenpacken konnten.»
In Thailand seien die vietnamesischen Flüchtlinge in alle Herren Länder verteilt worden. «Mein Vater und meine Mutter kamen in die Schweiz – eine Wahl hatten sie nicht.»
Beim Arzt Deutsch gelernt
Gemeinsam landeten sie in einer Flüchtlingsunterkunft im Kanton Freiburg, wo sie sich kennenlernten. Innert dreier Monate wurde ihnen in einem Intensivkurs Deutsch nähergebracht. Der Vater fand in einer kleinen Werkstatt Arbeit. Er war schon immer der Typ «learning by doing», sagt Nham.
Rückblickend ist es für Loan Nham entscheidend, wie ihre Eltern in der Schweiz aufgenommen wurden. «Ich bin überzeugt, dass eine erfolgreiche Integration nur durch eine siedlungsnahe Unterkunft möglich ist.» Ihre Eltern hätten mit der zentralen Unterbringung in einer freiburgischen Flüchtlingsunterkunft davon profitiert.
Beispielsweise habe ein Arzt aus der Gemeinde den Flüchtlingen zusätzlichen Deutschunterricht angeboten. «Meine Eltern haben so die ersten Kontakte mit Schweizern geknüpft und die Kultur kennengelernt. Dass man auf der Strasse Grüezi sagt, hätten sie in einer abgelegenen Unterbringung nicht erfahren.»
Später zog das Paar in eine kleine Wohnung ins sankt-gallische Thal. Dort kam Loan Nham 1982 zur Welt, zwei Jahre später ihre Schwester. Während dieser Zeit haben sich zwei Frauen aus dem Haus um sie gekümmert. Sie haben ihren Eltern gezeigt, wie ein Deckenbezug über ein Duvet gezogen wird, wie man Konfi und Wähe macht, wie man recycelt.
«Meine Eltern sind so richtige Bünzli-Schweizer geworden», sagt Loan Nham und lacht, «und sie lieben dieses Leben noch heute.» Mittagessen um 12 Uhr, Abendessen um 18 Uhr, «Tagesschau» um 19.30 Uhr.
Grosseltern nie getroffen
Trotz dieser Anpassung ans schweizerische Leben, ihre Wurzeln haben die Eltern nicht vergessen. Weil die Familie nur den vietnamesischen Pass besass, besuchten sie ihre Verwandten in Vietnam lange Zeit nicht. «Meine Eltern befürchteten, dass uns das kommunistische Regime mit diesem Pass als Deserteure bezichtigt und gleich ins Gefängnis sperrt.»
Mit bitterem Ende: «Mein Vater hat seine Eltern nie mehr gesehen», sagt Loan Nham sichtlich erschüttert.
Der Vater hat 1986 eine Stelle als Triebwerkmechaniker bei SR Technics bekommen, und die Familie ist nach Bachenbülach gezogen. Als Loan Nham und ihre Schwester ein bisschen älter waren, hat die Mutter im Coop Regale aufgefüllt. Bis zu ihrer Pensionierung hat das Paar gearbeitet. «Sie waren beide richtige Chrampfer.» Noch heute besucht Nham ihre Eltern regelmässig.
Beide Schwestern haben studiert. Loan Nham hat die Hotelfachschule abgeschlossen, danach die Branche gewechselt und arbeitet nun als Projektleiterin in einer Firma, die sich auf Sensortechnologie spezialisiert hat. Nebenbei unterstützt sie ehrenamtlich mehrere Hilfsorganisationen wie das Schweizerische Rote Kreuz, Tischlein deck dich in Schwerzenbach und ab November Aufgetischt statt weggeworfen in Fällanden.
Einer von drei soll es sein
Loan Nham kann den Kiesplatz, wo einst die Containersiedlung für die Flüchtlinge hin sollte, von ihrem Zuhause aus zwar nicht sehen. Doch auch wenn dies der Fall wäre, würde sie sich nicht daran stören, wie sie sagt. Für sie ist klar: «Die Unterkunft gehört auf ein siedlungsnahes Areal wie beispielsweise das Letzacher.»
Den Widerstand aus der Nachbarschaft kann sie dennoch verstehen. «Aus den Medien erfährt man meist nur über negative Vorfälle. Über positive Beispiele liest man nicht.» Das führe unter anderem zu unterschwelligen Ängsten bei den Leuten.
Nebst dem Letzacher sind für Loan Nham auch die anderen zwei siedlungsnahen Standorte eine Option für die Flüchtlingsunterkunft, die der Gemeinderat in seinem Bericht zur Standortwahl auf der Website als geeignet veröffentlicht hat: auf dem Gebiet, wo Feuerwehr und Friedhof sind, sowie auf dem Wägler-Areal.
Für die Gemeindeversammlung am 27. November, an der der Objektkredit in Höhe von 2,075 Millionen Franken für die Flüchtlingsunterkunft im Bachwis traktandiert ist, hat sich Loan Nham mit anderen Einwohnerinnen und Einwohnern zusammengetan.
Sie wollen mit Anträgen dafür sorgen, dass auf einem dieser drei Standorte die Wohncontainer gebaut werden und nicht neben der Kläranlage. Für Nham ein klarer Fall: «Es geht um Wertschätzung und Respekt gegenüber den geflüchteten Menschen. Sie sollen an einem Ort in Fällanden wohnen, wo wir Schweizer auch wohnen würden.»