In Volketswil hatten am Samstag die einen Grund zum Feiern, die anderen Grund zum Protestieren. Scientology Zürich, ein Standort der umstrittenen religiösen Vereinigung Scientology, feierte an diesem Tag in der Industrie Zimikon sein 50-jähriges Bestehen mit einem Tag der offenen Tür. Die Freien Anti-Scientology-Aktivisten (Fasa) nahmen dies zum Anlass, sich vor dem Bürogebäude zu einer stillen Kundgebung zu versammeln.
Später wird Jürg Stettler, Präsident von Scientology Zürich, sagen: «Unser Ziel ist es, dass sich die Besucherinnen und Besucher ein eigenes Bild von uns machen können.» Denn so könnten auch Vorurteile abgebaut werden.
Gleiches Ziel, andere Hintergründe
Das Ziel der fünf Aktivistinnen und Aktivisten, die sich einige Meter vor dem Haupteingang mit Leuchtwesten und Schildern aufgestellt haben, ist ebenfalls Aufklärung. Allerdings in die andere Richtung, wie Beat Künzi erklärt: «Wir wollen allfällige Besucherinnen und Besucher über Scientology aufklären und sie warnen.» Yolanda Sandoval-Künzi ergänzt: «Vor allem Kinder wollen wir schützen, weil die Scientologen zum Beispiel auch Nachhilfekurse für sie anbieten.»
Das Paar aus dem Baselbiet ist Gründer der Fasa. Seit fünf Jahren engagieren sie sich in der Schweiz, Deutschland und Österreich für die Aufklärung über Scientology mit Standaktionen oder ihrem Blog. Am Samstag werden sie von ihrem Winterthurer Kollegen Thomas Oetjen, der Aargauer SP-Politikerin Simone Allenspach und einer Kollegin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, unterstützt.
Was ist Scientology?
Scientology bezeichnet sich selbst als Religion oder Religionsgemeinschaft. Sie basiert auf einem stark hierarchischen System, in dem die Mitgliederinnen und Mitglieder durch das Studium von Schriften spirituelle Erleuchtung erlangen sollen. Die Vereinigung ist aufgrund ihrer finanziellen Praktiken, starken Geheimhaltung ihrer Lehren oder der Kontrolle ihrer Mitglieder umstritten.
Jürg Stettler kennt die Aktivisten und weiss, dass sie sich vor dem Gebäude postiert haben. Mit ihnen Kontakt aufnehmen will er allerdings nicht. «Ich habe schon mit vielen Menschen zu tun gehabt, die meine Religion kritisieren. Ich habe mich allen gestellt und zum Beispiel eine Podiumsdiskussion geführt», so Stettler. Dem Aktivistenpaar will er sich aber nicht stellen. «Das ist nicht mein Niveau», erklärt er.
Der Präsident begründet: «Die Aktivisten exponieren in ihrem Blog Personen, die mit Scientology in Verbindung gebracht werden. Auch solche, die vielleicht nur ein oder zwei Kurse absolviert haben.» Das sei «religionsrassistisch». «Diese Aktivisten wollen, dass wir geächtet werden», so Stettler.
Beat Künzi und Yolanda Sandoval-Künzi betonen derweil ihre Friedfertigkeit und distanzieren sich von jeglicher Aggressivität. «Wir nennen unsere Aktion eine stille Kundgebung, weil wir nicht herumbrüllen oder ein Megafon benützen», erklärt Künzi. Sandoval-Künzi fügt an: «Wir gehen nicht aktiv auf Scientologen oder Besucherinnen und Besucher zu.» Sie wollen aber da sein, wenn jemand mit ihnen das Gespräch sucht. Ihre friedlichen Absichten haben sie auch der Gemeinde kommuniziert und eine Bewilligung für ihre Kundgebung eingeholt. Die Polizei fährt am Nachmittag trotzdem kurz vorbei und wirft einen Blick auf die kleine Versammlung.
Ein unauffälliger Eingang für ein Jubiläumsfest
Um auf das Jubiläumsfest aufmerksam zu machen, hat Scientology Zürich im Vorfeld Einträge in den wichtigsten Schweizer Veranstaltungskalendern publiziert. Trotzdem scheint der Besucherandrang hier an der Chriesbaumstrasse 6 auszubleiben. «In den drei Stunden, in denen wir schon hier sind, haben wir acht Scientologen gezählt, aber keinen einzigen Besucher», sagt Sandoval-Künzi. Einer der Scientologen habe ihr den Mittelfinger gezeigt.
Der Eingang zu den Büroräumen von Scientology Zürich ist unauffällig beschriftet. Hinweisschilder auf den Tag der offenen Tür fehlen. Die Tür ist verschlossen und öffnet sich nur auf Klingeln mittels automatischem Türöffner. «Wir hatten seit der Öffnung um neun Uhr ein paar Dutzend Besucherinnen und Besucher, die zusätzlich zu den normalen Kursteilnehmern da waren», so Stettler. Die unterschiedlichen Aussagen zu den Besucherzahlen erklärt er sich damit, dass es noch einen zweiten Eingang gebe. Deutlich zu erkennen ist allerdings auch der nicht.
Was bei der äusserlichen Erscheinung des Gebäudes an Einladung fehlt, wird in den Büros der Scientology-Kirche mit Freundlichkeit wettgemacht. Viele lächelnde Scientologinnen und Scientologen stehen bereit, um Kaffee und Kuchen anzubieten. «Wir hatten für heute Führungen, Vorträge und eine Fragestunde geplant», sagt Stettler. Letzteres wurde aber zeitlich nach hinten verschoben, weil am Nachmittag zu wenige Besucher vor Ort waren, um den Anlass durchzuführen. «Gegen Abend, wenn Leute von der Arbeit kommen, erwarten wir weitere Besuche», erklärt der Präsident. Und das, obwohl die Jubiläumsfeier an einem Samstag stattfand.
Grosse Zukunftspläne
Der Gemeindepräsident von Volketswil, Jean-Philippe Pinto (Die Mitte), sieht in der Jubiläumsveranstaltung der religiösen Vereinigung kein Problem. Er sagt: «Es ist das gute Recht von Scientology, ihr 50-jähriges Bestehen zu feiern.» Er habe bei Einzug der Religionsvereinigung 2020 darauf bestanden, dass Scientology keine Standaktionen in Volketswil veranstaltet. Pinto ergänzt: «Und sie haben sich immer daran gehalten. Die Jubiläumsfeier ist schliesslich intern.»
Die geringen Besucherzahlen am Tag der offenen Tür halten Scientology nicht davon ab, zu expandieren. Jürg Stettler sagt: «Wir wollen in der Stadt Zürich in der weiteren Zukunft ein grosses Zentrum eröffnen.» So gross wie der Standort in Basel. Dieser belegt ein ganzes eigenes, mehrstöckiges Gebäude. «Auch in Lausanne und Genf wollen wir wachsen», ergänzt er. Volketswil, das von vornherein nur als Übergangslösung gedacht war, werden sie in naher Zukunft verlassen.