Noch sprechen andere oben auf der Bühne im Dübendorfer Innovationspark. Das Mikrofon liegt jedoch bereit in Gian-Leo Willis Hand. Der Student wirkt entspannt, strahlt erwartungsvolle Zuversicht aus, obschon die Nacht vor diesem Anlass noch kürzer war als die meisten zuvor.
Eben haben zwei Teamkolleginnen das rote Samttuch beiseitegezogen und das wohl fortschrittlichste Solarauto der Schweiz enthüllt. Applaus brandet auf. Er gilt auch Gian-Leo Willi. Ist es doch in weiten Teilen auch sein Werk, das bald Tausende Kilometer durch eines der rauesten Wüstenterrains der Welt fahren wird.
Hightech-Reparatur mit Inbusschlüssel
Aber daran denkt Gian-Leo Willi noch nicht, als er vor das Publikum im vollen Hangar auf dem Flugplatz Dübendorf tritt. Sponsoren, Presse, ein grosses Fachpublikum und das rund 40-köpfige Team richten die Augen auf den «Repair Crew Leader», wie die im Solarauto-Team offizielle Bezeichnung für Gian-Leo Willis Aufgabe lautet.
Man könnte die Position vielleicht auch Q nennen – nach dem Tüftler aus den Bond-Filmen, aber das geht dem bescheiden auftretenden Willi etwas zu weit: «Q arbeitet ja meist als Einzelperson, wohingegen wir immer im Team zusammenwirken.»
Dennoch, wenige wissen derart darüber Bescheid, wo welches Teil in dem hochkomplexen Gefährt seinen Platz hat. Und wie man es in der Hitze des Rennens, während eines Boxenstopps oder am Abend, wenn das Rennen ruhen wird, schnell ersetzen oder reparieren könnte. «Erstaunlicherweise wird dafür wahrscheinlich oft ein Inbusschlüssel der Grösse 5 und ein Gabelmaulschlüssel mit Grösse 10 reichen», sagt der junge ETH-Student lachend.
Ein Entscheid für das Ungewisse
Während Willi an diesem Freitagnachmittag auf der Bühne referiert, sitzen andere angehende Ingenieure wohl an Prüfungsvorbereitungen. Für ein solches «Regel-Curriculum» hätte auch bei Willi nicht viel gefehlt. Im Sommer 2022 musste er sich entscheiden. Vollzeitstudium und damit ein schneller Abschluss oder das Abenteuer des Solarrennens?
Die Erfolgsaussichten für Letzteres: ungewiss. Rückgriff auf bisherige Erfahrungen: keine. Denn die so renommierte ETH Zürich war bisher nicht unter den Universitäten, die sich der Herausforderung der Bridgestone World Solar Challenge stellten. Und dennoch: Schon bei der Gründung des Trägervereins Acentauri Solar Racing war Willi dabei.
Der Verein stellt sicher, dass kein Wissen rund um den Solarauto-Bau verloren geht und man buchstäblich im Rennen bleibt. «Um dann eines Tages zu gewinnen. Aber eben nach einer Lernphase», sagt Willi. Sein planvolles Vorgehen und die abgeklärte Sicht auf die Konkurrenz aus den Spitzenuniversitäten erstaunen. Doch während des einen Jahrs des Autobaus hat sich Willi in vielerlei Hinsicht verändert.
Kreativität im Notizbuch festhalten
Alles begann mit dem Entscheid gegen ein Zwischenjahr nach der Matura. Während des Lockdowns hatte Willi zwar täglich Fernunterricht. Aber nach fünfeinhalb Jahren am Gymnasium führte das halbe Jahr ohne die vertraute Schulumgebung bereits zu einer genügend grossen Entfernung von der Schule. Die Immatrikulation an der ETH für Maschinenbau folgte daher umgehend und direkt anschliessend an die Matura. «Als dann die Idee des Solar Race aufkam, war ich begeistert.»
Das Autoprojekt wurde so gewissermassen zum nachgeholten Zwischenjahr. Willi übernahm im Team von Beginn an viel Verantwortung beim eigentlichen Autobau. Das Credo «stets genug Schlaf finden» musste mitunter drängenden Konstruktionsarbeiten am Auto angepasst werden. «Den Rucksack räume ich abends momentan meist nicht mehr aus», sagt er.
In der Hosentasche steckt als ständiger Begleiter ein kleines Notizbuch, zwei weitere hat er schon vollgeschrieben. «Die Ideen für technische Lösungen kommen oft spontan. Die meisten meiner Beiträge für das Auto gingen durch dieses Notizbuch, ehe sie in einen Rechner eingegeben wurden.»
Das zunächst 7-, dann 20-köpfige Kernteam der Autobauerinnen und Autobauer wurde zur häufigsten Gesellschaft des 22-Jährigen. Freilich abgesehen von zahlreichen professionellen Treffen, für die Willi in der ganzen Schweiz unterwegs war. «Sicher habe ich in diesem Jahr viel mehr gearbeitet als in einem Regelstudienjahr und habe dabei die Theorie sofort in die Praxis umsetzen können», sagt er.
Mit der Energie aus acht Minuten Haare föhnen fahren wir mit unserem Auto von Dübendorf an die ETH.
Gian-Leo Willi
Ingenieurstudent
Während des Erklärens wirkt der Student stets wie jemand, der Zeit für jede noch so banale Frage hat. Nach einem Gespräch aber geht es sofort fokussiert weiter: fertig berechnen eines Luftwiderstands auf dem Computer. Telefon mit einem Partner aus der Industrie, der beim Bau des Carbon-Chassis unterstützt. Willi ist kein visionärer Jungstudent. Er weist an, leitet, koordiniert und erklärt dabei komplexe Sachverhalte auch für Laien anschaulich.
«Wenn ihr acht Minuten die Haare föhnt, fahren wir mit dieser Energie in unserem Auto von Dübendorf an die ETH.» Die Erklärungen Willis auf der Bühne im Hangar des Flugplatzes verfangen beim Publikum. «Bei dieser Fahrt verursacht das Auto den Luftwiderstand eines einzelnen PW-Seitenspiegels.» Erstauntes Auflachen, anerkennende Mienen sind zu sehen, während Willi das weitere Innenleben des Autos erläutert.
Nach der Präsentation bildet sich eine Menschentraube um ihn, die Fragen beantwortet er ruhig. Auf Englisch, auf Deutsch. Die Begeisterung und das Interesse am Projekt sind nach der Präsentation im Publikum spürbar. Und wohl auch die Hoffnung, dass es dem Team in Australien für mehr reicht als allein die Teilnahme.
Aber Willi winkt ab. «Nein, das Gewinnen ist auch jetzt nicht zum Ziel geworden für mich», sagt er bestimmt. Die versammelten Zuhörer nehmen ihm den Sportgeist ab. Und hoffen insgeheim wohl doch auf mehr.