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Eine Frau und ein Kind schauen auf einen Laptopbildschirm.

Im Schulhaus Högler findet einmal pro Woche die Begabtenklasse statt. Lehrerin Katharina Gasser-Bulleri setzt mit den Schülern die Projektziele fest und stellt die nötigen Hilfsmittel bereit. Foto: Simon Grässle

Begabte Schüler in Dübendorf

Wenn Programmieren zum Kinderspiel wird

Werden begabte Schüler nicht gefördert, kann das zum Problem werden. Ein Besuch in einer Begabtenklasse in Dübendorf zeigt, woran die Kinder arbeiten, wenn man sie lässt.

Im Schulhaus Högler findet einmal pro Woche die Begabtenklasse statt. Lehrerin Katharina Gasser-Bulleri setzt mit den Schülern die Projektziele fest und stellt die nötigen Hilfsmittel bereit. Foto: Simon Grässle

Veröffentlicht am: 03.05.2024 – 06.37 Uhr

An diesem Montagmorgen findet im Zimmer A5 im Schulhaus Högler kein regulärer Unterricht statt. Vier Lektionen sind für die Begabtenförderung reserviert. Im Klassenzimmer herrscht höchste Konzentration. Fünf Schülerinnen und Schüler sind anwesend. Sie sind neun oder zehn Jahre alt und besuchen die 4. Klasse in den Schulhäusern Stägenbuck, Birchlen und Högler.

Und dann ist da noch Katharina Gasser-Bulleri, seit 15 Jahren Fachperson für Begabungs- und Begabtenförderung in Dübendorf. Sie sagt: «Ist ein Kind kognitiv begabt, bedeutet das, dass seine Fähigkeit in gewissen Bereichen über dem Niveau des normalen Regelunterrichts steht und nicht ausschliesslich durch intensives Üben entstanden ist.»

Begabte seien beispielsweise im Schulstoff schon wesentlich weiter als ihre Mitschüler. «Sie sind in einem Bereich speziell begabt oder fallen teilweise auch durch eine hohe kreative Leistungsfähigkeit auf», sagt Gasser-Bulleri.

Dies könne auch zu einem Problem werden. «Wird eine Begabung nicht erkannt, führt dies zu Demotivation oder kann sich bis zur Depression weiterentwickeln.» Es gebe aber auch durchaus Schüler, die ihre Begabungen nicht zeigten – sogenannte Minderleister. Diese Schüler arbeiten unter ihren Fähigkeiten und haben keine Lust auf Schule. In so einem Fall müsse man genau hinschauen.

Programmiersprache als Hobby

Alles andere als demotiviert ist das neunjährige Mädchen mit pinkem Pullover und schwarzen Ponyfransen, das im Schulzimmer konzentriert vor seinem Laptop sitzt. Es widmet sich der Programmiersprache Java-Script, die es sich selber beigebracht hat.

Die Schülerin fährt mit dem Cursor durch ihre Sammlung. «Die Games habe ich alle selbst programmiert», sagt sie – und klickt mit strahlendem Gesicht eines an: «In diesem Spiel muss der Bauer seine Schafe einfangen und gleichzeitig den Gefahren ausweichen.» Wenn die Viertklässlerin über Variablen und andere Fachbegriffe spricht, klingt es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

«Ein bisschen nervös»

Am Pult daneben sitzt ein Junge, dem die kinnlangen Haare lässig ins Gesicht fallen. Kürzlich war er zu Besuch bei seiner Grossmutter an der Ostsee und hat dabei per Zufall das Orgelspiel entdeckt. Seitdem beschäftigt er sich mit dem Instrument.

«Weisst du, wie gross die kleinste Orgelpfeife ist?», fragt er – und gibt die Antwort gleich selber: «Nur drei Zentimeter.» Zum Abschluss seiner Projektarbeit wird er ein Konzert in der Kirche Wil abhalten. «Ein bisschen nervös bin ich schon», gesteht er, während er geschäftig in seinem grossen Orgelbuch blättert.

Ein Kind sitzt an einem Pult und schreibt.
Hier entsteht gerade eine kreative Geschichte. Den Titel weiss die kleine Autorin auch schon: «Roberta die lustige Oktopus Oma». Foto: Simon Grässle

Einen Tisch weiter entsteht ebenfalls etwas Kreatives: eine Kindergeschichte mit dem Titel «Roberta die lustige Oktopus Oma». Was das Wesen mit den vielen Tentakeln alles kann, weiss die Schülerin noch nicht. Sie habe erst ein paar Zeilen geschrieben, erklärt sie. Eines steht aber schon fest: «Die Oktopus-Oma hat eine Million Enkelkinder.» Und schon beugt sich die Jungautorin wieder über das Schulheft und versinkt in ihren Gedanken.

Die Fussstapfen der Mutter

Der Nachwuchsforscher in der Klasse will in die Fussstapfen seiner Mutter treten. Sie sei Wissenschaftlerin und nehme bei ihrer Arbeit viele Wasserproben, erklärt er. Aktuell erstellt er ein Referat zum Thema Wasser beziehungsweise zur Wasserverschmutzung und darüber, welche Tiere darunter leiden. Die Power-Point-Präsentation möchte er seiner Mutter zeigen.

Sein Klassenkamerad forscht ebenfalls gerne – aber zu den alten Römern. Auf einem Blatt Papier hat er die wichtigsten Eckpunkte seiner Arbeit hingekritzelt: «Römisches Heer», «Schule» oder «Architektur» steht da. Dass er in der 4. Klasse noch gar keinen Geschichtsunterricht hat, hindert ihn nicht daran, seiner Leidenschaft zu frönen und ein komplexes Geschichtsdossier zu erstellen.

Ist essen Freiheit?

Nach der individuellen Projektarbeit ruft Katharina Gasser-Bulleri im zweiten Teil des Vormittags die Schülerinnen und Schüler zu einer philosophischen Diskussion zusammen. Jedes der Kinder schnappt sich ein Kissen und setzt sich im Kreis auf den Boden. «Was ist Freiheit?», fragt die Lehrerin in die Runde. «Ein subjektives Gefühl», ist die schnellste Antwort. Gasser-Bulleri hakt nach: «Weiss jeder, was das ist?» Alle nicken.

Kinder und eine Lehrerin sitzen im Kreis auf dem Boden eines Klassenzimmers.
In der Begabtenklasse nehmen sich die Schüler Zeit für Philosophie. Das Thema Freiheit wird rege diskutiert. Foto: Simon Grässle

Die Wortmeldungen, die folgen, fallen unterschiedlich aus. Die einen fühlen sich nur in der Pause frei, andere bezeichnen den Schulunterricht als Privileg und als Freiheit. Und es gibt auch grundlegende Kritik: «Es macht keinen Sinn, acht Stunden im Unterricht zu hocken – das ist keine Freiheit für mich.»

Oder: «Für mich ist Freiheit, wenn ich essen kann, wann ich will, was ich will, wo ich will und wie lange ich will», sagt ein Schüler und übt Kritik an der täglichen Anwesenheitspflicht. Allgemeines Lachen in der Gruppe. Ob da wohl nur ein Magen geknurrt hat?

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