An seine erste Begegnung mit Eric erinnert sich Alex Wortman noch gut: Vor anderthalb Jahren traf er den damals einjährigen Jungen und durfte ihn im Kinderwagen spazieren fahren. «Die Chemie hat sofort gestimmt; Eric war und ist ein aufgeweckter und glücklicher Knabe», sagt der 64-Jährige. Er sitzt zusammen mit Eric und dessen Mutter Enrica, die ihren vollständigen Namen nicht nennen will, in deren Stube in Pfaffhausen.
Es ist Mittwochnachmittag, wie jede Woche holt Alex Wortman Eric für einen rund dreistündigen Ausflug ab. Eric, ein Einzelkind, ist zwar erst knapp zweieinhalb Jahre alt, hat aber schon viel durchgemacht: Er kam mit einer Fehlbildung der Speiseröhre auf die Welt und wurde schon mehr als 25-mal operiert. Wie oft, das habe sie schlicht aufgehört zu zählen, sagt die 40-jährige Mutter.
Sie erinnert sich an die anstrengenden Anfangszeiten: «Es war sehr belastend. Eric und ich mussten so viel Zeit im Krankenhaus verbringen, dass ich meinen Job in der IT im Bankenbereich aufgeben musste.»
Unterstützung durch Familie nur bedingt möglich
Ihr Mann ist zu 100 Prozent berufstätig und konnte sie nur begrenzt entlasten; ihre Familie – das Ehepaar ist vor elf Jahren berufshalber in die Schweiz gekommen – lebt in Italien, was die Unterstützungsmöglichkeiten weiter einschränkte.
Im Spital wurde die Mutter auf Pro Pallium aufmerksam. Die Schweizer Palliativstiftung organisiert Freiwilligeneinsätze für schwerstkranke Kinder und junge Erwachsene und hat zum Ziel, betroffenen Familien psychosoziale Entlastung zu bieten (siehe Box). Die Wartezeiten auf einen Freiwilligen sind lang. Fast ein Jahr musste Enrica warten, bevor Alex Wortman sie und Eric unterstützen konnte.
Etwas Sinnvolles machen
Alex Wortman selbst arbeitet in der IT einer Bank, ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und lebt in Nänikon. «Ich werde bald in Rente gehen und habe mich im Internet informiert, wie ich mich sinnvoll engagieren kann. So bin ich auf Pro Pallium gestossen.»
Seit drei Jahren ist er bereits für die Stiftung im Einsatz und hat schon zwei Familien unterstützt. «Daraus sind Freundschaften entstanden. Ein Jugendlicher, den ich ein Jahr lang nach einer Krebserkrankung begleitet habe, schickt mir heute noch Fotos, und es ist toll zu sehen, dass es ihm so gut geht.»
Um für Pro Pallium tätig zu werden, musste Alex Wortman ein Leumundszeugnis vorlegen und eine Basisschulung durchlaufen, die spezifische Inhalte der pädiatrischen Palliativpflege vermittelte.
Spannender Trubel am Hauptbahnhof
Alex Wortman zieht die Schuhe an und macht sich bereit: Wie üblich fährt er mit Eric an den Zürcher Hauptbahnhof, weil der Junge vom lebhaften Trubel dort begeistert ist. Der Freiwillige geniesst die Zeit mit Eric und beobachtet gerne dessen Entwicklung. «Man merkt, dass er bald zu sprechen anfängt», sagt er lachend.
Die Tatsache, dass im Moment auch das Wechseln der Windeln und Trotzphasen dazugehören, nimmt er gelassen: «Wie man Windeln wechselt, weiss ich noch aus der Zeit, als meine eigenen Kinder klein waren. In Trotzmomenten muss ich Eric nicht erziehen, sondern kann einfach Zeit mit ihm verbringen.»
Warum er diese nicht einfache Aufgabe übernimmt? Diese Frage wird Alex Wortman oft gestellt. Er betont, dass sein Engagement nichts ist, mit dem er sich brüstet, sondern dass es ihm darum geht, zu helfen. Die schwierige Thematik könne er dank der Basisschulung auffangen.
Zudem hatte er in seinem ursprünglich erlernten Beruf als Röntgenassistent schon Kontakt mit kranken Menschen. «Meine eigenen Kinder sind zum Glück gesund – da möchte ich etwas zurückgeben.»
Auf gutem Weg
In diesem Moment hat Eric genug vom Stillsitzen – es ist definitiv Zeit, dass Alex mit ihm nach draussen geht. Enrica wird sich in dieser Zeit im Homeoffice um ihre Arbeit kümmern; seit Kurzem arbeitet sie wieder in einem kleinen Pensum und ist froh, dass Eric auf dem Weg zur Besserung ist.
Obwohl noch viele Operationen bevorstehen, kann er eine Kita besuchen und das Leben eines normalen Kleinkinds führen – genau das, was sie sich immer für ihn gewünscht hat.
Freiwilligenarbeit mit vielen Facetten
Pro Pallium sieht sich als Drehscheibe für die pädiatrische palliative Care. Die Stiftung mit Sitz in Olten wurde 2005 gegründet und ist in vielen Regionen der Deutschschweiz aktiv. Die Mission von Pro Pallium besteht darin, Familien mit schwerstkranken Kindern bestmöglich zu unterstützen, zu entlasten und zu vernetzen. Freiwillige helfen betroffenen Familien, indem sie die Eltern entlasten, beim Ausfüllen von Formularen helfen oder einkaufen gehen – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Die Stiftung ist rein spendenfinanziert und darum auf Freiwillige angewiesen.