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Kinderbuchautorin Joel Kobi und Tochter Sia Kobi.

Kinderbuchautorin Joel Kobi und Tochter Sia, die hier nicht erkannt werden möchte, mit ihrem Buch «Nia im Regenbogenland». Foto: Seraina Boner

Kinderbuchautorin erlebte Rassismus

«Das Haus zu verlassen, hat mir Angst gemacht»

Das Kinderbuch «Nia im Regenbogenland» thematisiert Rassismus und Mobbing. Die Dübendorfer Autorin Joel Kobi hat diese Pein am eigenen Leib erfahren.

Kinderbuchautorin Joel Kobi und Tochter Sia, die hier nicht erkannt werden möchte, mit ihrem Buch «Nia im Regenbogenland». Foto: Seraina Boner

Veröffentlicht am: 03.10.2023 – 08.34 Uhr

Joel Kobi, die Geschichte in Ihrem Buch handelt von Nia, die wegen ihrer Hautfarbe gemobbt wird. Ist Nia eine real existierende Person?

Joel Kobi: Das bin ich vor über 30 Jahren. Mit knapp einem Jahr hat mich ein Ehepaar aus dem Zürcher Oberland aus einem Kinderheim in Indien adoptiert. Vom Kindergarten bis Ende Primarschule hatte ich eine sehr schwierige Zeit. Einige Kinder haben mich wegen meiner Hautfarbe beschimpft, manchmal auch geschlagen und andere gegen mich aufgehetzt. Es passierte nicht jeden Tag – aber ich war immer in Alarmbereitschaft. Das Haus zu verlassen, hat mir Angst gemacht – ich wäre lieber im geschützten Rahmen geblieben.

Im Buch hat ein Lehrer Nia gerettet. Wer hat Sie in der Realität gerettet?

Niemand konkret. Den helfenden Lehrer gibts nur in der Geschichte. Da ich damals sehr schüchtern war, habe ich mich nie getraut, über meine Probleme zu sprechen – auch nicht mit meinen Eltern. Das Gymnasium war dann die Erlösung. Dort bin ich aufgeblüht, denn da hat das Mobbing aufgehört. Was aber geblieben ist, sind die jahrelangen Selbstzweifel als Folge vom Mobbing. So dachte ich sehr lange, dass ich wegen meiner Hautfarbe hässlich wäre.

Warum haben Sie über 30 Jahre damit gewartet, Ihre Geschichte zu erzählen?

Im letzten Jahr habe ich ein Burn-out erlitten infolge von Long Covid. In der Zeit, als plötzlich alles kopfstand und ich mein Leben von Grund auf nochmals neu anpacken musste, entstand plötzlich Raum für Kreativität. So habe ich den Entschluss gefasst, auf meine Weise etwas gegen Rassismus zu unternehmen, und zwar in Buchform. Es brauchte nur noch den richtigen Anstupser – den hat mir dann mein ehemaliger Vorgesetzter gegeben. Er ermunterte mich, ein Kinderbuch zu schreiben.

Ist das Buch eine Abrechnung mit Ihren Schulhof-Peinigern?

Nein. Trotz publiziertem Kinderbuch fühle ich mich eigentlich nicht anders als vorher. Klar, jetzt freue ich mich sehr über das Buch. Es ist aber keine Geschichte, die Vergeltung will, sie musste einfach geschrieben werden. Mir ist wichtig, dass die Menschen sich bewusst werden, was Rassismus oder Mobbing tatsächlich auslösen können. Insgesamt geht es in meinem Kinderbuch um jede Art der Ausgrenzung von Andersartigkeit, die nicht passieren darf.

Aber wenn Sie die Kinder aus Ihrer Primarschulzeit heute treffen würden, was würden Sie ihnen sagen?

Ich würde ihnen eher die Frage stellen, warum sie mich so behandelt haben. Ich glaube aber nicht, dass sie eine Antwort darauf hätten. Rückblickend frage ich mich, ob eine bessere Aufklärung im Schulunterricht meine Kindheit leichter gemacht hätte.

Und Sie erhoffen sich, dass Ihr Buch künftig Teil des Unterrichts wird?

Genau, mir geht es nicht in erster Linie darum, mit meinem Kinderbuch Umsatz zu erzielen. Vielmehr wünsche ich mir, dass die Geschichte im Schulunterricht besprochen wird. Wenn die Thematik der Andersartigkeit schon nicht in der Erziehung thematisiert wird, sollte sie zumindest in der Schule aufgegriffen werden. Leider ist das Thema Rassismus noch kein Bestandteil des heutigen Lehrplans, aber vielleicht greifen es einige Schulen mithilfe meines Buchs auf.

Sie möchten also ein Stück weit die Welt retten?

Natürlich. Und ich weiss auch, dass ich das nicht kann. Wobei ich mich nicht als Retterin sehe. Mir geht es darum, dass vermehrt über Tabuthemen gesprochen wird. Vielleicht bleibt so das eine oder andere Kind von Mobbing verschont. Das Buch ist zudem bewusst zweisprachig aufgegleist, eine Seite in Deutsch und die Folgeseite in Englisch. So kann ich allenfalls auch Bildungseinrichtungen in England und Amerika auf mein Buch aufmerksam machen.

Welche Rolle spielt Ihre Tochter Sia im Kinderbuch?

Der Name der Protagonistin Nia stammt von meiner Tochter Sia. Es war das erste Wort, das Sia gesprochen hat. Ihr habe ich das Buch auch gewidmet. Zudem sind alle Illustrationen von Sia gezeichnet.

Geöffnetes Buch
Szene aus dem Kinderbuch «Nia im Regenbogenland». Alle Illustrationen wurden von Joel Kobis Tochter Sia gezeichnet. Foto: Seraina Boner

«Nia im Regenbogenland»

Das Kinderbuch «Nia im Regenbogenland» handelt von der achtjährigen Nia. Sie wird in der Pause von ihren Mitschülern in die Ecke gedrängt, beschimpft, sogar geschlagen. Nia träumt von einem Regenbogenland, wo alle gleich und nett zueinander sind. Im Buch wird ein Lehrer auf Nias Problem aufmerksam und hilft ihr.
Joel Kobi wurde 1982 in Indien geboren und 1983 von einem Schweizer Ehepaar adoptiert. Sie lebt seit 2017 in Dübendorf und hat mit ihrem Partner eine gemeinsame Tochter. «Nia im Regenbogenland» ist ihr Debütwerk, hat 55 Seiten und kann in jedem grösseren Buchhandel oder unter www.sammelsurium.me gekauft werden.

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