Wer Daniel Wenger aus Dübendorf besuchen möchte, erhält schon im Treppenhaus einen freundlichen Empfang. Schwanzwedelnd , flauschig, vierbeinig, feuchte Nase und grosse, braune Augen – Hund Yaris ist bemüht, alle Besuchenden direkt um den Finger zu wickeln.
Der 6-jährige Australian Shepherd und sein 53-jähriges Herrchen sind seit 2018 ein Team, seit 2020 ist Yaris als Therapiehund im Einsatz. Daniel Wenger arbeitet als Peer, auch Experte aus Erfahrung genannt.
Dabei handelt es sich um Personen, die psychische Erkrankungen und eine Genesung durchgemacht und diese in einer Weiterbildung reflektiert haben. Teil ihres Jobs ist es, die eigenen Erfahrungen mit anderen Betroffenen, deren Angehörigen und Fachpersonen zu teilen.
Von der Sicherheitsbranche in die Klinik
Sieben Jahre zurückgespult. Daniel Wenger ist in der Sicherheitsbranche tätig, arbeitet am Zoll und bei der Polizei. Viel Stress, hohe Erwartungen und wenig Freizeit gehören zur Tagesordnung. «Und das in einem wertschätzungsfreien Umfeld», wie er sagt.
Irgendwann kann Wenger nicht mehr. Er wird wegen eines Burn-outs und Depressionen stationär in eine Klinik eingewiesen. Sechs Wochen verbringt er dort. «Durch diese Erfahrung bin ich auf meinen heutigen Weg gekommen.»
Neuer Weg nach dem Austritt
Nach dem Austritt aus der Klinik wurde Wenger angefragt, ob er nicht in einem Gruppensetting von seinen Erfahrungen erzählen wolle. Er wollte und berührte mit seiner empathischen Art die anderen Betroffenen und den Direktor der Klinik, sodass dieser ihm eine Ausbildung mit anschliessender Anstellung als Peer anbot. «Mein Gefühl sagte mir, dass dies das Richtige für mich sein könnte.»
Während der Ausbildung kam dann Yaris ins Spiel. «Der Wunsch nach einem Hund war nicht neu. Dass ich genügend Zeit hatte, aber schon.» Ihm war klar, dass er gerne einen Therapiehund ausbilden wollte; dementsprechend legte er auch seine Suche nach einem vierbeinigen Freund aus.
Schliesslich wurde er bei einer Züchterin fündig. Obwohl er im ersten Moment etwas enttäuscht war, als sie ihm Yaris vorstellte. «Seine neun Geschwister waren Australian Shepherds wie aus dem Bilderbuch: blaue Augen, schwarz-grau gesprenkeltes Fell. Und dann halt er. Für seine Rasse zu viel Weiss am Kopf, schwarze Ohren und dunkle Augen.»
Dennoch nahm er ihn zu sich, denn die Züchterin versicherte ihm: Dieser Hund sei der Richtige für seine Pläne. «Na gut, ist jetzt halt so», habe er sich damals gedacht.
Heute schüttelt Wenger den Kopf und lacht über sein eigenes Verhalten. «Typisch Mensch, diese Oberflächlichkeit.» Heute sei er unglaublich froh darüber, Yaris an seiner Seite zu haben. «Er macht seinen Job wirklich gut.»
Ein tierischer Spiegel
Sein Job ist es vor allem, da zu sein. Daniel Wenger gibt seine Erfahrungen an Menschen mit psychischen Krankheiten weiter – und Yaris begleitet ihn dabei. «Über meine eigene Geschichte schaffe ich einen Kontakt zu anderen Betroffenen. Viele von ihnen können sich mit meinen Erlebnissen identifizieren und sich dadurch öffnen.» Und wo Worte nicht reichen, kommt oft der vierbeinige Therapeut ins Spiel; er schafft einen zusätzlichen Zugang zu den Klienten.
«Die Nähe zu einem Tier löst andere Reaktionen aus als Gespräche mit einem Menschen», sagt Wenger. Yaris sei extrem «gspürig» für die Emotionen anderer Menschen – und spiegle diese auch.
Als Beispiel nennt Wenger einen Spaziergang mit dem Hund und einer von ADHS betroffenen Person. «Ist sie sehr nervös und hibbelig, legt auch Yaris ein unruhiges und nervöses Verhalten an den Tag. Weise ich die Person auf die Spiegelung hin, hilft das oft, dass sie sich selbst reflektiert und erden kann.»
Weiter hilft Yaris auch, dass Menschen ihre Angst vor Hunden ablegen können – ob im Kindes- oder Erwachsenenalter. Und er zeigt dabei eine «enorme Geduld», wie sein Herrchen sagt. «Bei Schulbesuchen ist er für einige Stunden von 24 Kindern umgeben. Sie sind laut, wuseln herum, schmusen mit ihm teilweise unkontrolliert – und er bleibt völlig entspannt.»
Und doch weiss Daniel Wenger, dass die vielen Interaktionen für Yaris anstrengend sind. Deshalb ist er sehr darauf bedacht, auf Zeichen von Müdigkeit zu reagieren. «Yaris entfernt sich dann einige Meter vom Geschehen und legt sich hin. Das muss respektiert werden.»
In drei Tagen um den Finger gewickelt
Derzeit sind Daniel Wenger und Yaris mit einem 60-Prozent-Pensum für eine Stiftung in Bülach tätig. Dort führen sie regelmässig Sitzungen mit Menschen durch, die an psychischen Erkrankungen leiden.
Wenger betreut aber auch als selbständiger Peer Personen mit psychischen Krankheiten, deren Angehörige oder Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Yaris ist stets mit dabei – und wenn er nicht gerade arbeitet, geniesst er sein Dasein als Familienhund. «Zuerst war meine Frau nicht begeistert, einen Welpen ins Haus zu holen. Drei Tage dauerte es, da war sie ihm verfallen», erzählt er und lacht.
Dass er je im sozialen Bereich tätig sein wird, konnte sich Daniel Wenger vor seinem Schicksalsschlag vor sieben Jahren nicht ausmalen. Heute kann er sich nichts anderes mehr vorstellen. «Diese Arbeit zusammen mit Yaris, das bin einfach ich.»
Mehr Informationen zu Daniel Wenger und seiner Arbeit sind auf seiner Homepage zu finden.