«Ben kauft heute Spirituosen, Yannick besorgt Zigaretten und Bier», lauten die Anweisungen von Mathias Riedel. Hört sich an wie die Aufgabenverteilung in einer Jugendgang. Der Hintergrund ist aber ein ganz anderer: Riedel ist Mitarbeiter des Blauen Kreuzes in Zürich und organisiert regelmässig Alkohol- und Tabaktestkäufe mit Jugendlichen. Damit soll überprüft werden, ob sich das Verkaufs- und Gastropersonal daran hält, Alkohol und Tabak erst ab dem zugelassenen Mindestalter zu verkaufen.
Im Hintergrund und an der Front aktiv
Mathias Riedel kümmert sich um die administrativen Abläufe und um die Einsatzplanung der jugendlichen Test- sowie der erwachsenen Begleitpersonen. Das macht er zwar von seinem Schreibtisch im Zürcher Büro aus. Doch immer mal wieder ist er auch selbst unterwegs und begleitet die jungen Käufer.
So wie heute. Wir sitzen zu viert im Firmenauto des Blauen Kreuzes. Das notabene nicht beschriftet ist. Der 15-jährige Ben* und der 14-jährige Yannick* haben es sich auf der Rückbank bequem gemacht. Sie nehmen die letzten Anweisungen von Mathias Riedel entgegen, bevor sie ihre Tour starten.
Sie wissen genau, welche Produkte sie heute anpeilen. Ein kurzer Kontrollblick ins Portemonnaie bestätigt den Jugendlichen, dass sie Ausweis und Bargeld dabei haben. «Die Grundvoraussetzung, damit sie die Produkte gegebenenfalls bezahlen oder sich ausweisen können», erklärt Riedel. Dann ziehen die beiden los. Ihr erstes Ziel ist ein Tankstellenshop im Zentrum von Volketswil.
Cool und entspannt
Die Erwachsenen bleiben im Auto sitzen, damit die Tarnung nicht auffliegt. Nach kurzer Zeit sind die Teenager zurück im Auto – mit leeren Händen. Sie rapportieren ihren Testkauf, während Mathias Riedel alles in seinen Laptop eintippt. «Apfelwein und ein Päckchen Parisienne», gibt Yannick zu Protokoll. «Die Verkäuferin fragte mich nach einem Ausweis, nicht nach meinem Alter.» Auch Ben wurde nach seinem Ausweis gefragt, als er mit einer Flasche Wodka-Mischgetränk zur Kasse ging.
Ausweis verlangen oder nach dem Alter fragen?
Wenn sich ein Verkäufer nicht sicher ist, ob der Käufer das entsprechende Mindestalter für Alkohol oder Tabak erreicht hat, fragt er idealerweise direkt nach einem Ausweis. So muss der Verkäufer die – möglicherweise falsche – Antwort auf die Frage nach dem Alter nicht anzweifeln.
Die beiden Jungen scheinen routiniert, vor allem Ben, der Ältere, wirkt cool und entspannt. «Meine ältere Schwester war auch schon Testperson, durch sie kam ich zu diesem Nebenjob», erzählt er. Yannick, der in seiner Freizeit gerne an Töffli herumschraubt, wurde von seiner Mutter auf die Testkäufe aufmerksam gemacht. «Bei meinen ersten Einsätzen war ich sehr aufgeregt», erzählt er. «Ich fand die Dinge nicht, die ich kaufen sollte, ich hatte null Ahnung davon.»
Lob für Mitarbeiterinnen
Die beiden haben eine Verschnaufpause im Auto. Sie dient auch zu ihrem eigenen Schutz, dass sie nicht ins weitere Prozedere einbezogen werden. Währenddessen begeben wir Erwachsenen uns in den Shop, um den Testkauf aufzulösen.
Mathias Riedel weist sich bei den beiden Shop-Mitarbeiterinnen aus. «Sie haben vorbildlich reagiert», lobt er die beiden, nachdem er erklärt hat, dass es sich um eine geplante Überprüfung gehandelt hat. Die jungen Frauen strahlen. «Mir ist gleich aufgefallen, dass sein Gesicht noch etwas zu jung wirkt», erklärt eine von ihnen, «in einem solchen Fall frage ich lieber einmal mehr nach einem Ausweis.»
Oft ist die Polizei dabei
Auftraggeber für Alkohol- und Tabaktestkäufe sind Gemeinden. Sie entscheiden, welche Shops, Zentren und Restaurants auf welche Produkte überprüft werden sollen. «Und sie entscheiden auch, ob wir uns direkt nach den Testkäufen zu erkennen geben sollen oder nicht», so Riedel.
Konnten die Jugendlichen Genussmittel kaufen, komme es gelegentlich zu Diskussionen mit dem fehlbaren Verkaufspersonal. «In vielen Gemeinden begleitet uns deshalb die Kommunalpolizei», erklärt Riedel. In der Stadt Zürich führe die Polizei die Testkäufe gar eigenständig durch und «borge» sich lediglich die jugendlichen Testpersonen beim Blauen Kreuz.
Wie wird man Testkäufer?
Das Blaue Kreuz hat ein Netzwerk von freiwilligen Testkäuferinnen und Testkäufern. Alle Jugendlichen unter 18 Jahren können sich bei Interesse melden. Die Käufe werden an Mittwochnachmittagen, Freitagabenden oder an Samstagen durchgeführt. Die Jugendlichen erhalten für ihren Einsatz einen Stundenlohn.
Auch die meisten der Begleitpersonen sind Freiwillige, von Studenten bis zu Senioren. Auch einige Berufstätige würden sich in ihrer Freizeit engagieren. Die Begleitpersonen werden ebenfalls mit einem kleinen Entgelt entschädigt.
«Sowohl die Jugendlichen als auch die erwachsenen Begleitpersonen erhalten vorgängig eine Schulung durch das Blaue Kreuz», erklärt Mathias Riedel. So wissen sie, wie sie situativ richtig reagieren können.
Mit dem Auto geht es indes weiter zu einem weiteren Tankstellenshop in Hegnau. Auch hier werden Wodka-Mischgetränk, Bier und Zigaretten an der Kasse eingezogen.
Die vorbildliche Verkäuferin findet es zwar positiv, dass solche Testkäufe durchgeführt werden. «Ich beobachte allerdings häufig, dass junge Erwachsene Alkohol oder Tabakwaren kaufen und draussen vor dem Shop an Jugendliche weitergeben.» Sie habe die betroffenen Leute auch schon darauf angesprochen, sei dafür aber angepöbelt worden.
«Leider können wir nicht alles verhindern», bestätigt Mathias Riedel. Er erzählt von zwei weiblichen Jugendlichen, die beim Testkauf den Wodka an der Kasse stehen lassen mussten. «Ein anderer Konsument, der in der Schlange hinter ihnen stand, kaufte kurzerhand die Flasche und gab sie draussen den Mädchen weiter.» Riedel hatte ihn dann zur Rede gestellt und den Wodka zurückgegeben.
In einem grossen Supermarkt in Zimikon stellen sich Ben und Yannick extra an zwei verschiedenen Kassen an. Doch auch hier wird ihr Kaufvorhaben nach der Frage nach dem Ausweis jäh unterbrochen. Trotz der Hektik mitten im Samstagsgetümmel haben sich die Verkäuferinnen die Zeit dafür genommen.
In die Falle getappt
Um den Betrieb nicht aufzuhalten, wendet sich Mathias Riedel mit seiner Manöverkritik an den Filialleiter, der das Lob an seine zwei Mitarbeiterinnen weiterleiten wird. «Es ist wichtig, dass wir unseren Job gewissenhaft machen und die jüngere Generation schützen», sagt der Filialleiter. Deshalb begrüsse er die Testkäufe, die in Volketswil bereits mehrfach durchgeführt worden seien.
«Gerade vor etwa zwei Wochen hatten wir eine betriebsinterne Schulung», antwortet er auf Riedels Frage nach regelmässigen Weiterbildungen zum Thema Jugendschutz.
Dass sich dies bezahlt macht, zeigt auch ein weiteres Beispiel in einem Tankstellenshop am Rand von Volketswil. «Beim letzten Testkauf vor einem Jahr bin ich in die Falle getappt», erzählt die Verkäuferin, «das war mir eine Lehre.» Heute hat sie korrekt gehandelt – so, wie an diesem Tag alle getesteten Personen in Volketswil.
Nicht immer verlaufen die Testkäufe so positiv für die Verkaufsstellen. Im Jahr 2023 führte das Blaue Kreuz Zürich über 2200 Testkäufe durch. Die Verkaufsquote – also wie viel unerlaubt an minderjährige Jugendliche verkauft wurde – lag beim Alkohol bei 15 Prozent, bei den Spirituosen wurden sogar in 21 von 100 Fällen Artikel unerlaubt verkauft. Beim Tabak lag die Quote bei 9 Prozent. Die Verkaufsquoten schwanken von Jahr zu Jahr, so lagen sie 2022 bei 21 Prozent (Alkohol), 29 Prozent (Spirituosen) und 15 Prozent (Tabak).