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Dübendorfer Marroniverkäuferin Jessica Bernet vor ihrem Marronistand.

Seit ihrer Kindheit brät Jessica Bernet Marroni. Jetzt hat sie ihren eigenen Verkaufsstand. Foto: Fiorella Koch

Dübendorfer Familientradition

Die Marroniverkäuferin, die keine Marroni mag

Jessica Bernet brät Marroni, seit sie denken kann. Und auch wenn sich die Marroni nicht mehr so gut verkaufen wie früher, will die Dübendorferin nicht damit aufhören.

Seit ihrer Kindheit brät Jessica Bernet Marroni. Jetzt hat sie ihren eigenen Verkaufsstand. Foto: Fiorella Koch

Veröffentlicht am: 17.10.2024 – 10.15 Uhr

Dübendorferinnen und Dübendorfer kennen sie: die Marroniverkäuferin Jessica Bernet. Sobald sich der Sommer dem Ende zuneigt, steht der gewohnte Verkaufsstand von Oktober bis Februar wieder an der Bahnhofstrasse neben der Glatt. Seit rund 80 Jahren weht der Geruch der Marroni durch Dübendorf, die von Bernets Familie verkauft werden. Zwei Generationen nacheinander wurde das Geschäft an die Tochter weitergegeben.

Bernet, die den Stand nun bereits in dritter Generation führt, wird auch die letzte aus ihrer Familie sein. «Mit mir geht die Marroni-Ära zu Ende», sagt sie und lacht. Denn die 45-jährige gebürtige Dübendorferin hat keine Kinder. Aber daran verschwendet sie keine Gedanken. Denn: «Dieser Beruf ist für mich kein Job, sondern eine Leidenschaft.»

Die Konkurrenz ist gewachsen

Doch das Geschäft lief auch schon mal besser. «Ich verkaufe zehnmal weniger Marroni, als meine Familie früher verkauft hat.» Das liege am wachsenden Angebot an Lebensmitteln, die fast jederzeit schnell verfügbar seien. Rentieren würde es aber trotzdem noch. «Früher gaben wir die Marroni viel günstiger an die Kunden ab», sagt Bernet. «Deshalb musste man mehr verkaufen, um etwas zu verdienen.»

Trotzdem ist die Dübendorferin bemüht, den Preis der Marroni nicht zu sehr anzuheben. «Zehn Jahre lang haben wir den Preis nicht erhöht», sagt Bernet. Doch erst letztes Jahr musste sie wieder mehr für die Edelkastanien verlangen. Sie sagt: «Es ist nicht der Einkauf der Marroni, der teurer geworden ist. Sondern alles andere: die Kohle, das Benzin oder der Strom.» Trotzdem seien ihre Marroni noch immer günstiger als die der Konkurrenz.

Ein kleiner Hund bettelt am Marronistand nach Marroni.
Manchmal kaufen Kunden oder Kundinnen Marroni für ihre Hunde, da diese sie sehr mögen. Foto: Fiorella Koch

Lange Familientradition

Dass Bernet eines Tages den Marronistand übernehmen würde, war für sie und ihre Familie immer klar. «Ich hätte ablehnen können, wenn ich gewollt hätte», sagt Bernet. Aber ihr gefällt die Arbeit und die Selbständigkeit. Die Familientradition bedeutet ihr viel.

Bereits ihre Grosseltern Lina und Willy Portenier verkauften vor rund 80 Jahren Marroni in der Stadt. Auf sie folgten Bernets Eltern, Monica und Guido Bernet, die zeitweise auch an anderen Orten in Zürich verkauften. Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte Monica Bernet nur noch in Dübendorf. Ihr Standort an der Bahnhofstrasse war so bekannt, dass sich die Stadt Dübendorf beim Neubau der Glattbrücke bei Jessica Bernet erkundigte, wo sie den Gullydeckel mit der Stromversorgung am liebsten hätte.

Nachdem sie ihre Mutter einige Jahre am Verkaufsstand unterstützt hatte, übernahm sie 2016 das Geschäft und führt es nun seit acht Jahren selbständig. «Die Übergabe des Stands an die nächste Generation war immer fliessend», sagt Bernet. Alle hätten immer mitgeholfen. So auch sie, seit sie sechs Jahre alt war. «Ich war immer dabei, ausser sonntags, weil dann zu viel los war», so Bernet. «Dann haben mich meine Eltern ins Kino gebracht. Einmal wurde ich prompt wieder vor die Tür gestellt, weil ich zu jung für den Film ‹Pretty Woman› war», sagt sie.

Nach dem Schulabschluss absolvierte sie eine Lehre als kaufmännische Angestellte und später als Matrosin. Wenn sie nicht gerade Marroni verkauft, arbeitet sie von April bis August als Kassiererin bei der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft. «Die Monate März und September gehören mir», erklärt sie. «Da reise ich gerne. Mein nächstes Ziel ist die Türkei oder die USA.»

Zu viel des Guten

Bernet hat das Marronibraten von ihrer Mutter gelernt. Es sei nicht schwierig, erklärt sie, «aber man braucht ein gewisses Gefühl dafür». Die Schwierigkeit bestehe darin, die richtige Anzahl Marroni zu braten, damit sie nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige für den Verkauf habe.

Falls Bernet einmal zu viele Edelkastanien gebraten hat, isst sie sie nicht: «Ich mag Marroni nicht», erklärt sie. Weil sie seit ihrer Kindheit vom Geruch der Kastanien umgeben ist, hat sie keine Lust mehr auf sie. «Ich esse sie nur zur Qualitätskontrolle», so Bernet.

Auch wenn sie Marroni nicht mag, hat sie nicht vor, mit dem Verkauf aufzuhören: «Ich mache das noch, bis ich etwa 60 Jahre alt bin.» Sie mag die Konstanz. Ausserdem stört sie fast nichts an ihrer Arbeit, ausser dass die Ernte manchmal schlecht ausfällt.

So war es auch im vergangenen Jahr, als Bernet den Verkauf bereits im Dezember statt wie geplant im Februar einstellen musste. Auch dieses Jahr muss sie sich Sorgen machen: Wegen des Sturms «Kirk» hat Italien den Notstand ausgerufen. Schlechte Nachrichten für die Marroniverkäuferin, die ihre Edelkastanien aus diesem Land bezieht.

Positiv eingestellt ist sie trotzdem. «Ich habe es die ganze Saison über warm in meinem kleinen Verkaufsstand und kann mit meinen Kundinnen und Kunden scherzen.» Mit ihnen passiere nämlich immer wieder etwas Lustiges: «Wie die Touristen, die die Kastanien mit Schale essen», sagt sie schmunzelnd. «Oder der Deutsche, der fragte, ob Marroni wie Miesmuscheln sind.» Der Mann habe gedacht, dass man die geöffneten Kastanien nicht essen dürfe, weil sie schlecht seien.

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