Es hätte ein ganz normaler Morgenspaziergang werden sollen für die Dübendorferin Susanna Hempel und ihren Partner. Sie erzählt gegenüber dieser Zeitung, wie dieser Plan durchkreuzt wurde, als ihr Partner am Ufer der Glatt etwas Seltsames im Wasser entdeckte: Es war ein Biber, der in einer Reuse gefangen war. Reusen sind Fischfangvorrichtungen, die aus Stangen und einem feinen Netz bestehen.
Der Biber konnte sich nicht allein daraus befreien, vielmehr sank er und kämpfte sich dann wieder an die Oberfläche. «Die Reuse liess nur zu, dass der Biber seinen Kopf leicht aus dem Wasser heben konnte, um verzweifelt nach Luft zu schnappen», sagt die Spaziergängerin.
Das Paar, das den Vorfall einige hundert Meter von der Dübendorfer Eishalle entfernt beobachtet hatte, rief den Schweizer Tierrettungsdienst in Dietikon. Die beiden warteten auf dessen Eintreffen und entfernten sich ein paar Meter vom Ort des Geschehens.
Während dieser Abwesenheit entdeckte der Hund einer anderen Passantin den Biber, worauf die Hundehalterin und einige weitere Passanten die Kantonspolizei Zürich verständigten. Diese leitete sie an die Jagdaufsicht weiter. Die Jagdaufsicht versprach zu kommen, um sich die Situation anzusehen und den Biber allenfalls zu erlösen.
Ein Jogger, der inzwischen ebenfalls dazugestossen war, konnte die Szene nicht untätig beobachten. Er stieg ins Wasser, holte die Reuse samt Biber an Land und stiess das Tier kurzerhand durch die Öffnung der Reuse in die Freiheit. Der Biber verblieb an Ort und Stelle, unfähig, sich zu bewegen. «Wenn er es versuchte, kippte er zur Seite», sagt Hempel.
Der Biber zitterte und rieb sich mit seinen Pfoten den Bauch. Hempel, die sehr tierlieb ist, sagt: «Es war einerseits herzzerreissend niedlich und andererseits unglaublich traurig.» Nach ungefähr einer Stunde kam dann die Tierrettung.
Gerade rechtzeitig
Corin Alba ist Tierambulanzfahrerin bei der Tierrettung Schweiz. Sie versuchte, den Biber zu untersuchen. «Da hat er einen Scheinangriff gemacht, weil er sich bedroht fühlte», wie sie auf Anfrage sagt. Er berührte sie allerdings nicht. Danach konnte die Tierretterin ihn abtasten. Die Erkenntnis: «Unverletzt, aber unterkühlt.» Sie ist positiv eingestellt, dass das Wildtier den Vorfall grösstenteils unbeschadet überstanden hat.
Alba beschloss, den Nager nicht ins Tierspital zu bringen. «Für ein Wildtier, das sich nicht an Menschen gewöhnt ist, wäre das ein extremer Stress. Deshalb machen wir das nur im absoluten Notfall», erklärt die Tierambulanzfahrerin. Auch die Reuse hat sie in Verwahrung genommen, damit sich nicht noch ein Biber darin verfängt. «Der Besitzer des Netzes darf sich gerne bei mir melden.»
Nach der Untersuchung rappelte sich der Biber auf, glitt ins Wasser und schwamm ans andere Ufer, um sich weiter auszuruhen. Die Passanten meldeten der Jagdaufsicht, dass der Biber befreit wurde.
Hempel sagt, der Vorfall habe sie schockiert. Sie kann nicht verstehen, wie so etwas überhaupt möglich ist: «Was nützt das Naturschutzgebiet an der Glatt, wenn dann doch Tiere durch Menschenhand leiden müssen?»
Besitzer der Reuse unklar
Melanie Nägeli, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Amts für Fischerei und Jagdverwaltung, ordnet auf Anfrage dieser Zeitung ein: «Bei der betreffenden Reuse handelte es sich um eine Köderfischreuse. Diese dürfen in der Glatt von Fischereiberechtigten grundsätzlich ohne Genehmigung eingesetzt werden.» Dass sich ein Biber darin verfangen hat, erstaunt sie: «Es handelte sich wahrscheinlich um ein junges, unerfahrenes Tier.»
Nägeli ergänzt, dass Köderfischreusen heute nur noch selten verwendet würden. Der Besitzer sei dann auch für das Gerät verantwortlich. Derzeit wird abgeklärt, wem die Reuse gehört.
Einzelfall oder nicht?
Laut Susanna Hempel könnte der Biber-Vorfall sogar nicht der einzige gewesen sein. Die Passantin mit dem Hund habe ihr erzählt, dass sich ein ähnlicher Fall bereits im August bei der kleinen Insel vor der Kunsteisbahn ereignet habe. Der Biber habe mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht überlebt.
Weder Corin Alba noch Melanie Nägeli haben je von einem ähnlichen Fall gehört. Nägeli verspricht aber: «Wir werden die Fischerinnen und Fischer bezüglich dieser Problematik in der Glatt sensibilisieren. Sollte sich ein solcher Vorfall wiederholen, werden wir auf die Reusenbesitzer zugehen und mit ihnen mögliche Massnahmen prüfen.»