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Walter Frauenknecht steht vor seinem Auto, mit dem er Patienten transportiert.

Walter Frauenknecht transportiert mit seinem SUV seit vier Jahren Dübendorfer Patientinnen und Patienten. Foto: Fiorella Koch

Freiwilligenarbeit

Er ist unterwegs für die Kranken von Dübendorf

Kranke oder verletzte Dübendorferinnen oder Dübendorfer können sich gegen wenig Entgelt von Freiwilligen fahren lassen. Als Fahrer erntet Walter Frauenknecht Dank und erfährt tragische Schicksale von Betroffenen.

Walter Frauenknecht transportiert mit seinem SUV seit vier Jahren Dübendorfer Patientinnen und Patienten. Foto: Fiorella Koch

Veröffentlicht am: 10.10.2024 – 05.29 Uhr

Walter Frauenknecht trägt eine gelbe Warnweste, denn er hat heute eine wichtige Aufgabe. Der 71-jährige Dübendorfer ist auf dem Weg zu einer Frau, die einen Arzttermin hat. Bevor er bei ihr klingelt, nimmt er die Zeitung aus dem Briefkasten. «Die bringe ich ihr immer mit», erklärt er.

Frauenknecht engagiert sich ehrenamtlich für den Patientenfahrdienst Dübendorf. Diese gemeinnützige Dienstleistung steht allen Einwohnerinnen und Einwohnern zur Verfügung, die einen Transport zu einer medizinischen Einrichtung benötigen. Die Stadt Dübendorf unterstützt den Dienst finanziell. Insgesamt führen 19 Fahrerinnen und Fahrer jährlich rund 3500 Fahrten in der Gemeinde durch.

Seit vier Jahren ist Walter Frauenknecht dabei. Bereits drei Jahre lang fährt der pensionierte Bauarbeiter die 73-jährige Griechin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, wöchentlich zum Arzt. Bei ihrer Wohnung angekommen, erwartet ihn die Frau bereits mit offener Türe. Sie nimmt die Zeitung entgegen und drückt Frauenknecht ein paar Noten und Münz in die Hand.

Walter Frauenknecht steht vor seinem Auto, mit dem er Patienten transportiert.
Viele Patientinnen und Patienten erzählen Walter Frauenknecht während der Fahrten von ihrem Leiden. Foto: Fiorella Koch

Der Preis für eine Hin- und Rückfahrt beginnt bei 25 Franken und steigt bei längeren Wartezeiten auf 35 beziehungsweise 45 Franken. Frauenknecht sagt: «Das Geld reicht, um die Benzin- und Parkkosten zu decken, und gibt mir ein wenig Sackgeld.»

Erzählungen von Operationen und Katzen

Nach der Bezahlung nimmt Frauenknecht der Patientin ihre Handtasche ab und reicht ihr den Ellbogen, um sie zum Auto zu führen. Die Frau leidet seit vielen Jahren an Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen und hat schon mehrere Operationen hinter sich. «Aber ich bin wie eine Katze», sagt sie. «Ich habe sieben Leben.»

Der Patientenfahrdienst ist ideal für Menschen, die den öffentlichen Verkehr nicht nutzen können oder wollen und keine Angehörigen haben, die sie fahren. «Die meisten unserer Kunden sind über 80 Jahre alt», sagt Frauenknecht. Er fährt sie zum Beispiel zur Physiotherapie, zu Spital- und Arztuntersuchungen oder in die Rehabilitation. 

Walter Frauenknecht steht vor seinem Auto, mit dem er Patienten transportiert.
Nur ein kleiner Zettel unter der Windschutzscheibe kennzeichnet die Fahrzeuge des Patientenfahrdiensts, da die Ehrenamtlichen mit ihren privaten Autos fahren. Foto: Fiorella Koch

Frauenknecht fährt seine heutige Patientin zu einem griechischen Arzt in Zürich, da die Frau nur schlecht Deutsch spricht. Das hält sie aber nicht davon ab, ihrem Fahrer lebhaft von ihrem Alltag zu erzählen.

Ohne Unterlass spricht sie von ihrer Therapie, ihren Schwestern, Griechenland oder ihren Katzen. Trotz holprigem Deutsch scheint Frauenknecht sie sehr gut zu verstehen – er nickt und verneint an den passenden Stellen.

An harte Schicksale gewöhnt

Walter Frauenknecht beschreibt sich selbst als Einzelgänger. «Ich frage die Patienten nicht aus. Sie kommen meistens von selbst auf mich zu.» Sie erzählen ihm von ihren Krankheiten oder anderen Leiden.

So berichtet ihm auch seine Beifahrerin vom Tod ihrer Mutter, die sie mit ihrem Sohn allein in der Schweiz zurückgelassen hat. «Verstehen Sie?», fragt sie Frauenknecht. «Ja, ich verstehe sie gut», gibt er zurück.

Man gewöhne sich an die tragischen Schicksale, sagt Frauenknecht. Aber ab und zu geht auch ihm eine Geschichte nahe. Der Pensionär sagt: «Meinen allerersten Patienten, den ich lange gefahren habe, habe ich auch bei seiner letzten Fahrt ins Spital begleitet. Und ich wusste, er kommt nicht wieder. Das hat wehgetan.»

Während des Gesprächs mit seiner Beifahrerin schlängelt sich Frauenknecht mühelos durch den dichten Verkehr in Zürich. Ein Navigationsgerät braucht er nicht, er kennt den Weg. Zwei bis vier Patientinnen und Patienten fährt der Freiwillige täglich durch Dübendorf, Zürich und Umgebung.

Den Fahrdienst macht er drei Tage die Woche, jeweils zwei Tage vor dem Termin wird er aufgeboten. «Diese Arbeit lässt sich gut mit meinem Privatleben vereinbaren», sagt er. «Es ist besser, als den ganzen Tag am Computer oder vor dem Fernseher zu sitzen.»

Gamen, Lesen oder Kaffee trinken

Bald angekommen, parkiert Frauenknecht direkt vor der Praxis. Wieder hilft er der Patientin aus dem Auto, nimmt ihr die Handtasche ab, hakt sich bei ihr ein und begleitet sie bis in die Arztpraxis. In ihrem Tempo. Anschliessend sucht sich Frauenknecht einen Gratis-Parkplatz und stellt sein Auto ab, bis er die Frau wieder abholen muss.

«Ich mag das Warten», sagt er. Zwischen dem Bringen und Abholen der Patienten können 15 Minuten bis zu einem halben Tag vergehen. «Ich vertreibe mir die Zeit mit Gamen, Lesen oder Kaffee trinken», so Frauenknecht.

Walter Frauenknecht steht vor seinem Auto, mit dem er Patienten transportiert.
Walter Frauenknecht transportiert mit seinem SUV seit vier Jahren Dübendorfer Patientinnen und Patienten. Foto: Fiorella Koch

Er sei zufrieden, wenn es seine Kundinnen und Kunden sind. «Viele fragen, ob ich sie beim nächsten Mal wieder abhole.» Frauenknecht fährt gerne für den Patientenfahrdienst. «Solange ich kann, mache ich das.»

Nach anderthalb Stunden klingelt sein Telefon: Es ist die Patientin. Ihr Arzttermin ist vorbei, und Frauenknecht macht sich auf, um sie abzuholen und nach Hause zu fahren.

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