Eigentlich hätte man davon ausgehen können, dass die Menschen nach den zahlreichen Medienberichten in den letzten Monaten über kulturelle Aneignung, rassistische Süssigkeiten und der Sache mit den veränderten Geschlechteridentitäten etwas sensibler geworden wären.
Doch zumindest in Dübendorf kann man sagen: falsch gedacht! Das zeigte sich eindrücklich an der Kinder- und Familienfasnacht, die am Samstag auf den Strassen und im Leepüntsaal stattfand.
Flatulenz-Betroffene verhöhnt
Es fing schon bei der Guggenmusik an. Vor Ort waren die Notentschalper aus Wallisellen und die Noten-Furzer aus Hinwil, die mit ihren Stücken bewusst die herkömmliche Tonalität umgingen und damit diejenige Menschen verhöhnten, die an einer Amusie oder Dysmusie leiden.
Für Betroffene, die weder Tonfolgen erkennen noch diese mit ihrer Stimme oder einem Instrument wiedergeben können, muss diese absichtliche Verfälschung wie ein Schlag ins Gesicht sein. Dass sich die Mitglieder der Guggen bei ihrer Tat ganz offensichtlich königlich amüsierten, machte die Sache noch schlimmer.
Nicht zu vergessen die ganz klar humoristische Verwendung der Bezeichnung «Furzer», über die Personen, die an einer krankhaften Flatulenz leiden – was immerhin ein Anzeichen für Darmkrebs sein kann –, ganz bestimmt nicht lachen können.
Wir haben 2023!
Schlimmer noch als die musikalische Untermalung waren die Kostüme, mit denen sich vor allem die Kinder, aber auch einige Erwachsene in der Öffentlichkeit zeigen. So gab es etwa einige Fälle von Brownfacing, einer Variante von Blackfacing, bei dem sich Weisse mit schwarzer Farbe bemalen, was eine schwerwiegende Form von kulturellem Rassismus ist.
Dass Braun einige Nuancen heller ist als Schwarz, machte es nicht weniger schlimm. Auch nicht, dass das Motto der Fasnacht «Waldleben» lautete und die gebräunten Kinder möglicherweise Waldgeister darstellten. Wir haben 2023, da sollte man schon etwas sensibler sein und die Kostümierung der Kinder hinterfragen. Also wirklich.
Zu sehen gab es auch einige Löwen- und Zebrakostüme, was ganz klar eine üble kulturelle Aneignung darstellt. Diese Tiere gehören den Afrikanern und Afrikanerinnen, das gilt es zu respektieren. Wenn sich mitteleuropäische Wohlstandskinder mit dem Fell stolzer Savannenbewohnenden schmücken, hat das einen ganz bitteren kolonialistischen Beigeschmack.
Wir hätten in unseren Wäldern ja genügend Tiere – Eichhörnchen vielleicht, oder Dachse –, die wir als Sujet für die Fasnacht aufnehmen könnten. Dass es aber ausgerechnet ein heimischer Hirsch war, der am Samstag durch die Strassen trabte, war ja wieder mal typisch.
Hirsche sind mit ihrem riesigen Geweih und ihrer stolz geschwellten Brust der Inbegriff für toxische Männlichkeit: Der Mann als Herrscher über eine Herde von willenlosen Frauen, die von ihm erobert wird und ihm (sexuell) zu Diensten stehen muss. Einfach nur pfui!
Festgefahrene Geschlechterrollen
Auch sonst zeigte sich, dass Dübendorf in der Genderfrage noch weit davon entfernt ist, was man heute unter einer aufgeklärten Gesellschaft versteht. Die Ausnahme war ein kleiner Robin Hood, der mit seinen Strumpfhosen gängige Rollenklischees durchbrach und damit ein Hohelied auf die Fluidität der Geschlechter sang.
Ansonsten: Festgefahrene Geschlechterrollen, wo man nur hinsah. Jungen als Spiderman, Piraten und Ritter, Mädchen als Prinzessinnen, Prinzessinnen und Prinzessinnen. Doch obwohl wir doch so stolz auf unsere direktdemokratische Kultur sind, schien diese monarchische Machtdemonstration niemanden zu stören.
Was sich das als Kampfpilotinnen verkleidete Mutter-Tochter-Gespann bei seinem Auftritt dachte, ist nur schwer nachvollziehbar. Okay, da war durchaus der löbliche Versuch, in einen vermeintliche Männerdomäne vorzudringen. Aber hey, wir haben Krieg in Europa, da wäre ein Bauarbeiterinnenkostüm weitaus passender gewesen.
Bei den vielen Hexen am Umzug war das festgefahrene Geschlechterrollenbild noch das Harmloseste. Viel störender war die offensichtliche Ignoranz gegenüber den vielen Tausend Opferinnen der Hexenverbrennungen, deren Schicksal mit keinem Wort, keiner Geste erwähnt wurde. Wer es nicht lassen kann, sich als Hexe zu verkleiden, soll wenigstens eine Tafel mit sich tragen, auf der über die schrecklichen Hexenmorde informiert wird.
Ku-Klux-Klan war auch da
Manchmal brauchte es auch einen geübten Blick, um Verfehlungen festzustellen – gerade, wenn die Kostümierten ziemlich niedlich und sympathisch daherkamen. Wie die Schlümpfe, die bereits in mehreren soziologischen Abhandlungen als eindeutig rassistisch deklariert wurden. Logo: Männer mit weissen Mützen, die um ein Feuer tanzen, das weckt zwangsläufig Assoziationen zum Ku-Klux-Klan.
Vertretbar war an diesem Samstag eigentlich nur das schlafende Baby im Kinderwagen, das als schlafendes Baby im Kinderwagen verkleidet war. Und ja, tolerierbar waren auch die doch recht zahlreichen Einhörner – immerhin das Wappentier von Dübendorf. Aber natürlich nur, wenn es echte Einheimische und keine Fällander oder Schwerzenbacherinnen oder Volketswilende waren, die unter der Verkleidung steckten. Denn das wäre dann ja wieder kulturelle Aneignung, und da verstehen die Dübendorfer gar keinen Spass.
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