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Ein Mann steht mit verschränkten Armen vor einem Bild.

Peter X. Iten blickt auf ein spannendes Berufsleben als Kriminalist zurück. Foto: Caroline Mohnke

Schwerzenbacher Kriminalist

«Es gibt Dinge, die vergisst man ein Leben lang nie»

Der Teilzeit-Schwerzenbacher Peter X. Iten hat als Kriminalist Flugzeug- und Bahnkatastrophen untersucht und immer wieder in menschliche Abgründe geschaut. Ohne Schutzschild hätte er das nicht geschafft.

Peter X. Iten blickt auf ein spannendes Berufsleben als Kriminalist zurück. Foto: Caroline Mohnke

Veröffentlicht am: 12.04.2024 – 08.05 Uhr

«Schon als Bub war ich neugierig und experimentierfreudig», sagt Peter X. Iten und lächelt. Er habe alles auskundschaften wollen. «Die Lausbubenstreiche bescherten mir einige Hausarreste», erinnert sich der heute 79-Jährige. «Im Garten bauten wir im Sommer Indianerhütten und im Winter Schneehütten. Als wir ein bisschen älter wurden, haben wir hinter dem Haus Nielen geraucht.»

Aufgewachsen ist Iten in Zug. Später zog es ihn ins Glattal; von 1979 bis 1986 war er in Schwerzenbach Gemeinderat. Heute lebt er mit seiner Lebenspartnerin abwechslungsweise in Schwerzenbach, Zug und Spanien.

Noch heute verfolgen ihn Bilder

Nach der Matura studierte Iten an der Universität Zürich Chemie und wurde Naturwissenschaftler. Jahre später wechselte er zur Kantonspolizei Zürich und leitete dort die Kriminaltechnische Abteilung. «Man wusste nie, was kommt», blickt er zurück. «In der Kriminalistik rekonstruiert man eine Tat, indem man versucht, den Ablauf wie in einem Film rückwärts laufen zu lassen.»

Auf die Frage, ob ihn heute noch Bilder verfolgen aus seinem einstigen Berufsleben, antwortet er: «Wenn man den Kopf eines Menschen auf der einen Seite einer Bahnschiene und den Körper auf der anderen Seite sieht, dann sind das schon Dinge, die man nicht vergessen kann.»

Trotzdem, geschlafen habe er immer gut. Er habe sich einen Schutzschild aufgebaut. Ohne den hätte er seinen Beruf nicht mit so einer grossen Leidenschaft ausführen können. «Ich konzentrierte mich immer auf die fachlichen Aufgaben.»

Zugunglück mit 39 Toten

Doch so dicht war dieser Schutzschild auch nicht immer. So erinnert er sich an jenen verhängnisvollen Sonntag 1982, als er von der Einsatzzentrale nach Pfäffikon gerufen wurde. «Am Telefon sagte man mir, es sei ein schauerlicher Unfall passiert: Ein Car sei von einem Zug erfasst worden, zwei oder drei Todesopfer.»

Schliesslich waren es 39 Tote. Die Schrankenwärterin hatte den Schalter irrtümlicherweise auf «Öffnen» statt auf «Schliessen» gedrückt. «Da war ich 36 Stunden nicht mehr zu Hause», erzählt der zweifache Familienvater. Es galt, alles zu organisieren: von der Spurensicherung bis zur Leichenbergung und Identifizierung.

Als Chef der Kriminaltechnischen Abteilung sei er stets in Anzug und Krawatte an den Ort des Geschehens gegangen. Weil die DNA-Methode vor 40 Jahren noch nicht bekannt war, trugen die Spezialisten am Tatort keine weissen Schutzanzüge, wie man sie heute kennt.

Zwei Flugzeugabstürze untersucht

Iten war in seiner Karriere an zahlreichen Tat- und Unfallorten. In der Schweiz galt er als federführend in seinem Gebiet, und auch im Ausland war er ein begehrter Gutachter. «Wenn ich an einen Tatort kam, blieb ich immer zuerst stehen, schaute mir die ganze Situation rundherum genau an und achtete auch auf Gerüche und anderes.»

Er beschäftigte sich mit Mordfällen, Suiziden, Familiendramen, Unfällen und anderen tragischen Ereignissen. Beim Crossair-Absturz von Nassenwil/Niederhasli am 10. Januar 2000 mit zehn Toten galt es herauszufinden, warum sich die Maschine tief in den Boden gebohrt hatte.

«Da bekamen wir zur Untersuchung nur Muskelstückchen des Piloten und des Co-Piloten.» Es wartete viel akribische Arbeit auf ihn. «Im Muskelgewebe des Piloten konnten wir schliesslich ein russisches Benzodiazepin-Präparat mit beruhigender und schlafinduzierender Wirkung nachweisen.» Bis heute in Erinnerung bleibt Iten auch die Katastrophe mit 46 Todesopfern, als im November 1990 eine Alitalia-Maschine beim Landeanflug auf Zürich-Kloten in den Stadlerberg stürzte.

Der Inhalt eines kleinen Fläschchens genügt, um mehr als tausend Menschen zu töten.

Peter X. Iten

Eine Serie von Kindermorden in den 1970er Jahren ging auch am Forensiker nicht spurlos vorbei. Kinderleichen zu bergen und zu identifizieren, wurde für den erfahrenen Kriminalisten zur Belastungsprobe. «Ich entwickelte zu dieser Zeit eine Methode, mit der bestimmte Merkmale am Schädel mit dem Foto des Opfers verglichen wurden.»

Anekdoten aus dem Gerichtssaal

Auch an den Gerichtssaal sind viele Erinnerungen Itens geknüpft. «Einmal referierte ich über die hohe Giftigkeit der Inhalte von acht Flaschen mit Arsen-Verbindungen und erzählte, dass der Inhalt eines kleinen Fläschchens genüge, um mehr als tausend Menschen zu töten.»

Es habe nicht lange gedauert, bis hinter ihm der Gerichtsweibel erschien und die Flaschen wegräumte – auf Anordnung des Gerichtspräsidenten, wie er später erfahren habe. Die Anwesenden brauchten auch starke Nerven, als Iten etwas Mageninhalt des Arsen-Opfers in einem Fläschchen herumreichte.

Als das Verbrechen des «Todesengels von Luzern» ans Tageslicht kam, mussten einige Opfer für die Obduktion exhumiert werden, da sie schon Jahre zuvor beigesetzt worden waren. «Mein Team und ich tüftelten mindestens einen Monat, bis wir die tödlichen Substanzen in den Gewebeüberresten nachweisen konnten.» Der Täter hatte über Jahre in Pflegeheimen mehr als 20 Patienten ermordet.

Mein Alltag ist chaotisch, ich kann nicht nichts tun.

Peter X. Iten

Während seines Berufslebens hat Iten über 9000 toxikologische Gutachten geschrieben und etwa 140’000 Blutalkoholanalysen unterzeichnet, die meisten aus dem Strassenverkehr und mit über 0,8 Promille. Diese dürften rund 35’000 Jahre Führerausweisentzug zur Folge gehabt haben, schätzt er.

Gelassene Einstellung zum Tod

«Mein Alltag ist chaotisch», antwortet Iten lachend auf die Frage, wie sein heutiges Leben, vierzehn Jahre nach seiner Pensionierung, aussieht. Und fügt an: «Ich kann nicht nichts tun.» Das bestätigt seine Lebenspartnerin umgehend: «Ja, Peter wedelt immer etwas herum», sagt sie und lacht. Ungefähr dreimal im Jahr reisen sie nach Spanien an ihren dritten Wohnsitz.

«Peter hat so viele Ideen», erzählt seine Lebenspartnerin. Als sie ihn vor neun Jahren kennengelernt habe, sei er am Zerlegen und Renovieren eines uralten Engadiner Buffets gewesen. Es habe sie beeindruckt, mit welcher Genauigkeit und Geduld er sich dieser Arbeit angenommen habe. Die beiden sind auch sehr aktiv im Garten in Schwerzenbach oder treffen sich mit Freunden.

Ein Gerichtsmediziner ist das ganze Berufsleben mit dem Tod konfrontiert. Auf die Frage, wie er zum eigenen Tod stehe, antwortet Iten gelassen: «Wenn dann der Zeitpunkt einmal gekommen ist, stelle ich mir vor, dass ich der Tatsache mit einer gewissen Gelassenheit ins Auge sehen kann.» Doch das sei nur seine Vermutung. Wie es dann wirklich sei, das wisse niemand.

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