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Gesellschaft
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Mitarbeiter des Brocki Emmaus in Dübendorf räumen eine Wohnung aus.

Die Räumungsarbeiter wissen, wies geht: Mit teils eigens konstruierten Rollwagen transportieren sie ein auseinandergenommenes Regal. Foto: Fiorella Koch

Hausräumungen

Sie kämpfen gegen die Wegwerfgesellschaft

Das Emmaus Brockenhaus in Dübendorf räumt Wohnungen oder Häuser. Dabei werden die Arbeiter auch mit grossen gesellschaftlichen Problemen konfrontiert.

Die Räumungsarbeiter wissen, wies geht: Mit teils eigens konstruierten Rollwagen transportieren sie ein auseinandergenommenes Regal. Foto: Fiorella Koch

Veröffentlicht am: 04.11.2024 – 11.10 Uhr

Die Gründe für eine Wohnungsräumung sind vielfältig. Einigen fehlt vor dem Umzug die Zeit oder die Hilfe von Kollegen. Andere müssen sich von ihren Möbeln und Erinnerungsstücken trennen, bevor sie ins Altersheim ziehen. Oder es muss nach dem Tod der Eltern die Hinterlassenschaft entsorgt werden.

Genau dafür bieten Brockenhäuser einen Räumungsservice an. In Dübendorf etwa das Grossraumbrocki Emmaus an der Ringwiesenstrasse. Enver Rexhepi ist der Leiter des Aussendiensts und plant und koordiniert die Räumungen. Diese beginnen immer mit einer Besichtigung, bei der Rexhepi die Räumlichkeiten und die Waren begutachtet und fotografiert. «Anschliessend spreche ich mich mit dem Innendienst ab: Welche Waren können wir weiterverkaufen, welche nicht?», so Rexhepi.

Enver Rexhepi posiert vor einem Räumungstransporter.
Enver Rexhepi arbeitet seit rund 20 Jahren beim Brockenhaus. Foto: Fiorella Koch

Was ihm auffällt: «Neuere Möbel werden öfters in mangelnder Qualität produziert.» Das führe dazu, dass diese immer mehr entsorgt werden müssen, obwohl sie noch nicht alt sind. «Früher haben die Leute ihre Möbel ein Leben lang behalten», so Rexhepi. Heute sei das immer seltener der Fall.

Hingegen gut verkaufen lassen sich zum Beispiel Möbel aus den 50er und 60er Jahren oder komplette Geschirrsets. Doch noch etwas fällt Rexhepi auf: «Wir finden immer mehr Waren, die nie gebraucht wurden und oft noch in der Verpackung sind.» Viele davon seien Elektrogeräte.

Solche Erlebnisse bringen Rexhepi, der schon seit 20 Jahren im Brockenhaus arbeitet, zum Nachdenken. «Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft», sagt er. «Ich halte es für ein grosses Problem, dass Waren überall billig und von fragwürdiger Qualität ständig verfügbar sind.» Die Möglichkeit seien unbeschränkt, man könne auf Kredit oder Raten einkaufen und sich leicht verschulden. «Das ist vor allem bei Jugendlichen ein Trend, den ich schon länger beobachte», so Rexhepi. Deshalb: «Ich frage mich bei einer Neuanschaffung immer, ob ich es wirklich brauche.»

Räumungen und Diplomatik

Nachdem entschieden ist, welche Ware verkauft werden kann, wird für die Kundin oder den Kunden eine Offerte erstellt. Von den Kosten für die Räumung inklusive Entsorgung wird ein Rabatt abgezogen, der von der Menge der verkaufbaren Ware abhängt. Wird das Angebot angenommen, kann ein Termin für die Räumung vereinbart werden.

Eine dieser Räumungen findet an einem nebligen Oktobertag in der näheren Umgebung des Brocki statt. Rexhepi fährt mit vier seiner Mitarbeiter um 7 Uhr morgens mit drei Transportern los. Sie treffen die Kundin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Im Gespräch müsse er oft diplomatisch vorgehen, erklärt Rexhepi. Denn manchmal sind die Kundinnen und Kunden enttäuscht, wenn ihre geliebten Möbel entsorgt werden müssen. «Niemand hört gern, dass sein Besitz nicht verkäuflich ist. Deshalb erkläre ich das immer im Voraus und achte darauf, die richtigen Worte zu benutzen und sensibel zu sein.»

Sensibilität ist auch in anderen Bereichen der Arbeit von Enver Rexhepi von grosser Bedeutung. Viele seiner Kundinnen oder Kunden haben vor der Räumung Traumatisches erlebt, etwa den Verlust eines Angehörigen, dessen Wohnung nun geräumt werden soll. «Ich gehe behutsam mit meinen Kunden um, bin zurückhaltend und stelle nicht zu viele persönliche Fragen.»

Trotzdem würden viele Kunden von sich aus über sich erzählen. So erfährt Rexhepi manchmal von traurigen Schicksalen. «Aber der Tod gehört zum Leben. Es ist ein Kreislauf», sagt er. «Aber es kann mich schon berühren, vor allem wenn es sich bei den Todesfällen um unverhoffte Schicksalsschläge oder um Kinder handelt, die vor ihren Eltern gehen mussten.»

Weil er seine Mitarbeiter schon lange kennt, weiss er, dass es auch ihnen manchmal nahegeht. «Dann spreche ich mit ihnen darüber.» Auch mit seiner Frau redet er zu Hause über solche Fälle. «Aber man muss auch irgendwann abschalten, sonst ist man im falschen Beruf.»

Spezialisten im Fach

Nach dem ersten Gespräch in der zu räumenden Wohnung verabschiedet sich die Kundin. Während der Räumung, die mehrere Stunden bis Tage dauern kann, sind die Kunden selten vor Ort. In der Zwischenzeit haben die anderen vier Mitarbeiter damit begonnen, den Wohnungsboden mit Schutzfolie auszulegen. Geschäftig wuseln sie zwischen dem Transporter und den verschiedenen Räumen hin und her und transportieren Ware nach draussen.

Die verkaufbaren Waren hat Rexhepi mit einem orangen Post-it markiert. Das erleichtert ihnen die Arbeit. Ein Räumungsarbeiter nimmt einen Schrank auseinander, während ein anderer Geschirr in Zeitungspapier wickelt. Sie gehen mit System vor – jeder weiss, was er zu tun hat.

Bei der heutigen Kundin bleiben die Räumer nur einige Stunden. Wenn das Team keinen fixen Termin einhalten muss, geht Rexhepi manchmal auch mehrmals vorbei. Er erwähnt ein Beispiel von einer gebildeten Frau, die ins Altersheim umzog und sich deshalb von ihren vielen Büchern trennen musste. «Ich bin mehrmals zu ihr gefahren, um die Bücher abzuholen. Das hat ihr Zeit gegeben, sich von ihren Büchern zu verabschieden.»

Viele von Rexhepis Kundinnen und Kunden sind ältere Menschen. «Viele von ihnen fühlen sich einsam und haben kaum noch jemanden zum Reden.» Er findet das schade: «Wir dürfen unsere älteren Mitmenschen nicht vergessen.»

Entsorgen oder weiterverwenden?

Mittlerweile haben die Räumungsarbeiter alle Möbel auseinandergebaut und abtransportiert, die Kleinwaren sind sortiert und verpackt. Nachdem die nicht mehr verkäuflichen Waren zur Entsorgung gebracht wurden, kommt die Kundin wieder. Rexhepi führt mit ihr die Abnahme durch. Danach fahren er und seine Arbeitskollegen mit der guten Ware zurück zum Brockenhaus. Dort werden die Waren sortiert. Der Innendienst entscheidet dann je nach Saison, was in den Laden kommt.

 «Auch wenn wir nicht gewinnorientiert arbeiten, muss sich der Aufwand lohnen», so Rexhepi. Ein Teil des Gewinns geht nämlich an Hilfsprojekte. Damit es sich lohnt, müssen sie auch Waren entsorgen, die man theoretisch noch hätte verkaufen können. Das fällt ihm manchmal schwer. Aber einerseits sei die Nachfrage der Kundschaft nicht immer da, andererseits hätten sie im Laden nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung.

 «Aber es gibt meiner Arbeit Sinn, dass wir einen Teil der Ware weiterverkaufen können und sie so in Hände gelangt, die sie auch benötigen oder Freude daran haben.» Er ergänzt: «Ich bin stolz darauf, dass wir mit unserer Arbeit die Wegwerfgesellschaft bremsen.» 

Teil eines Ganzen

Das Brockenhaus gehört zur Schweizerischen Emmaus-Vereinigung. Gegründet wurde diese vom katholischen Priester Abbé Pierre. Im Sommer 2024 wurden vom verstorbenen Franzosen zahlreiche sexuelle Übergriffe auf Frauen bekannt. Seitdem hat sich die heute politisch und konfessionell unabhängige Vereinigung um deren Aufarbeitung bemüht.

Das Brockenhaus spendet an seine Dachorganisation, an internationale Partnerorganisationen und an lokale, nationale und internationale Projekte für Schulungen, Berufsbildung, Arbeitsbeschaffung und Gesundheitsprogramme.

Enver Rexhepis Arbeit beeinflusst auch sein Privatleben. «Ich kaufe mir nur das, was ich wirklich brauche, und schätze sehr, was ich habe», sagt er. «Ich glaube, das habe ich auch meinen Söhnen beigebracht.»

Und er erkennt auch einen positiven Trend: «Immer mehr junge Leute sind sich unserer Wegwerfgesellschaft bewusst. Viele von ihnen kommen zu uns ins Brocki und kaufen vor allem Kleider ein.» Upcycling, also die Wiederverwertung von alten Produkten, werde grossgeschrieben. «Die allgemeine Nachfrage nach unseren Waren steigt», so Rexhepi. Der Räumungsservice von ihnen und auch von vielen anderen Brockenhäusern seien lange in die Zukunft ausgebucht.

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