Mirwais Barikzai präsentiert stolz seine Arbeit zum Thema Cricket: Er stellt darin die Sportart vor und zeigt auf, was es braucht, um sie erfolgreich auszuüben. Es ist sein Abschlussprojekt des Vorkurses «Deutsch & Praxis» der Weiterbildungskurse (WBK) Dübendorf.
«In Afghanistan habe ich kein Cricket gespielt, obwohl der Sport dort sehr populär ist. Mit Cricket habe ich erst in der Schweiz begonnen. Weil der Sport in der Schweiz wenig bekannt ist, habe ich darüber geschrieben», sagt der heute 18-Jährige in fliessendem Deutsch.
Zwei Jahre allein unterwegs
Was er nicht sagt: Bis vor einem Jahr hat er nie eine Schule besucht und sprach nur sehr wenig Deutsch. Barikzai war 15 Jahre alt, als er zu Fuss aus Afghanistan flüchtete. Sein Vater war kurz zuvor verstorben, eine Zukunft gab es für den Teenager in seinem von Krieg zerrütteten Heimatland nicht mehr.
Zwei Jahre lang war er allein unterwegs, durchquerte unter anderem Pakistan, Syrien und die Türkei. In den verschiedenen Flüchtlingscamps konnte er sich verpflegen, ehe er weiterzog. Sein Ziel: das Land mit den hohen Bergen im Herzen von Europa, von dem er schon viel gehört hatte. Vor knapp einem Jahr kam er in der Schweiz an und besuchte schliesslich den Kurs der WBK in der Bettli-Kaserne.
Vom Projekt zum fixen Angebot
Der Vorkurs «Deutsch & Praxis» war ursprünglich ein zweijähriges Projekt, das die Stiftung WKB 2018 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Zürcher Gemeinden aufgegleist hatte.
Nach der erfolgreichen Pilotphase werden heute in Dübendorf pro Schuljahr drei oder vier Kleinklassen geführt; die Finanzierung erfolgt in der Regel über zuweisende Stellen und/oder Eltern. Die Schülerinnen und Schüler wohnen in der Region Dübendorf, kommen aber aus der ganzen Welt und sind zwischen 15 und 25 Jahre alt.
Die Idee ist, dass die Schülerinnen und Schüler einerseits Deutsch lernen, um im Anschluss eine weiterführende Schule wie zum Beispiel Berufswahlschulen, Sozialpraktika oder Integrationsvorlehren besuchen zu können. Gleichzeitig werden sie in Kultur, den Gepflogenheiten in der Schweiz, Geografie und IT-Grundkenntnissen unterrichtet, damit sie sich hier zurechtfinden.
Ihr Abschlussprojekt erarbeitet haben auch Besmira Ala (18), Rahila Gurguska (19) und Albina Rahmani (19). Die drei jungen Frauen zogen aus Italien ins Zürcher Oberland zu ihren Eltern und sind sich einig: Die Schweiz ist ein tolles Land – aber das Essen aus Italien und ihre Freunde vermissen sie auch nach einem Jahr sehr.
Sich abgrenzen ist nötig
«Wie schwierig es ist, speziell im Teenageralter sein Land zu verlassen, muss man wohl niemandem erklären», sagt WBK-Geschäftsleiterin Marinella Papastergios Pedevilla, die täglich mit Schicksalen wie diesen konfrontiert ist.
Sie musste damit einen Umgang finden. «Man lernt zuzuhören, ohne zuzuhören, weil es sonst unerträglich werden würde. Unsere Aufgabe ist es, den Teenagern eine Zukunft zu bieten und nicht mit ihnen in Trauer zu versinken.» Man mache keine Traumatherapie, sondern behandle sie auf Augenhöhe und zeige Wege auf, «wie die Teenager ihr Leben hier in die Hand nehmen und hoffentlich glücklich werden können».
Motivation als Geheimtrick
Doch wie schafft man es, in nur einem Jahr so gut Deutsch zu lernen, dass man die Mindestanforderung Level A2 der nachgelagerten Schulen erfüllt? Zur Erklärung: Sprachniveau A2 bedeutet gemäss International Language School Zürich, dass ein Schüler einfache Sätze und häufig verwendete Wörter über alltägliche Dinge versteht und über vertraute Themen in alltäglichen Situationen sprechen kann.
Es gebe keinen geheimen Trick, sagt Rahila Gurguska und lacht. «Wir haben im Unterricht viel gesprochen, nicht nur geschrieben und im Praktikum in der Kita viel gelernt.»
WBK-Geschäftsleiterin Marinella Papastergios Pedevilla wiederum sieht den Erfolg auch bei den erfahrenen Lehrpersonen. Und sie relativiert: «Natürlich hängt der Erfolg immer von der Motivation des Einzelnen ab.» Aber wie alle Schulen habe man auch Schüler, die den Vorkurs abbrechen und andere Wege einschlagen würden. «Umso stolzer sind wir, dass aus den bestehenden Klassen alle 30 Lernenden eine Anschlusslösung gefunden haben.»
Für Mirwais Barikzai ist klar: «Ich will in der Schweiz bleiben, eine Lehre machen und viel lernen. Hier habe ich mehr Möglichkeiten als in meinem Heimatland. Und die werde ich nutzen.»