Gekonnt lenkt Christine Adda ihren Bus auf einen Parkplatz im Gfenn. Der Motor verstummt, auf Knopfdruck öffnen sich die Türen. Ein paar Leute steigen ein und verlassen das Fahrzeug kurz darauf an gleicher Stelle wieder, um den Nachhauseweg anzutreten.
In besagtem Bus – Öki-Bus genannt – fahren keine Pendler mit. Sondern Mulden, mit Spannset befestigt und gefüllt mit Glas, Elektroschrott oder Bauschutt. Aber auch Kisten voller Bücher, Säcke mit Alu-Dosen und mit Karton gefüllte Tüten.
Der Öki-Bus ist die mobile Recyclingstation der Stadt Dübendorf. Von Montag bis Donnerstag fährt sie verschiedene Dübendorfer Quartiere an, damit Anwohnende ihre Wertstoffe entsorgen können. Ein Angebot, das es mittlerweile seit 20 Jahren gibt – und etwa genauso lange sitzt Christine Adda schon am Steuer.
«Ich habe 2004 nach einem neuen Job gesucht, die Anzeige für diese Stelle gesehen und keine Ahnung gehabt, worum es genau geht. Beworben habe ich mich trotzdem – und hier bin ich jetzt», sagt die 60-Jährige und lacht.
20 Minuten für Recycling und Kaffee
Drei von vier Touren pro Woche fährt sie selbst, in einem abwechselnden Turnus. Die vierte übernehmen jeweils andere Mitarbeitende. Dies ist auch dann der Fall, wenn Christine Adda in den Ferien ist oder einmal ausfallen sollte.
20 Minuten stand der Bus im Gfenn, jetzt setzt sich die Zürcher Unterländerin zurück ans Steuer; der Öki-Bus muss weiter. Zehn Minuten hat Adda, um von Haltestelle zu Haltestelle zu fahren. An jeder bleibt sie 20 Minuten stehen. Genügend Zeit für die Anwohnenden, zu entsorgen – und um der Busfahrerin einen Kaffee zu offerieren.
Dankend nimmt Christine Adda die dampfende Tasse von einer Anwohnerin entgegen. «Ich werde ziemlich oft verwöhnt, vor allem mit Kaffee und Kuchen», sagt die Chauffeuse mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Christine Adda hat ein grosses Herz. Das merkt man ihr im Umgang mit den Kundinnen und Kunden an. Sie nimmt sich Zeit, Fragen zu beantworten, hilft Material zu sortieren und lässt sich gerne in Gespräche verwickeln.
Sie kennt viele Menschen persönlich, hat einige von ihnen aufwachsen sehen. «Damals waren sie drei Jahre alt und begleiteten ihre Eltern zum Bus, heute sind sie 23 und entsorgen selbst.»
Oft wird ihr auch Privates zugetragen. «Schöne Dinge, aber manchmal auch harte Schicksalsschläge. Das geht mir schon nahe.»
Scheppernde Dosen und klirrendes Glas
Für die Leute sei die Tour des Busses weitaus mehr als nur eine Möglichkeit, Abfall abzugeben, ist sich Adda sicher. «Ich bin quasi der fahrende Dorfbrunnen.»
So seien die Quartierbewohnenden schon kurz vor ihrer Ankunft in Gespräche verwickelt und führten sie nach der Abfahrt weiter. «Der Öki-Bus schafft Raum für Austausch und Kennenlernen. Das gefällt mir sehr.»
Ein Blick auf die Uhr, ein Nicken – Zeit, weiterzufahren. Je länger der Bus unterwegs ist, desto mehr klirrt und scheppert es in den Mulden. Etwas, das Christine Adda nicht so mag. «Ich achte darauf, dass Glasflaschen stehen. Es macht mich wahnsinnig, wenn diese die ganze Zeit herumrollen», gibt sie mit einem entschuldigenden Lachen zu.
Wenn es die Zeit zulässt, sorgt sie noch während ihrer Tour für Ordnung im Bus. «Ich versuche, laufend aufzuräumen. So ist der Aufwand am Ende kleiner.»
Das sei aber längst nicht immer möglich: «Nach den Feiertagen ist beispielsweise einiges mehr los als an einem normalen Dienstag. Da komme ich kaum dazu, während der Touren Ordnung zu machen.»
Kartonbeschränkung wegen Zalando und Co.
In den 20 Jahren, in denen Christine Adda schon mit der mobilen Recyclingstation unterwegs ist, hat sich vieles verändert. Zum Beispiel, was die Abgabe von Karton angeht. «Als Zalando und andere Versandhäuser aufkamen, nahm die Kartonmenge stark zu. Es gab Zeiten, da war der Bus bis zur Hälfte nur mit Schachteln gefüllt. Dem mussten wir einen Riegel schieben.»
Seither ist die Abgabemenge auf eine mit Karton gefüllte Papiertüte pro Person beschränkt. Grössere Mengen müssen entweder während der Kartonsammlung oder direkt an der Hauptsammelstelle entsorgt werden. «Zu Beginn gab es einen Aufstand deswegen. Mittlerweile haben sich die meisten daran gewöhnt.»
Christine Adda kann einiges aus der entsorgten Ware lesen, wie sie sagt. «Anhand der Menge und Art von Getränkeflaschen und -dosen weiss ich zum Beispiel, dass gerade eine Fussballmeisterschaft läuft.» Auch Aktionen im Grosshandel würden sich im Entsorgungsverhalten der Leute spiegeln. «Sind Pfannen stark vergünstigt im Angebot, werden plötzlich mehr alte entsorgt.»
Umgeben von Teddys und schönen Geschichten
Der Öki-Bus ist längst mehr als nur ein Arbeitsplatz für Christine Adda. Das zeigt sich in der Liebe zur Einrichtung: Über dem Fahrersitz sind Teddybären eingeklemmt, direkt neben dem Steuer ist ein Entlein festgeklebt. Ihr Goldstück befindet sich aber direkt hinter ihrem Sitz: «Meine kleine Bibliothek.»
Denn anders als auf der Sammelstelle, wo nichts mitgenommen werden darf, kann die Kundschaft im Öki-Bus durch Bücher und vereinzelt auch Spielsachen stöbern und ausgewählte Stücke nach Hause nehmen.
Schon wieder sind 20 Minuten vorbei. Christine Adda steigt ein und lässt sich auf den Fahrersitz sinken. Kaum ist sie angeschnallt, schnurrt auch schon der Motor. Der Öki-Bus steuert die nächsten Stationen an, die Mulden füllen sich.
Über Mittag pausiert die mobile Recyclingstation. Die Mulden werden geleert, bevor sich Christine Adda dann auf die zweite Tour des Tages macht – und mit dem Öki-Bus nicht nur Abfälle sammelt, sondern auch schöne Geschichten, traurige Erzählungen und frischen Kaffee entgegennehmen darf.
Route des Öki-Busses
Der Öki-Bus ist von Montag bis Donnerstag in verschiedenen Quartieren und Weilern Dübendorfs unterwegs. Die genauen Haltestellen und Routen sind auf der Website der Stadt Dübendorf einsehbar. (tas)